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Technologische Vorteile
Die Tour de France und die Luftpolster-Debatte

Was in der Formel 1 für Siege sorgt, soll auch im Radsport helfen: aerodynamische Vorteile. Die Debatte um die Luftpolster auf den Zeitfahrtrikots von Team Sky nimmt wieder Fahrt auf, denn diese sollen den Fahrern eine Sekunde pro Kilometer bringen. Ein großer Vorteil beim Kampf um das Gelbe Trikot?

Von Tom Mustroph | 15.07.2017
    Chris Froome und sein Kollege Michal Kwiatkowski vom Team Sky bei der 13. Etappe der Tour de France 2017
    Beim Radsport ist die Aerodynamik wichtig - an den Rahmen, den Laufrädern, aber auch der Kleidung wie bei den Zeitfahr-Trikots des Teams Sky von Chris Froome (l.). (dpa / Yorick Jansens)
    Eine Sekunde pro Kilometer: Das hätte im günstigsten Fall 14 Sekunden beim Auftaktzeitfahren in Düsseldorf gebracht. Hinzu könnten 22 Sekunden beim Zeitfahren in Marseille am nächsten Wochenende kommen. * Also, Toursieg perfekt wegen der besseren Kleidung?
    "Im Radsport von heute zählt alles. Und wer es sich leisten kann, der forscht. Das ist wie die Formel 1", meint Matteo Trentin, einer der wichtigsten Helfer von Marcel Kittel. Nicht nur bei Sky, auch beim eigenen Rennstall Quickstep wird an vielen Fronten getestet: "Wir haben andere Dinge, machen unsere Studien. Ich weiß nicht, was genau. Es ist alles top secret."
    Der Aerodynamik kommt dabei besondere Bedeutung zu. An den Rahmen, den Laufrädern, aber auch der Kleidung. Rolf Aldag, Peformance Manager beim Team Dimension Data: "Die Hersteller machen da schon relativ viel. Man sieht das daran, wie das Material gewebt ist, in welche Richtungen es dann gelegt ist, weil man dann auch Luftströmungen in gewisse Richtungen leiten will."
    Sportwissenschaftler und Ingenieure entwickeln Patente
    Team Sky ist da noch konsequenter. Der britische Rennstall ging eine Partnerschaft mit dem Formel-1-Team von Mercedes und dem English Institute of Sport ein, einer Forschungseinrichtung von Sportwissenschaftlern, Sportmedizinern und Ingenieuren. Es wurden mehrere Patente angemeldet: Für einen Helm, bei dem die Luft durch Öffnungen so austritt, dass die Verwirbelungen für einen aerodynamischen Vorteil sorgen.
    Ein anderes Patent betrifft V-förmige Erhebungen, die an der Unterseite der Arme angebracht werden, und die ebenfalls für einen geringeren Luftwiderstand sorgen sollen. Dieses wurde bei den olympischen Bahnwettbewerben in Rio eingesetzt. Sechs Goldmedaillen bei insgesamt zehn Bahnwettbewerben für Team Great Britain sprechen dafür, dass diese Erhebungen zumindest nicht bremsten. Auch die Luftpolster für die Tour de France wurden in dieser Forschungseinrichtung entwickelt.
    Über die tatsächliche Wirkung gehen die Meinungen auseinander. Fred Grappe, der eine Sekunde pro Kilometer errechnete, hatte als Grundlage Studien über Materialien bei Leichtathleten - und rechnete die Effekte dann hoch. Rolf Aldag vom Konkurrenz-Team Dimension data rät zu Gelassenheit: "Ob jetzt die Zahlen alle korrekt sind oder nicht, lassen wir mal dahingestellt, wieviel man da spart oder nicht. Treten muss man immer noch. Davon bin ich überzeugt."
    Die Frage aber ist: Ist es erlaubt? Das UCI-Reglement verbietet auf der Kleidung zusätzliche Elemente, die nicht dem Schutz des Athleten dienen. Spoiler etwa sind verboten. Eine Veränderung der Körperform auch. Vor sieben Jahren etwa experimentierte auch Tony Martin mit Wasserbehältnissen auf dem Rücken, der aerodynamische Vorteile bringe sollte.
    Rolf Aldag: "Genau, da gab es schon mal die Diskussion, zu sagen, was darf man an Wasserflaschen haben. Da hat man das Volumen limitiert und gesagt: So und so viel Milliliter dürfen es sein. Und dann war es kein aerodynamischer Vorteil mehr, und inzwischen sind die Dinger alle verschwunden. Und genau das war das Thema. Man darf halt trinken. Man darf auch Getränke am Körper tragen. Aber man darf eben diesen aerodynamischen Vorteil nicht haben. Und da hat der Verband seine Aufgabe wahrgenommen."
    Wie autoritär ist die UCI?
    Nimmt die UCI ihre Aufgabe jetzt wahr? Die Anzüge von Sky wurden vom Weltverband für unbedenklich erklärt. Sky setzte sie zuvor auch bei anderen Rennen ein. Allerdings nicht so erfolgreich, wohl auch deshalb blieb die Sache unbemerkt.
    Zweifel an der Autorität der UCI kamen jüngst aber im sogenannten Bottle Gate Streit auf. Da wurden erst zwei Profis mit Zeitstrafen belangt, weil sie unerlaubte Verpflegung auf den letzten Kilometern entgegengenommen hatten. Als dann klar war, dass Frankreichs Liebling Romain Bardet sich des gleichen Vergehens schuldig gemacht hatte, wurde die Strafe zurückgenommen. Einfluss von außen auf die Wettbewerbsaufseher? Das lässt einige Beobachter Willkür befürchten, auch bei Entscheidungen über technische Entwicklungen.
    Iwan Spekenbrink, Chef des deutschen Sunweb-Rennstalls: "Man hat Regeln. Und dann versuchen die Leute, innerhalb der Regeln das Maximale zu versuchen. Wir erfinden auch immer bessere Räder, bessere Getränke, bessere Bars, bessere Gels. Und dann ist es die UCI, die sagen muss, ob das innerhalb oder außerhalb der Regeln ist. Und darum sage ich: Die UCI muss Autorität haben."
    Hat die UCI diese Autorität, angeführt von einem Präsidenten, der zuvor als Präsident des britischen Radsportverbandes genau die Forschungen mitinitiierte, über die jetzt diskutiert wird? Eine Frage, die über die Tour hinausweist. Die aber auch Einfluss auf den Sieger bei dieser Rundfahrt hat.
    *Anm. d. Red: In einer früheren Fassung stand an dieser Stelle: "Derzeit hat Chris Froome sechs Sekunden Rückstand." Nach Ende der 14. Etappe der Tour de France hat er allerdings das Gelbe Trikot des Führenden wieder übernommen.