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Tel Aviv
Junge Choreographen dominieren "International Dance Exposure"

Eine Export-Messe für den israelischen Modern Dance: Die "International Dance Exposure 2016" in Tel Aviv zeigte Tanz-Veranstaltern und Festivaldirektoren aus aller Welt, wie experimentell und politisch in israelischen Studios gearbeitet wird. Die freie Szene dominierte das Festival – aber auf Gastspielreise ins Ausland gehen dann meist die großen Compagnien.

Von Christian Gampert | 14.12.2016
    Tänzer der Kibbutz Contemporary Dance Company proben am 04.04.2013 im Kraftwerk in Wolfsburg (Niedersachsen) für die Deutschlandpremiere des Stückes "If at all" im Rahmen der Movimentos-Festwochen.
    Die "Kibbutz Contemporary Dance Company" nimmt an der "International Dance Exposure" teil - mit einem bewunderungswürdigen Stück (picture alliance / dpa / Armin WeigelPeter Steffen)
    Sie befehden sich immer noch: Gleich am ersten Morgen gibt es drei Duette zu besichtigen, die auch Kampfhandlungen sind. Der arabische Choreograph Adi Boutrous transformiert das Gleichmaß, in dem zwei Männerkörper nach hinten abrollen, bald in eine Konfliktsituation - die hier aber friedlich lösbar ist. Andrea Costanzo Martini, aus Italien eingewandert, zeigt einen klassischen Master-gegen-Underdog-Fight, allerdings gewürzt mit parodistisch-effeminierten Showelementen. Merav Dagan und Stav Marin stürzen sich in einen hysterisch aufgeladenen Dialog, Sprachunfähigkeit und Verzweiflungsschreie – beide sind in Israel aufgewachsen.
    Die "International Dance Exposure" wurde diesmal von jungen Choreographen dominiert, von der freien Szene. Zwar kann man hier auch die neuen Stücke der großen Compagnien sehen - immer noch bewunderungswürdig ist etwa die Mischung aus Gewalt und Poesie der "Kibbutz Contemporary Dance Company", während die als Öko-Kommune auf dem Land lebende "Vertigo Dance Company" sich vom schönen Schein völlig verabschiedet hat; ihre Tänzer gleiten jetzt als düster gekleidete Waldmenschen mit stab-artigen Waffen mönchisch durch die Szene, sehr japanisch, sehr Kurosawa-inspiriert.
    Doch die Musik spielt vor allem bei den Nachwuchs-Choreographen. Das an Gastspielen und Kulturaustausch interessierte Außenministerium fördert auch schräge Projekte, sagt Rachel Nir, die im Ministry for Foreign Affairs für den Tanz zuständig ist.
    "In den letzten Jahren ist das Konzeptuelle im Tanz hier sehr stark geworden. Die Tänzer wollen Ideen vermitteln, nicht nur Emotionen. Deshalb gibt es bei uns alle möglichen Ansätze zum richtigen Leben und zur Politik, die man auf der Bühne sehen kann."
    Die gezeigten Resultate werden auch in Israel ziemlich kontrovers aufgenommen. Das Panorama reicht von den getanzten Hysterie-Demonstrationen des Doktor Charcot über groteske Ehegeschichten in Nacktkostümen bis zu Fluxus-artigen Happenings, bei denen die Tänzerin Anat Grigorio ihren vom Publikum bemalten Leib - in der Tradition von Yves Klein - wollüstig über Papierbahnen wälzt.
    Fast allen Nachwuchs-Arbeiten ist ein eklatanter Mangel an Dramaturgie gemeinsam - man findet kein Ende. Während bei den einen das Avantgarde-Konzept hochgehalten und zumindest in der Formensprache Neues probiert wird, so ist bei der Gegenfraktion der politische Anspruch dominant: Satirisch bei Hillel Kogan ("We love Arabs"), penetrant moralisierend und politisch einäugig bei Arkadi Zaides, der Videoaufnahmen von Aktionen böser israelischer Siedler zeigt und dann vortanzt, und triefend harmoniesüchtig bei der einst originellen Yasmeen Godder, die mit ihrem Therapie- und Mitspieltanztheater nun völlig in den Niederungen des Wir-haben-uns-alle-so-lieb angekommen ist.
    Das alles ist zwar bisweilen auch nervend, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier technisch hervorragend ausgebildete Tänzer am Werke sind, die bisweilen eben skurrile Dinge tun. In den großen Kompagnien hätten sie es viel einfacher, weil da ein Zampano den Taktstock schwingt. Aber wenn man das hinter sich hat, ist der Drang zu produzieren, sich als Choreograph bemerkbar zu machen, ungeheuer groß, sagt Claudio Kogon, stellvertretender Direktor des veranstaltenden "Suzanne Dellal Center" in Tel Aviv.
    "Irgendwie wollen die Menschen in diesem Land unbedingt Kunst produzieren. Vielleicht liegt das daran, dass wir hier nicht sicher sein können, morgen noch da zu sein. Deshalb lasst uns das Notwendige lieber heute sagen."
    Will man das Ganze politisch lesen, dann stehen die mit Erde beschmierten Schlangenmenschen der "Sharon Vazanna Dance Group", die sich reptilienartig umkreisen, für das Animalisch-Hasserfüllte des Nahost-Konflikts, der im Moment nur ruht. "Bodies" heißt das Stück - noch hat man jetzt Zeit, die Körper auszuprobieren. Am abgeklärtesten tat das einmal mehr Altmeister Ohad Naharin mit der "Batsheva Dance Company". Da stimmt dann nicht nur die analytische Durchdringung der Bewegungsmuster. Naharin sagt uns einmal mehr: Tanz kann eine große Freiheit sein, gerade in Israel.