8.000 Kilometer Rohrleitungen durch die täglich über eine halbe Million Kubikmeter Trinkwasser gepumpt werden: Schon die Eckdaten machen deutlich, wie schwierig es ist, die Wasserqualität in ganz Berlin kontinuierlich zu überwachen. Wenn es Terroristen gelänge, an irgendeiner Stelle toxische Substanzen ins Netz zu schleusen – also zum Beispiel Nervengifte, Schwermetalle, Zyanide oder Pflanzenschutzmittel - bekäme man das unter Umständen erst Stunden später mit: Im Zuge der routinemäßigen Laboranalysen, für die täglich Proben genommen werden, erklärte Jens Federn 2010.
"Die Analytik, die braucht heute Zeit. Das heißt, es vergehen bis zu 48 Stunden, bevor wir wissen, was eigentlich da drin ist. Um diese Zeit drastisch zu verkürzen, brauchen wir andere Ansätze."
Im vom Bundesforschungsministerium geförderten Verbundprojekt AQUABIOTOX wurden solche Ansätze erprobt. Jens Feddern, der bei den Berliner Wasserbetrieben den Bereich Wasserversorgung leitet, hat das Projekt seinerzeit koordiniert.
"Das Ziel dieses Vorhabens ist es, dass wir versuchen, einen Breitbandsensor einzusetzen, der uns verlässlich sagt: Das Wasser ist für den menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet und die netzgebundene Trinkwasserversorgung muss sofort eingestellt werden."
Das Resultat der Bemühungen war 2010 im Wasserwerk Friedrichshagen zu sehen: Ein kühlschrankgroßes Gerät mit einem Aquarium darin, in dem millimetergroße Wasserkrebse herum schwammen. Strömten Toxine ein, änderten die Tiere ihr Verhalten, was eine Kamera registrieren und sofort Alarm auslösen sollte. Um Nervengifte nachweisen zu können, kamen zusätzlich Hamsterkulturzellen zum Einsatz und genetisch veränderte Bakterien, die schwach leuchten, solange die Wasserqualität im grünen Bereich ist. Im Prinzip habe das alles funktioniert, nur wirklich praxistauglich sei es nicht gewesen, resümiert Jens Feddern.
"Die Aufgabe war eben, dass man es deutlich kleiner kriegt und dass man es deutlich sicherer macht vom Betrieb. Weil ein solches Gerät muss ja in einem ganz normalen Wasserwerk oder Rohrnetzbetrieb auch bestehen. Und es musste auch von den Kosten kleiner gemacht werden."
Norddeutsche Firma entwickelte bereits Biosensor
Die Kieler Firma Sensatec vermarktet mittlerweile einen Biosensor, der diesen Anforderungen schon eher gerecht wird. Das diskusförmige Gerät beherbergt in kleinen Kammern acht tierische Vorkoster. Anstelle von Wasserkrebsen sind es Bachflohkrebse, die genügsamer sind.
Jens Feddern sagt: "Die Sensorik, die wir vorher hatten, die war deswegen auch so sensibel, weil wir füttern mussten, gucken mussten, dass der Organismus sich wohlfühlt oder dass die Zellen, die wir eingesetzt haben, überhaupt was messen. Hier, bei dieser Art von Organismus, brauchen wir auch nichts zu füttern. Die können also bis zu einer Woche überleben, sind aber immer noch so sensitiv, dass sie das Signal abgeben können."
Einmal pro Woche müssen auch Bachflohkrebse ausgetauscht werden
In den Berliner Wasserwerken und einigen Pumpstationen seien die neuen Online-Sensoren schon im Einsatz, sagt Jens Feddern. Doch die Bachflohkrebse darin müssen einmal pro Woche händisch ausgetauscht werden - für die flächendeckende Überwachung des Netzes ein Handicap.
Jens Feddern erklärt: "Wenn man das klassisch gemacht hätte, wäre man auf mehrere tausend solcher Geräte gekommen. Das ist nicht finanzierbar, wenn also überall jemand hinfahren muss und das auswechseln. Das geht gar nicht. Insofern ging es erstmal darum, das Netz abzubilden."
Computer berechnen Vorgänge im Wasserleitungsnetz
Im Forschungsprojekt SmartOnline, das bis Ende 2015 lief, wurde dazu ein Computermodell entwickelt, das die Vorgänge im komplexen Berliner Wasserleitungsnetz mit seinen 550.000 Knotenpunkten berechnet.
"Das sind wir jetzt dabei das zu tun und das werden wir auch in diesem Jahr noch abgeschlossen haben, dass wir genau wissen: An den und den Stellen muss ich ein solches Gerät installieren, um das gesamte Netz damit praktisch zu erfassen. Das wäre ein Meilenstein, wenn das gelänge."
Die Montage hunderter Sensoren in den Leitungsschächten wäre dann der nächste Schritt.
Zurück an den Gefahrenanfang kommen
"Wenn wir das dann geschafft haben, müssen wir natürlich auch noch gucken: Was passiert denn, wenn ein solches Gerät anschlägt? Also wie rechne ich auf die Quelle zurück. Auch das wird erforscht. Da wissen wir auch schon, wie das ungefähr gehen kann, sodass wir am Ende dann wirklich sagen können: Ok, wenn ein solches Gerät anschlägt, dann wissen wir wo’s herkommt."
Die Dinge sind also im Fluss. In Berlin, aber auch in Freiburg. Am dortigen Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik entwickelten Forscher im Verbundprojekt IRLSENS die nächste Generation von Sensoren für die Trinkwasserüberwachung. Um den Wartungsaufwand zu reduzieren, soll sie ohne tierische Vorkoster auskommen. Der Demonstrator hat das Format einer Mikrowelle. Als Dr. Marko Härtelt den Deckel öffnet, werden Linsen, Spiegel und ein gläserner Behälter sichtbar. Das hindurchströmende Wasser, wird von einem Infrarotlaser beleuchtet. Gefährliche Moleküle im Wasser absorbieren das Infrarotlicht auf charakteristische Weise - ihr Fingerabdruck verrät sie.
Dr. Marko Härtelt sagt: "Was wir detektieren können bisher, sind wirklich toxische Konzentrationen. Dieses System hier war jetzt im Wasserwerk im Einsatz. Und da hat man dann halt Koffein reingelassen. Das war eher gedacht, für terroristische Anschläge. Und wir bräuchten jetzt eine um zwei bis drei Größenordnungen höhere Empfindlichkeit, damit man das wirklich zur Qualitätskontrolle vom Wasser verwenden kann."
Ein Online-Messgerät wäre ein echter Durchbruch
Im aktuellen Forschungsprojekt PHOIBE arbeiten die Forscher daran und wollen künftig auch Mikroorganismen nachweisen: Mit einer Filtermembran, in der sich diese gefährlichen Inhaltsstoffe anreichern. Wenn sie Erfolg haben und Fehlalarme durch harmlose Substanzen zuverlässig unterdrücken können, wäre das Ergebnis ein kompaktes Online-Messgerät, das winzige Konzentrationen aller bioterroristisch relevanten Agenzien im Trinkwasser im Nu erkennen kann - und bei dem nur alle paar Wochen ein Filter gewechselt werden müsste. Das wäre wirklich ein Durchbruch.