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Technetium-99m
Neue Anlage für ein radioaktives Kontrastmittel

Es dient zur Diagnose von Schilddrüsentumoren, Knochenkrebs und Herzkrankheiten: Technetium-99m. Aber: Weltweit wird das Isotop nur von wenigen Kernreaktoren produziert. Manche von ihnen werden bald stillgelegt – es droht ein Engpass. Deshalb entsteht nun in Garching bei München eine neue Anlage für die Produktion.

Von Frank Grotelüschen | 09.01.2017
    Außenansicht des Forschungsreaktor FRM II, Garching
    Außenansicht des Forschungsreaktor FRM II, Garching (Wenzel Schürmann / TUM)
    Eine Experimentierhalle in Garching. Eine Metalltreppe führt auf ein Gerüst herauf, auf dem eine Apparatur montiert ist, die entfernt an einen zu groß geratenen Zahnarztstuhl erinnert.
    "Das ist im Prinzip der Aufbau, der sich später im Reaktorbecken des FRM II befinden wird."
    Erklärt Heiko Gerstenberg, Physiker am FRM II, so heißt Deutschlands größter Forschungsreaktor.
    "Alles, was wir hier sehen, wird unter Wasser sein."
    Das, was später einmal ins Reaktorbecken getaucht werden soll, ist eine Anlage zur Produktion von Molybdän-99. Das ist ein radioaktives Isotop, das nach einiger Zeit in ein anderes Isotop zerfällt, in Technetium-99m. Das wiederum dient als radioaktiver Tracer, also eine Art Kontrastmittel.
    "Wird gern als Arbeitspferd der Nuklearmedizin bezeichnet. Es hat eine sehr geringe Halbwertszeit von nur sechs Stunden und ist sehr vielseitig einsetzbar."
    Skelett, Herz, Leber, Niere, Schilddrüse – das alles lässt sich mit Technetium untersuchen, etwa um Tumoren aufzuspüren. Allein in Deutschland gibt es pro Jahr drei Millionen Untersuchungen, weltweit sind es 30 Millionen. Hergestellt wird das Mutterisotop Molybdän-99 in Kernreaktoren. Es bildet sich, wenn Uran gespalten wird. Derzeit produzieren es nur wenige Reaktoren auf der Welt. Das Problem:
    "Einige dieser Forschungsreaktoren sind relativ alt und gelegentlich außer Betrieb. Dazu kommt, dass der Reaktor Osiris in Frankreich Ende des letzten Jahres abgeschaltet worden ist. Und der größte Produzent ist ein Reaktor in Kanada. Der wird jetzt abgeschaltet und steht nur noch für zwei Jahre als Backup-Lösung zur Verfügung."
    Das bedeutet: Es droht ein Engpass an Moly-99, wie Gerstenberg und seine Leute das Isotop auch nennen. Deshalb beschlossen die Forscher, das Isotop künftig auch in Garching zu produzieren. Die Schwierigkeit: Von Haus aus ist ihr Reaktor dafür gar nicht vorgesehen.
    "Eine der großen Herausforderungen ist, dass das eigentliche Bestrahlungsrohr sehr eng ist. Das heißt, wir haben mit sehr engen räumlichen Verhältnissen zu kämpfen gehabt."
    Experten mussten tüfteln und tricksen
    Also mussten die Experten tüfteln und tricksen. Das Ergebnis ist jene Anlage, die aussieht wie ein überdimensionaler Zahnarztstuhl.
    "Bestrahlt werden sogenannte Uran-Targets. Das sind Brennstoffplatten, die Uran enthalten. Das sind Streifen, die sind ungefähr 20 Zentimeter lang, haben eine Breite von circa vier Zentimetern und eine Dicke von etwas mehr als zwei Millimetern."
    Ein ferngesteuerter Roboterarm steckt diese Uranstreifen in einen Köcher. Den senkt eine ausgeklügelte Mechanik dann in ein fünf Meter tiefes Rohr ab, ganz dicht an den Reaktorkern. Dann erfolgt die Bestrahlung, wodurch das Uran gespalten wird, unter anderem in Molybdän-99.
    "Bestrahlungszeit wird typischerweise eine Woche sein. Nach dieser Bestrahlungszeit wird das Target wieder hochgehoben, muss dann einige Zeit gekühlt werden. Dann wird es aus der Anlage ausgebaut und verladen, um zu den Firmen gebracht zu werden, die den weiteren Prozess durchführen werden."
    Dieser Prozess ist das Abtrennen von Moly-99 von anderen Spaltprodukten. In Europa bieten das nur zwei Firmen an, eine in Belgien, die andere in den Niederlanden. Dabei ist Eile geboten, denn Moly-99 besitzt nur eine Halbwertzeit von 66 Stunden.
    "Insgesamt hoffen wir, dass wir unser Produkt in circa 24 Stunden beim Weiterproduzenten haben werden."
    Routineproduktion ab 2019 möglich
    Nach dem Abtrennen kann das Molybdän an Kliniken in ganz Europa geliefert werden. Dort filtern spezielle Generatoren das Technetium heraus, das beim Molybdän-Zerfall entsteht. Die Untersuchung kann beginnen.
    "Wir sind zuversichtlich, dass wir mit dem Testbestrahlungen 2018 beginnen können und mit der Routineproduktion 2019. Wir haben natürlich ein kerntechnisches Genehmigungsverfahren vor der Brust. Insofern sind diese Zahlen mit ein bisschen Vorsicht zu genießen. Aber technisch sind wir sehr zuversichtlich, dass wir diesen Zeitrahmen einhalten können."
    Das Ziel: Rund die Hälfte des europäischen Bedarfs soll der Garchinger Forschungsreaktor ab 2019 decken können.