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Telematiker im Stau

Wie in jedem Jahr zu Pfingsten können die Kollegen aus der Verkehrsredaktion für ihre Hinweise nur die längsten Staus berücksichtigen. Navigationsgeräte helfen auch wenig, das ganze System müsse schon vernetzt sein, sagen die Experten, die sich in Deutschland und Europa um den Aufbau intelligenter Verkehrstelematik kümmern. Damit könnten 20 Prozent aller Staus auf deutschen Straßen vermieden werden, sagte der Präsident des Zentralverbandes der Elektroindustrie, Edward Krubasik in dieser Woche auf gemeinsam mit dem Branchenverband BITKOM veranstalteten dritten Telematikforum in Berlin. Wolfgang Noelke hat sich dort umgehört.

    Wenn die Verkehrsnachrichten nur noch Staus ab 15 Kilometer Länge berücksichtigen, ist es meistens Ostern oder Pfingsten. Autofahrer kennen das, warten entweder geduldig oder fragen ihr Navigationsgerät:

    "Biegen Sie rechts ab","

    ... könnte einer der Vorschläge sein, doch der hilft auch wenig, denn
    neben der Autobahn, auf der Bundesstraße treffen sich die Navigationsgerätebesitzer wieder. Die erste stur auf rot schaltende Dorfampel stoppt den Verkehr dann total.

    Intelligent wäre es, wenn die Dorfampel wüsste, dass die stille Dorfstraße einen Teil des Umleitungsverkehrs bewältigen muss und wenn die anderen Autofahrer erfahren würden, dass sie auf einem zunächst viel länger erscheinendem anderen Umweg viel eher ihr Ziel erreichen.

    Voraussetzung ist, dass ein Gesamtsystem die Ziele der einzelnen Fahrzeuge kennt, den Standort und die Wege – also alle möglichen Alternativen und deren Auslastung. Die Intelligenz künftiger Verkehrstelematik hänge ab von der Kommunikationsfähigkeit der Fahrzeuge, quasi als "rollende Endgeräte" in einem Gesamtnetz. BITKOM – Vizepräsident Heinz- Paul Bonn empfindet dabei den Vergleich von Verkehrstelematik mit der Funktionsweise des Internet durchaus als passend:

    ""Sie ähnelt nicht nur, sondern es gibt in der Zwischenzeit schon Analogien, die sich dem Internet bedienen. Da gibt es das Internet der Dinge, also den Versuch aufzuzeigen, dass ich in Zukunft Ware versenden kann mit der gleichen Praxis, mit der ich E-Mails versende, wo dann Maschinen miteinander kommunizieren. Und ich verschicke dann ein Paket, denk nicht mehr darüber nach. Das Paket hat einen aktiven Chip und sagt: Hallo, ich bin hier und will da und da hin.
    Ja, es ähnelt! Und wenn wir alle in der Welt über Konvergenz reden, das Zusammenwachsen, dann vollzieht sich das jetzt überall."

    Und so werden auch die Autos zu Datenpaketen – zumindest aus der Sicht der Rechner, die die Verkehrsströme leiten. Nicht ein Rechner, sondern alle Rechner des Gesamtsystems garantieren die Qualität der Intelligenz. Ein wichtiger Faktor dabei ist die Genauigkeit, mit der die Standorte der rollenden Datenpakete, also der Autos ermittelt werden. Dafür sei das heute übliche Global Positioning System, GPS viel zu ungenau.

    Für Harry Evers, in der niedersächsischen Landesinitiative Satellitennavigation, am Forschungsflughafen Braunschweig, zuständig für die Zertifizierung aller technischen mit dem Europäischen Navigationssystem "Galileo" kommunizierender Komponenten wird es Ende des nächsten Jahres spannend, wenn die ersten vier Galileo- Satelliten im Orbit sind. Dann bestünde bereits die Möglichkeit...

    "durch die Mischung von GPS und Galileo – und das wird sicher auch der Standardfall sein, ungefähr immer zwölf, dreizehn, vierzehn Satelliten gleichzeitig zu sehen – und zwar gemischt, GPS und Galileo und es wird gemischte Systeme geben, die beide Satellitensysteme parallel verwenden. Und damit habe ich eine Verfügbarkeit, die unerreichbar ist. Gerade in Großstädten wird es keine Abschattungen mehr geben. Ich habe Systeme, die sich gegeneinander kontrollieren können und damit wären erstmals sicherheitskritische Anwendungen möglich, die Leben retten, die aber auch im Verkehrsmittel sicherheitskritisch angewendet werden; wo ich Abstandsregelungen machen kann, wo ich automatische Landungen von Flugzeugen realisieren kann und wo das Fahren mit den Bahnen autark mit einer intelligenten Lok passiert, wo ich die Infrastruktur an der Strecke reduzieren kann, weil ich sicherheitskritische Anwendungen durch das Galileo, kombiniert mit GPS realisieren kann."

    Dies zwinge die Entwickler dazu, den jahrelangen fruchtlosen Streit um einen eigenen Standard zu beenden und ihre Entwicklungen anzupassen an Gallileo. Autohersteller arbeiten bereits an neuen Komponenten, die schon wirksam seien, wenn nur 15 Prozent der Fahrzeuge damit ausgerüstet wären meint Opel- Vorstandsvorsitzender Hans Demant:

    "Da gibt’s ein paar ganz einfache, wie zum Beispiel, wenn ein Scheibenwischer an ist, kann man davon ausgehen, dass es regnet, oder wenn zum Beispiel jemand langsam fährt oder ab und zu steht, kann man davon ausgehen, dass er im Stop-And-Go-Verkehr ist, wenn er auf einer Autobahn ist. Oder vielleicht extrem: Wenn ein Airbag auslöst, kann man davon ausgehen, dass ein schwerer Unfall stattgefunden hat.
    Diese Informationen sind im Auto autonom vorhanden und können natürlich in dem Moment, wo ich Telematik benutze auch anderen zugänglich gemacht werden."

    Die Warnung ginge dann direkt an die ausgerüsteten Fahrzeuge, sowie an die heute schon üblichen flexiblen Verkehrsschilder. Durch die Langlebigkeit der heutigen Autos allerdings gehöre Verkehrstelematik wohl erst in zwanzig Jahren zum üblichen Standard.