Es ist Freitag Mittag. In der Cukurca-Moschee in Cankaya, einem Stadtteil Ankaras, haben sich mehr als 500 Männer versammelt. Sie wollen gemeinsam beten und der Predigt lauschen. Heute geht es um den Einzelnen und die Gesellschaft, es geht um die Notwendigkeit, einander beizustehen. Wie an jedem anderen Freitag auch ist der Wortlaut der Predigt vorgegeben, landesweit vorgegeben. Vom "Diyanet", dem staatlichen Amt für religiöse Angelegenheiten. Die Worte sind verständlich, die Gedanken eingängig - die Sprache ist türkisch.
Es ist über 80 Jahre her, dass Mustafa Kemal Atatürk, der "Vater aller Türken", die Republik Türkei ausrief. Die laizistische Republik Türkei - ohne das Kalifat, ohne die Scharia, ohne den Fes und - in staatlichen Räumen - auch ohne das Kopftuch. Der Islam sollte zurückgedrängt werden, seine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft verlieren. Der Koran wurde übersetzt, in den Moscheen sollte fortan nur noch auf türkisch gebetet und gepredigt werden - der strengen Kontrolle eines nimmer müden Staates ausgesetzt.
"Wir werden vom Staat ausgebildet. Wir kommen von den Imam Hatip Schulen. Warum also verbietet uns der Staat die freie Predigt? Ich glaube, der Staat traut seinen eigenen Leuten nicht."
Mustafa Altunkaya ist Imam, setzt sich für die Rechte von Imamen und Muezzinen ein. Doch nicht nur er äußert heute - im Zuge politischer Reformen - Kritik an der kemalistischen Staatsdoktrin. Auch die breite Bevölkerung meldet sich mehr und mehr zu Wort: Sie ist gegen die Doktrin. Und sie ist gegen die Religionspolitik der jetzigen Regierung.
Die Menschen sind enttäuscht. Denn als sie dem heutigen Premierminister Recep Tayyip Erdogan im November 2002 den Regierungsauftrag erteilten, sprachen sie sich explizit für eine Regierung aus, die ihre Wurzeln in der Religion hat. Und für einen Mann, der ein Ziehsohn des Islamisten Necmettin Erbakan ist.
"Was die Gesellschaft von ihr erwartet, löst die Regierung Erdogan nicht ein. Die Türkei steht heute an einem Wendepunkt, sie muss sich entscheiden: Für oder gegen die Freiheit. Leider ist der Premierminister nicht beherzt genug, den einmal beschrittenen Weg zu Ende zu gehen."
Ayhan Bilgen ist Vorsitzender von "Mazlumder", einer Nichtregierungsorganisation, die sich für mehr Demokratie einsetzt, auch und vor allem für die Religionsfreiheit. Die Muslime, sagt Ayhan Bilgen, sind bis heute vielen Restriktionen unterworfen - Restriktionen, die im Widerspruch zu den Rechten des Individuums stehen. Auch in der Kopftuchfrage müsse eine befriedigende Antwort gefunden werden:
"Der Staat darf nicht darüber entscheiden, was seine Bürger und Bürgerinnen tragen wollen. Das muss jedem Einzelnen überlassen sein."
Ayhan Bilgen glaubt nicht, dass eine Aufhebung des Verbots zum heutigen Zeitpunkt negative Konsequenzen nach sich ziehen würde. Dass womöglich am Ende alle Frauen das Kopftuch tragen müssten, ob sie wollen oder nicht. Anders etwa als Saudi-Arabien, führt er aus, sei die Türkei eine historisch gewachsene multikulturelle Gesellschaft, die in der Vergangenheit immer vielen Religionsgruppen offen stand. Nicht die Gesellschaft, sagt Ayhan Bilgen, sei heute das Problem.
"Die Gesellschaft ist tolerant genug, Frauen mit und ohne das Kopftuch zu akzeptieren. Der kemalistische Staat ist es, der keine Toleranz aufbringen will."
Ayhan Bilgen, der Vorsitzende von "Mazlumder", warnt indes vor einer Verschärfung der Situation.
"Sollte der Bann aufrechterhalten bleiben, so könnte das zu einer Radikalisierung der religiösen Kräfte im Land führen. Die Menschen sind verärgert, von Tag zu Tag mehr."
Die Regierung Erdogan steht unter Druck. Unter gewaltigem Druck. Drei Parteien fordern, gehört zu werden. Die Europäische Union will Reformen in der Wirtschaft und in der Politik. Die Kemalisten wollen die strenge laizistische Staatsdoktrin beibehalten, verweigern sich jeder Reform, jeder Liberalisierung. Und dann gibt es noch die Mehrheit im Land, Muslime, die konservativ und traditionell eingestellt sind. Sie wollen eine Aufwertung des Islam im Alltag und in der Gesellschaft.
