Mit dem Hochwasser kamen die Journalisten. Sie suchten Betroffene ihm Ahrtal auf, führten Interviews, filmten, schrieben Reportagen und Berichte. Dabei trafen sie auf Menschen, die gerade Angehörige und Freunde verloren hatten, deren Hab und Gut durch die Fluten zerstört war. Einige dieser Begegnungen waren offenbar von Missverständnissen überschattet. "Diese lassen sich klären, sobald man sie kennt", erläuterte Kommunikationswissenschaftlerin Marlis Prinzing von der Macromedia Hochschule Köln, die die Studie geleitet hat.
So hätten etliche Betroffene die Arbeitsroutinen und -bedingungen von Journalisten völlig falsch eingeschätzt. Teils hätten sie die Interviewer nicht nur in ihrer Rolle als Berichterstatter gesehen, sondern von ihnen auch aktives Eingreifen erwartet, etwa konkrete Hilfe bei Aufräumarbeiten. Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, sieht deshalb Journalisten in der Pflicht, "stärker auf die Vermittlung von Grundwissen über ihre Arbeitsweisen und die Funktion von Berichterstattung zu setzen".
"Emotionen öffentlich zu teilen, kann erlebte Empathie stärken"
Grundlage der Studie waren Leitfadeninterviews mit zehn von der Katastrophe betroffenen beziehungsweise dort helfenden Personen sowie mit zehn Journalisten. Dabei wurde auch die Rolle von Emotionen thematisiert. Die Menschen im Ahrtal wünschten sich demnach Mitgefühl - im direkten Umgang wie in den veröffentlichten Beiträgen.
Mitautorin Mira Keßler von der Ruhr-Universität Bochum erklärte: "Emotionen öffentlich zu teilen, kann die erlebte Empathie stärken. Unsere Studie zeigt, dass dies in sensibler, nicht-voyeuristischer Form in der Berichterstattung weiter aufgewertet werden könnte."
Die Betroffenen verlangten, dass die Medien kontinuierlich und sachlich korrekt berichten, dass sie "positive Geschichten mitten im Flut-Chaos entdecken" und mit Blick auf die Behörden "Fehlleistungen, die die Krise noch schlimmer machten, kritisieren", wie Studienautorin Melanie Radue von der Universität Passau zusammenfasst.
Die befragten Journalisten schilderten wiederum aus ihrer Perspektive die innere Spannung, die sich aus der Frage ergab, ob sie nur berichten oder auch selbst helfend eingreifen müssten - und aus der Abwägung, wie intensiv sie das Leid der Menschen zeigen sollten. Daraus habe sich auch für die Medienvertreter eine spürbare Belastung ergeben.
"Medien waren unzureichend in Krisenkommunikation eingebunden"
Insgesamt spielten Journalisten eine bedeutsame Rolle bei jedem Krisenverlauf, die nicht unterschätzt werden dürfe. Daher empfehlen die Wissenschaftlerinnen, ihnen standardmäßig Krisen- und Sicherheitstrainings anzubieten, aber auch Schulungen zu ethischen Fragen und psychologischem Grundwissen, damit sie beispielsweise Belastungsreaktionen bei Betroffenen einordnen können.
Sehr wichtig sei es zudem, die Berichterstattung bei behördlichen Abläufen im Rahmen einer Katastrophe stärker in den Blick zu nehmen. Denn, so schreiben die drei Verfasserinnen der Studie, die Flut im Ahrtal 2021 habe auch deshalb "so katastrophale Ausmaße" erreicht, weil die Medien "unzureichend in die Krisenkommunikation eingebunden wurden".
Diese Nachricht wurde am 11.07.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.