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Teebeutel gegen Schlaganfall

Medizin. - Gentechnisch veränderte Stammzellen wurden in Hannover bei einem Schlaganfallpatienten eingesetzt. Die Zellen produzierten eine das Nervenwachstum im Gehirn anregende Substanz und wurden direkt an der Stelle des Infarktes implantiert. Um sie zu kontrollieren waren die Zellen in kleine Kugeln eingekapselt, die wiederum in eine Art Teebeutel gehüllt waren. Die Wirksamkeit der Methode muss noch durch weitere Tests erhärtet werden.

Von Michael Engel | 02.12.2008
    Plötzlich konnte Walter Bast nicht mehr sprechen. Das Gesicht wurde schief, der rechte Arm war gelähmt. Mediziner diagnostizierten einen Schlagfall mit Gerinnsel. Blut hatte sich ins Gehirn ergossen. Der 49jährige aus Bremen wurde zum "International Neuroscience Institute" nach Hannover überwiesen und dort – als erster Patient weltweit – mit gentechnisch veränderten Stammzellen behandelt. Die Zellen, die aus dem Knochenmark stammen, befanden sich eingelagert in einem "Teebeutel", erklärt der Neurochirurg Amir Samii, der den Eingriff durchführte.

    "Also im Rahmen der Operation wird zunächst einmal ein Schädeldeckel entnommen und dann die harte Hirnhaut eröffnet, und man sucht einen wirklich minimal invasiven Zugang durch das Hirngewebe, möglichst schonend, mikrochirurgisch, unter dem Mikroskop also, zur Blutungshöhle. Die Blutungshöhle wird ausgeräumt, und dann hat man ja eine Höhle, die übrig bleibt, und in diese Höhle wird dann unter dem Mikroskop dieser Teebeutel eingeführt."

    Der sogenannte Teebeutel ist nur 1,5 mal 1,5 Zentimeter groß und hat natürlich ein Fädchen, damit das Ganze auch wieder herausgezogen werden kann. Zirka zwei Wochen verbleibt der Teebeutel an jener Stelle im Gehirn, wo die Blutung war. Im Beutel befinden sich 2400 winzige Kügelchen, und in jedem dieser Kügelchen wiederum 3000 gentechnisch veränderte Stammzellen aus dem Knochenmark eines Spenders. Ihre Aufgabe: Ein Hormon zu produzieren, das die geschädigten Nervenzellen regenerieren lässt. Christine Wallrapp, Forschungsleiterin bei der CellMed AG in Alzenau, hat die Zellen hergestellt:

    "Es ist möglich, über sogenannte DNA genetische Information in die Zellen einzubringen für bestimmte Wirksubstanzen, für heilende Faktoren. In unserem Fall war das ein Gen für glucagon like peptide, oder GLP-1 kurz genannt. Das bewirkt, dass Zellen besonders gut überleben können, ein sogenannter neurotropher Faktor. Das heißt, wir nehmen diese Zellen und bringen dann die genetische Information für diesen Faktor in die Zellen ein, worauf die dann diesen Faktor produziert und an die Umgebung abgibt. Und eben auch an die Umgebung, wo es zu solchen Verletzungen zum Beispiel im Gehirn kommt."

    Die genetisch veränderten Stammzellen werden nur dazu verwendet, dass sie die Wirksubstanz GLP produzieren, um die Heilung der geschädigten Hirnregion zu unterstützen. Nach zwei Wochen kommt der Teebeutel mitsamt den gentechnisch veränderten Stammzellen wieder raus. Die Behandlung ist damit beendet. Walter Bast – der Patient – ist wie er sagt, zu 95 Prozent genesen:

    "Ja es ist alles fast, fast alles fast weg. Also es sind noch Kleinigkeiten da, so Gesichts…, leichte Gesichtslähmung und leichte Feinmotorik. Ansonsten fühle ich mich super."

    Ob der Heilungserfolg tatsächlich auf den Teebeutel voll mit Stammzellen zurück geführt werden kann, ist fraglich. Immer wieder gibt es Patienten mit ähnlichen Heilungsverläufen. Studienleiter Professor Thomas Brinker plant deshalb eine Studie mit zunächst 20 Patienten, um die Heilungserfolge statistisch auswerten zu können:

    "Wir sind sehr, sehr froh, dass der klinische Verlauf bei diesem ersten Studienpatienten so günstig war. Aber zum jetzigen Zeitpunkt können wir keine Aussagen über die Wirksamkeit machen. Das wird, wie gesagt, einer weitergehenden Studie, einer Phase-II-Studie, die in Zukunft durchgeführt werden muss, vorbehalten sein."

    Ohnehin kommen bei dieser Therapie nur 20 Prozent der Schlaganfallpatienten in Betracht, bei denen sich ein Blutgerinnsel gebildet hat. Sollte die Therapie mit dem Teebeutel erfolgreich verlaufen, böten sich noch weitere Einsatzmöglichkeiten an, und zwar überall dort, wo Blutgerinnsel das umgebende Gewebe in Mitleidenschaft gezogen haben. Beim Herzinfarkt zum Beispiel oder bei der sogenannten Makuladegeneration mit einer Schädigung der Netzhaut.