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Teheran an der Ruhr

Seitdem der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad an der Macht ist, wurden Theaterzeitungen eingestellt, Internet-Blogger verfolgt, Bücher zensiert. Dass es in so einer Atmosphäre noch neue Stücke geben kann, erstaunt - und noch dazu eins über Folter: Auf dem Festival "Theaterlandschaft Iran" im Theater an der Ruhr in Mülheim stellte der iranische Regisseur und Autor Hossein Pakdel sein Stück "Sinfonie der Qual" vor.

Von Dorothea Marcus |
    Alles, was man so zum Foltern braucht, hängt leuchtend an einer Tafel: Zangen, Hämmer, Schraubzwingen. Davor steht ein OP-Tisch mit einer Puppe zum Üben. "Doktor, bitte in den letzten Raum", tönt eine Lautsprecherstimme. "Ich würde gern erstmal mit der Theorie beginnen", sagt der Folterschüler, als sein Lehrer angekommen ist. In seiner ersten Folterübestunde zerfällt die Versuchspuppe sofort in ihre Bestandteile.

    Ein Folterknecht ist ein Musiker, der einem Instrument Töne entlockt, lehrt der Folterlehrer, und ein Arzt, der den Tumor der Gesellschaft herausschneidet. Doch das Wichtigste ist, dem Opfer die Augen zu verbinden - denn die menschliche Einbildungskraft ist effektiver als jedes Werkzeug.

    Der Folterschüler wird die Lektionen beherzigen. Als ihm am Telefon mitgeteilt wird, dass sein eigenes Kind im Sterben liegt, quält er einen harmlosen Graffiti-Sprayer zu Tode. Im Schlussbild von "Sinfonie der Qual" sitzen Folterer und Gefolterter dann an einem Tisch und essen wie beim christlichen Abendmahl die Körperteile der Puppe auf. Eine Gesellschaft, die foltert, frisst sich selbst - ein ungeheures Bild, das den westlichen Betrachter verstört zurücklässt.

    Zweiunddreißig Mal wurde das Stück im Teheraner Stadttheater gezeigt. Wie kann es sein, dass so ein Stück im Iran zu sehen ist, wo laut amnesty international Folter an der Tagesordnung ist? Der Regisseur und Autor Hossein Pakdel, der "Sinfonie der Qual" nach einer Erzählung von Alexander Tisma geschrieben hat:

    "Ich hatte keine Probleme, das Stück aufzuführen. Mein Produzent ist die Regierung gewesen: Das Dramatic Art Center. Ich wurde finanziell unterstützt. Ich habe kein Stück über Folter geschrieben, sondern ein Stück über die Angst vor der Folter, die viel stärker ist. Es handelt davon, wie Ängste erfunden werden, um Macht zu sichern, überall auf der Welt. Unsere Kulturen sind nicht in eine christliche und eine muslimische aufgeteilt. Das ist eine Erfindung, um uns Angst zu machen."

    Der 58-jährige Pakdel ist im Iran ein berühmter Regisseur. Jahrelang hat er das Stadttheater geleitet, im Augenblick dreht er einen der größten iranischen Filme, der je produziert worden ist.

    Umgerechnet rund 3,6 Millionen Euro hat das Dramatic Arts Center in Teheran als Budget zur Verfügung, um iranisches Theater zu finanzieren. Etwa genauso viel wie das Mülheimer Theater an der Ruhr - eines der kleinsten Theater der Bundesrepublik.

    Und doch gibt es kaum einen Ort im Mittleren Osten, wo es eine ähnliche Schicht theaterbesessener und gebildeter Menschen gibt wie im Iran. Rund 15.000 Zuschauer hat allein das Fadjr-Theaterfestival jedes Jahr, wo seit 1983 zehn Tage lang die Wiederkehr von Ayatollah Chomeini gefeiert wird. Eine Verherrlichung des islamischen Gottesstaates findet dort trotzdem nicht statt. Im Gegenteil: Im iranischen Theater wird subtil und symbolisch aufgeladen Regimekritik betrieben.

    Die Inszenierung "Dädalus und Ikarus" von Homayoun Ghanizadeh erzählt etwa von Freiheitsdrang und dem Traum vom Fliegen - wie dies in einem Land verstanden wird, indem seit der Revolution laut Schätzungen rund 1,5 Millionen Menschen ausgewandert sind, kann man sich denken. Vater und Sohn im Labyrinth tragen Fliegermütze und geringelte Clownsstrümpfe und hämmern, schweißen und bohren wie besessen an einem Flugapparat herum. Die Funken sprühen und als sie endlich aufgestiegen sind, heulen sie anarchisch - bis der Absturz beginnt. Zum Schluss begegnet ihnen ein Wesen in Engelsflügeln: Wahre Freiheit gibt es nur im Tod.

    Aber meistens sind iranische Stücke mit Schwermut aufgeladen, die Schauspieler spielen mit einer beeindruckenden und fast beiläufigen Intensität. Realität und Traum, Wahnsinn und Normalität verschwimmen. Vielleicht fühlt man sich so, wenn man in einem widersprüchlichen Land wie Iran zwischen Kunstbesessenheit und Freiheitsunterdrückung lebt. Dass es ernstzunehmendes Theater hervorbringen kann, wurde in Mülheim eindrucksvoll bewiesen.