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Technisch veränderte Lebensmittel
Bundesregierung setzt auf Nano-Food

Weniger Zucker und Fett, mehr Vitamine - dafür könnten zukünftig sogenannte Nanopartikel in Lebensmitteln sorgen. Laut dem Aktionsplan "Nanotechnologie 2020" will die Bundesregierung verstärkt auf den Einsatz dieser High-Tech-Partikel setzen, um Nahrungsmittel gesünder zu machen.

Von Peter Kaiser | 16.01.2017
    Eine Tafel Vollmilchschokolade in Nahaufnahme
    Durch Nanopartikel lassen sich zukünftig Lebensmittel mit einem geringeren Salz-, Zucker oder Fettgehalt herstellen, ohne dass sich der Geschmack verändert. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Kaugummis, Schokolinsen, Salz, Kaffeepulver, Instandsuppen - diese Produkte enthalten Nanopartikel aus Siliziumdioxid, damit keine Verklumpungen entstehen. Ansonsten sind unsere Lebensmittel frei von Nanopartikeln. Doch das soll sich ändern. Im September 2016 beschloss die Bundesregierung mit dem "Aktionsplan Nanotechnologie 2020" auch den Einsatz von Nanotechnologie in Lebensmitteln zu fördern.
    Was dahinter steckt, mag die Pressestelle des am Aktionsplan beteiligten Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, BMEL auf Anfrage hin nur in einer E-Mail erläutern:
    "Der Aktionsplan Nanotechnologie 2020 beschreibt mögliche künftige Anwendungsfelder unter anderem im Lebensmittelbereich."
    Was das praktisch heißen könnte, zeigen Forschungen, die schon jetzt zur Nanotechnologie in Lebensmitteln weltweit betrieben werden. Dabei wird versucht empfindliche Substanzen - etwa die geruchsintensive, aber als gesund geltenden Omega-3-Fettsäuren - in Nanokäfige aus organischem Material einzukapseln, die Technologen sprechen von "maskieren". Würden Omega-3-Fettsäuren etwa so "maskiert", könnten sie wegen des störenden Aromas verzögert freigesetzt werden.
    Genusserlebnis - in künstlicher Zusammensetzung
    Doch mit Nanopartikeln ließen sich auch Lebensmittel mit einem geringeren Salz-, Zucker oder Fettgehalt herstellen, ohne dass der Geschmack sich ändern würde. Der Verbraucher hätte also das gleiche Genusserlebnis, aber in einer künstlichen Zusammensetzung. Für Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Berlin, treiben solche Ideen eine bereits ungute Entwicklung weiter an:
    "Wir halten das für den falschen Weg, Lebensmittel noch stärker zu industrialisieren in ihrem Herstellungsprozess. Weil immer mehr Fremdstoffe in diese Lebensmittel reinkommen, statt den umgekehrten Weg, mehr zu naturbelassenen Lebensmitteln hin.
    Wir glauben nicht, dass die Probleme der heutigen Ernährung - nämlich zu viel Fett, Zucker, Salz - und überhaupt auch das Problem, dass Menschen gar nicht mehr wissen, was in den Lebensmitteln drin ist, dadurch gelöst wird, dass man sie jetzt noch weiter technologisch aufrüstet."
    Wird der Verbraucher irre geführt?
    Klar ist, falls sie kommt, wird diese technologische Lebensmittelaufrüstung massiv sein. Der Aktionsplan formuliert, das so: "Durch Verkapselung oder Größenreduktion in den Nanobereich Lebensmittel mit einem geringeren Salz-, Zucker und Fettgehalt herstellen lassen, ohne dass das Geschmacksempfinden beeinträchtigt wird."

    Doch ist dann das Lebensmittel noch das, nach dem es aussieht? Jessica Fischer, Lebensmittelexpertin von der Verbraucherzentrale Berlin ist skeptisch, ob nicht hier der Verbraucher von morgen irregeführt wird:
    "Also wenn ein übler Geschmack maskiert wird, dann ist das im Prinzip auch eine Täuschung, weil das Lebensmittel manipuliert wird, und das ist natürlich entgegen der eigentlichen Lebensmittelrechtspraxis."
    Risiken von Nanopartikeln noch unerforscht
    Natürlich könnte man sagen, dass der Verbraucher nur im Supermarkt auf der Verpackung nachlesen muss, was in der Ware drin ist. Doch so einfach ist es nicht, warnt Dietrich Garlichs von der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
    "Wir haben ja leider keine einfache klare Lebensmittelkennzeichnung, die auf der Front der Packung ist, sondern wir haben sehr komplizierte Listen im Kleindruck auf der Rückseite. Und schon allein die 50 verschiedenen Bezeichnungen für Zuckerzusätze zeigen, was für eine komplizierte Sache das ist. Geschweige denn ganz neue Nanopartikel, die überhaupt niemand mehr versteht."
    Das sieht auch Verbraucherschützerin Fischer so: "Also aus unserer Erfahrung versteht das der überwiegende Teil der Verbraucher nicht, weil man kommt da sonst nicht mit in Berührung, es ist nicht jeder Chemiker, das sagt dem Verbraucher erst mal nichts."
    Auch sind Fragen nach den Risiken von Nanopartikeln in Lebensmitteln noch weitgehend unerforscht und unbeantwortet. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft lässt per Email dazu dieses mitteilen:
    "Wir möchten darauf hinweisen, dass das Lebensmittelrecht für die Verwendung technisch hergestellter Nanomaterialien in Lebensmitteln Zulassungspflichten vorsieht, die Sicherheitsbewertungen einschließen."
    Nanopartikel-Technologie nützt vor allem Herstellern
    Im Moment gibt es nur wenige Studien, die die orale Aufnahme von Nanopartikeln untersucht haben. Im Bundesamt für Risikobewertung, BfR, hält man die Datenlage für unzureichend. Auch in der sogenannten "Fortschreibung der gemeinsamen Forschungsstrategie der Bundesoberbehörden" zu Nanomaterialien und anderen innovativen Werkstoffen steht:
    "Eine besondere Herausforderung bleiben völlig neuartige Risiken, die mit den bestehenden Prüfmethoden und Konzepten noch nicht erkannt werden können."
    So wurden etwa nach einer Studie aus dem Jahr 2006 des "US-National Center for Biotechnology" in Rockville Pike bei Ratten keine nachweisbaren organischen Effekte bei 28-tägiger oraler Einnahme von Siliziumdioxid gemessen, doch entsprechende menschliche Versuche stehen noch aus. Wem also nützen nanohaltige Lebensmittel? Dietrich Garlichs von der Diabetes Gesellschaft reagiert mit einem scharfen Verdacht:
    "Das Interessante ist ja, dass für diesen Teil des Nanoprogramms der Bundesregierung nicht das Gesundheitsministerium zuständig ist, sondern das Landwirtschaftsministerium. Und das Landwirtschaftsministerium vertritt traditionell die Interessen von Herstellern."
    Solche Vermutungen stellt Verbraucherschützerin Jessica Fischer nicht an. Aber einen Nutzen für die Kunden sieht sie auch nicht:
    "Also es scheint auf jeden Fall so zu sein, dass die einzigen Nutznießer die Hersteller sind, einen großen Fortschritt in Wissenschaft und Technik sehe ich im Lebensmittelbereich nicht."