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Teilchenschauer in der Pampa

Physik. - Fast zehn Jahre haben Astrophysiker an einem ganz besonderen Observatorium gebaut: Die Anlage empfängt nicht Licht aus dem Kosmos, sondern extrem energiereiche Teilchen. Schon während des Baus wurden Messungen angestellt, jetzt wurde das Auger-Observatorium in Argentinien offiziell eingeweiht.

Von Dirk Lorenzen |
    Markus Roth, Physiker am Karlsruhe Institute of Technology, klopft freudig auf sein Arbeitsgerät.

    "Hier haben wir einen wunderschönen Wasser-Cherenkov-Tank. Der hat eine Ausdehnung von sechs Metern in der Breite und in der Höhe 1,20 Meter. Und zwölf Tonnen Wasser sind da drin. Mit Wasser können wir Teilchen der kosmischen Strahlung nachweisen."

    Der ockerfarbene Tank verfügt über eine Solarzellenfläche, allerlei Elektronik und eine gut drei Meter aufragende Antenne. So ungewöhnlich wie das Arbeitsgerät ist auch der Arbeitsplatz von Markus Roth.

    "Wir sind hier in der argentinischen Pampa, im Südwesten Argentiniens. Und wir sind auf dem Gebiet, auf dem das Auger-Experiment aufgebaut ist."

    Trockenes Grasland so weit das Auge reicht, durchzogen von einigen holprigen Pisten. Hier und da trotten ein paar Rinder oder Ziegen durch das offene Gelände. Alle eineinhalb Kilometer ragen die kreisrunden Wassertanks aus der Landschaft – insgesamt 1600 Stück. Sie gehören zum Auger-Observatoriums, mit dem Markus Roth und seine Kollegen aus aller Welt auf trickreiche Weise nach den energiereichsten Teilchen fahnden, die uns aus dem Kosmos erreichen.

    "Wenn kosmische Strahlung in die Atmosphäre eindringt, das sind Teilchen sehr hoher Energie, etwa Protonen. Dann erzeugen sie eine Kaskade. Diese Kaskade entwickelt sich, Tausende, Abertausende Teilchen werden in der Reaktion erzeugt. Auf dem Erdboden werden wir Millionen, Milliarden von Sekundärteilchen nachweisen. Lichtblitze leuchten auf in diesem Tank. Die Lichtblitze können durch Lichtsensoren nachgewiesen werden. Die Lichtsensoren registrieren dieses Signal und schicken durch kleine Radioantennen das Signal an die zentrale Datenaufnahme."

    Prallt also ein Teilchen der kosmischen Strahlung in gut zehn Kilometern Höhe auf ein Partikel in der Erdatmosphäre, so zerstrahlt es, bildet dabei andere Teilchen, die wiederum zerstrahlen und dabei wieder andere Teilchen bilden und so weiter. Irgendwann rauscht diese Teilchen-Kaskade durch die Wassertanks in der Pampa und lässt das Wasser kurz aufblitzen. Wie, wo und wann es in den Tanks leuchtet, verrät den Forschern, woher das Teilchen gekommen ist, welche Energie es hat und welche Masse es hat. Die Gesamtanlage überdeckt eine Fläche, die größer ist als das Saarland.

    "Die gigantische Größe ist notwendig, weil die Teilchen, die wir suchen, die wir hoffen zu finden, sehr selten sind: ein Teilchen pro Quadratkilometer und Jahrhundert. Wenn ich 3000 Quadratkilometer, das ist die Größe dieses Experiments, einbeziehe, dann erwarte ich pro Jahr 30 Ereignisse im interessanten Energiebereich."

    So hat das internationale Team, zu dem aus Deutschland Institute aus Aachen, Siegen, Wuppertal und Karlsruhe gehören, in den vergangenen Jahren wie am Fließband 1600 Wassertanks in der Pampa aufgestellt – um endlich die Teilchen der höchsten Energien dingfest zu machen.

    "Dieser Energiebereich ist deshalb so interessant, weil er komplett unverstanden ist. Wir haben zwar Vorstellungen, Theorien, Ideen, wo diese Teilchen herkommen, um was es sich handelt. Aber letztendlich ist es für uns eine Terra Incognita, ein unbekanntes Land, in das wir vorstoßen wollen. Wir wollen diese Teilchen verstehen: Was sind sie? Woher kommen sie her? Was sind die Erzeugungs- und Produktionsmechanismen? Wir blicken damit auf Quellen, die für uns momentan noch unbekannt sind, aber wir versuchen rückzuschließen, welche Quellen sind es letztendlich."

    Jetzt deutet sich an, dass die energiereichsten Teilchen der kosmischen Strahlung von – astronomisch gesehen – recht nahen Quellen stammen, allenfalls wenige hundert Millionen Lichtjahre entfernt. Offenbar gibt es in unserer kosmischen Umgebung extrem energiereiche Prozesse, die den Astronomen bisher verborgen geblieben sind. Das jetzt eingeweihte Auger-Observatorium soll 15 Jahre nach den energiereichsten Teilchen Ausschau halten – und so gleichsam ein ganz neues Fenster ins All aufstoßen.