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Technik gegen Terror
"Das ist natürlich ein Wettrüsten"

Um die Terrorgefahr zu verringern, wird am Fraunhofer IOSB an neuen Technologien geforscht. Man überlege sich naheliegende Terror-Szenarien und entwickle dann passende Sicherheitsstrategien, erklärte Institutsleiter Jürgen Beyerer im DLF. Terroristen seien allerdings klug und versuchten, immer neue Wege zu gehen.

Jürgen Beyerer im Gespräch mit Ralf Krauter | 07.03.2017
Der LKW steht am 20.12.2016 am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin. Bei dem Terroranschlag starben 12 Menschen auf dem Weihnachtsmarkt, als der Tunesier Anis Amri einen polnischen LKW in die Menschenmenge steuerte.
Der Berliner Breitscheidplatz nach dem Teroranschlag mit einem Lkw. Terroristen seien erfinderisch und suchten immer nach neuen Waffen für Anschläge, so IOSB-Chef Jürgen Beyerer im DLF. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
Ralf Krauter: Jetzt sind seit 2007 insgesamt weit über 100 Verbundprojekte gefördert worden mit über 500 Millionen Euro. Inwieweit haben denn diese Projekte dazu beigetragen, dass wir uns heute in der Gesellschaft sicherer fühlen können als damals?
Jürgen Beyerer: Zunächst mal wissen wir natürlich nicht, was gewesen wäre, wenn wir diese Sicherheitsforschung nicht durchgeführt hätten. Ich meine, was wir geschafft haben durch das Sicherheitsforschungsprojekt, ist zunächst mal, dass man extrem viele Stakeholder auf dem Feld von sicherheitsgewährleistenden Behörden, von Sicherheitsforschung, aber auch von Geistes-, Sozial- und Rechtswissenschaften zusammengebracht hat und dazu gebracht hat, gemeinsam darüber nachzudenken, was man tun kann.
Und da sind auf der einen Seite technologische Fortschritte passiert, da ist aber auch Sicherheitskultur entstanden. Wenn Sie jetzt gerade zum Beispiel an den Resilienzbegriff denken oder an das Resilienzkonzept, was auch aus den Sicherheitsforschungsprojekten in Deutschland hervorgegangen ist, wo man am Ende einen pragmatischen Weg einschlägt, um auch in den Fällen, wo man sicherheitskritische Vorfälle nicht vermeiden kann, dann aber damit vernünftig umgeht, um Systeme schnell wieder auf die alte Leistungsfähigkeit zurückzuführen, um von solchen Vorkommnissen nicht unvorbereitet getroffen zu werden.
"Schwer zu sagen, ob wir wirklich sicherer geworden sind"
Krauter: Jetzt haben Sie aber die Frage, ob uns die Sicherheitsforschung ein sichereres Leben beschert hat in der Gesellschaft, noch nicht beantwortet.
Beyerer: Das ist natürlich schwer zu sagen, ob wir wirklich sicherer geworden sind. Auf der einen Seite sind Sicherheitstechnologien und -systeme und auch Sicherheitskultur entwickelt worden, die uns für sich gesehen sicherlich sicherer gemacht haben. Gleichzeitig hat sich aber die Welt auch weitergedreht und es sind neue Gefahren hinzugekommen. Ob man objektiv sagen kann, ob wir sicherer geworden sind, das ist natürlich sehr schwer. Aber wir haben mehr Konzepte, mehr Technologien, die uns helfen, sicherer zu sein. Und wenn alles konstant geblieben wäre von Anfang an der Sicherheitsforschung, dann würde ich die Frage auf jeden Fall bejahen.
Krauter: Ein Schwerpunkt dieser Forschungsinitiative war ja die Entwicklung von Technologien, die die Gefahr durch Terroranschläge auch verringern sollen. Ausgangspunkt waren da jeweils ganz konkrete Anschlagsszenarien, also die Attentäter im Flugzeug zum Beispiel, die Kofferbombe am Bahnsteig, ein Brief mit Anthrax-Sporen drin. Wie zielführend war und ist denn dieser szenarienbasierte Ansatz der Forschungsförderung?
Beyerer: Was man damit auf jeden Fall gewinnt, ist, dass man diese naheliegenden Szenarien absichert, dass man für diese Szenarien ein höheres Maß an Sicherheit erzeugt. Terroristen sind natürlich auch intelligente Menschen, die dort angreifen, wo sie angreifen können, dort, wo sie wenig Absicherung finden. Und wir sehen ja gerade in den letzten Jahren, wie erfinderisch Terroristen auch sind, mit unterschiedlichsten zweckentfremdeten Waffen wie zum Beispiel Fahrzeugen dann Angriffe durchzuführen.
Wenn man die naheliegenden Szenarien aber durch Sicherheitsforschung blockiert, wenn man die Barriere erhöht, in diesen vorgedachten Szenarien gefährlich zu werden, dann verlagert man tendenziell aber auch die Angriffe von Terroristen auf mögliche Anschläge, wo diese Barriere höher ist oder auch das Schadensrisiko geringer ist. Aber das ist natürlich ein Wettrüsten, das ist extrem schwierig. Das sind letztendlich intelligente Gegner, auf der einen Seite die Gesellschaft, auf der anderen Seite die terroristischen Angriffe. Man wird sich, glaube ich, damit abfinden müssen, dass es ein Wettrüsten zwischen beiden Seiten bleibt, und wenn der eine sich eine Sicherungsmaßnahme überlegt, dann wird die andere Seite danach suchen, wo sie mit möglichst geringem Aufwand möglichst großen Schaden anrichten kann.