Schwierige Zeiten für einen Mann, der von sich selbst heute sagt: "Ich bin Muslim. Ich bin Muslim und Demokrat."
Es ist über 80 Jahre her, dass Mustafa Kemal Atatürk, der "Vater aller Türken", die Republik Türkei ausrief. Die laizistische Republik Türkei - ohne das Kalifat, ohne die Scharia, ohne den Fes und - in staatlichen Räumen - auch ohne das Kopftuch. Der Islam sollte zurückgedrängt werden, seine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft verlieren. Der Koran wurde übersetzt, in den Moscheen sollte fortan nur noch auf türkisch gebetet und gepredigt werden - der strengen Kontrolle eines nimmer müden Staates ausgesetzt.
"Wir werden vom Staat ausgebildet. Wir kommen von den Imam Hatip Schulen. Warum also verbietet uns der Staat die freie Predigt? Ich glaube, der Staat traut seinen eigenen Leuten nicht."
Mustafa Altunkaya ist Imam, setzt sich für die Rechte von Imamen und Muezzinen ein. Doch nicht nur er äußert heute - im Zuge politischer Reformen - Kritik an der kemalistischen Staatsdoktrin. Auch die breite Bevölkerung meldet sich mehr und mehr zu Wort: Sie ist gegen die Doktrin. Und sie ist gegen die Religionspolitik der jetzigen Regierung.
Die Menschen sind enttäuscht. Denn als sie dem heutigen Premierminister Recep Tayyip Erdogan im November 2002 den Regierungsauftrag erteilten, sprachen sie sich explizit für eine Regierung aus, die ihre Wurzeln in der Religion hat. Und für einen Mann, der ein Ziehsohn des Islamisten Necmettin Erbakan ist.
"Was die Gesellschaft von ihr erwartet, löst die Regierung Erdogan nicht ein. Die Türkei steht heute an einem Wendepunkt, sie muss sich entscheiden: Für oder gegen die Freiheit. Leider ist der Premierminister nicht beherzt genug, den einmal beschrittenen Weg zu Ende zu gehen."
Ayhan Bilgen ist Vorsitzender von "Mazlumder", einer Nichtregierungsorganisation, die sich für mehr Demokratie einsetzt, auch und vor allem für die Religionsfreiheit. Die Muslime, sagt Ayhan Bilgen, sind bis heute vielen Restriktionen unterworfen - Restriktionen, die im Widerspruch zu den Rechten des Individuums stehen. Auch in der Kopftuchfrage müsse eine befriedigende Antwort gefunden werden:
"Der Staat darf nicht darüber entscheiden, was seine Bürger und Bürgerinnen tragen wollen. Das muss jedem Einzelnen überlassen sein."
Ayhan Bilgen glaubt nicht, dass eine Aufhebung des Verbots zum heutigen Zeitpunkt negative Konsequenzen nach sich ziehen würde. Dass womöglich am Ende alle Frauen das Kopftuch tragen müssten, ob sie wollen oder nicht. Anders etwa als Saudi-Arabien, führt er aus, sei die Türkei eine historisch gewachsene multikulturelle Gesellschaft, die in der Vergangenheit immer vielen Religionsgruppen offen stand. Nicht die Gesellschaft, sagt Ayhan Bilgen, sei heute das Problem.
"Die Gesellschaft ist tolerant genug, Frauen mit und ohne das Kopftuch zu akzeptieren. Der kemalistische Staat ist es, der keine Toleranz aufbringen will."
Ayhan Bilgen, der Vorsitzende von "Mazlumder", warnt indes vor einer Verschärfung der Situation.
"Sollte der Bann aufrechterhalten bleiben, so könnte das zu einer Radikalisierung der religiösen Kräfte im Land führen. Die Menschen sind verärgert, von Tag zu Tag mehr."
Die Regierung Erdogan steht unter Druck. Unter gewaltigem Druck. Drei Parteien fordern, gehört zu werden. Die Europäische Union will Reformen in der Wirtschaft und in der Politik. Die Kemalisten wollen die strenge laizistische Staatsdoktrin beibehalten, verweigern sich jeder Reform, jeder Liberalisierung. Und dann gibt es noch die Mehrheit im Land, Muslime, die konservativ und traditionell eingestellt sind. Sie wollen eine Aufwertung des Islam im Alltag und in der Gesellschaft.
Schwierige Zeiten für einen Mann, der von sich selbst heute sagt: "Ich bin Muslim. Ich bin Muslim und Demokrat."