Deswegen ist auch dieses Resilienzkonzept so extrem wichtig, das akzeptiert, dass man nicht alles vorausdenken kann, und dass man nicht alle Gefahren eliminieren kann, dass man sich nicht gegen alle Gefahren umfassend schützen kann, sondern dass man sich robust aufstellt, dass man das, was man vorausdenken kann, vorausdenkt, dass man dafür Antworten in der Schublade hat, dass man dann aber auch, wenn eine Gefährdung eintritt, reaktionsfähig bleibt, besonnen eine solche Situation abarbeiten kann und dann am Ende möglichst schnell wieder in geordnete Zustände kommen kann, um gleichzeitig aus einem solchen Vorfall dann aber auch zu lernen, was man in der Zukunft besser machen kann.
"Es scheitert an Problemen, die man am Anfang nicht gesehen hat"
Krauter: Mein Eindruck bei den Recherchen für diese Sendereihe, die jetzt gerade im Deutschlandfunk begonnen hat, "Technik gegen Terror", war, dass, na ja, sagen wir mal, bei maximal zwei bis drei von zehn Projekten nach Jahren der Entwicklung dann wirklich was Greifbares rausgekommen ist. Also zum Beispiel ein portabler Biowaffendetektor, der jetzt vermarktet wird, oder ein neuartiger Körperscanner, den wir bald alle am Flughafen zu sehen bekommen werden. In vielen anderen Fällen blieb der Durchbruch dann irgendwie aus und der Fortschritt meines Wissens überschaubar. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute oder eine schlechte Quote für so einen Förderschwerpunkt?
Beyerer: Es ist Forschung. Man hat gute Ideen oder man hofft, dass die Ideen gut sind, die man hat, und dann müssen die Ideen ausgearbeitet werden. Und Sicherheit komplexer soziotechnischer Systeme, die ist halt extrem vielschichtig. Also, da sind viele Disziplinen beteiligt, die mitreden können und müssen, und Ideen, die dann geboren werden, die müssen dann in diesem Schmelztiegel der verschiedenen Disziplinen vorangetrieben werden. Und es gibt technische Lösungen, die würden wunderbar funktionieren, aber die scheitern dann zum Beispiel an rechtlichen Beschränkungen, dass man halt bestimmte Dinge oft auch aus gutem Grund nicht tun sollte, obwohl sie technisch möglich sind.
Und dann ist die Quote halt, wie sie ist, 20, 30 Prozent, ob es jetzt genau stimmt, kann ich gar nicht sagen. Fragt sich natürlich, wie man das genau bemisst. Weil, es gibt ja durchaus auch technologische Fortschritte, die valide sind, aber die halt nicht beschafft werden von den Behörden, weil es auch an Geld mangelt, diese technologischen Fortschritte dann in Produkte umzusetzen und zu beschaffen. Aber am Ende ist es Forschung und der Charakter von Forschung ist halt auch, dass man bei der einen oder anderen Herangehensweise dann feststellt: Es scheitert an Problemen, die man am Anfang nicht gesehen hat.
Krauter: Von den über 500 Millionen Euro, die das Bundesforschungsministerium dann in den vergangenen zehn Jahren ausgegeben hat, sind rund 50 Millionen Euro bei Fraunhofer-Instituten gelandet, aus EU-Töpfen für Sicherheitsforschung haben Sie dann noch mal rund 68 Millionen Euro dazubekommen.
Beyerer: Ja.
Krauter: Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Beyerer: Der Erfolg meines Erachtens liegt daran, dass man bei Fraunhofer schon lange an diesen Themen gearbeitet hat. Also, man ist da nicht aufgewacht in dem Moment, als das Sicherheitsforschungsprogramm kam, sondern war da bestens vorbereitet, hat da schon breitbandig und auch tiefe Forschung betrieben. Und so ist eben dieses Sicherheitsforschungsprogramm dann bei Fraunhofer auf einen sehr fruchtbaren Boden gefallen, und ich denke auch, bei Fraunhofer, durch den Verbund für Verteidigungs- und Sicherheitsforschung, wo zehn Institute insgesamt zusammenwirken und ihre Ideen miteinander austauschen – und das sind immerhin ca. 2.500 Forscherinnen und Forscher –, da ist halt auch ein großer Ideenpool vorhanden. Und mit vielen guten Ideen, mit hoher Forschungsqualität und auch mit viel Domänen-Know-how hat man dann Anträge stellen können, die eine hohe Qualität hatten und die dann auch sich im Wettbewerb durchgesetzt haben.
Vielleicht noch der Punkt Domänen-Know-how der Nutzer: Damit meine ich, dass die Fraunhofer-Institute auch bestens vernetzt sind mit verschiedenen Behörden, mit den Polizeien, mit den Katastrophenschutzbehörden, mit Feuerwehren, mit THW, wo man eine Sprache spricht, wo man sich schon lange um deren Bedarfe kümmert. Und damit schafft man es natürlich auch gerade in diesen szenarienbasierten Förderprogrammen, dann schnell Konsortien schmieden zu können, die eine gute Idee gemeinsam entwickeln können und auch dann sehr erfolgversprechend beforschen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.