Archiv


"Tell the truth"

Der Theaterautor Marcel Luxinger will den Dingen auf den Grund gehen - so auch in seinem neuen Stück: Für das Theater Basel hat er einen "Voralpen-Heldenstoff" geschrieben.

Von Cornelie Ueding |
    Was so jämmerlich klingt, geht auch gründlich schief. Die kleine PR-Agentur Täschlin & Katz, spezialisiert auf Politikerkarrieren, ist, wieder mal, am Ende. Das "Produkt", der Kandidat der flexiblen Mitte, läßt sich mit den Strategien der Waschmittelwerbung nicht durchsetzen. Der dauerlächelnde Abziehbild-Politiker verliert die Wahl und die Agentur die Lebensgrundlage. Nun ist Brainstorming statt Entlassungen angesagt.

    Euphorisch stürzen sich die Marketing-Profis in die "Aktion Wiesenpieper", die in Analogie zum Modell des untergeschobenen Kuckuckseis entwickelt wurde: nicht mehr, wie bisher, ein Produkt soll beworben werden – sondern eine Figur wird erfunden und dann der Welt, dem Markt, so gekonnt untergeschoben, daß kein Zweifel an ihrem Vorhandensein in der Wirklichkeit aufkommt.

    Und schon erscheint Stella, das gewünschte Objekt der Begierde, in Gestalt einer Kellnerin auf der Bühne, die hier ganz unübersehbar "die Welt", und zwar die ganz und gar medialisierte und globalisierte Welt bedeuten soll. Mit dem Eifer von Pfadfindern im Nachtlager stürzt sich das naiv-professionell wirkende und so auch aufspielende Team auf die spröde Alpenfee, eine Art älplerischer Timoschenko, ausgestattet mit Zopf, Silberblick, Madonnengehabe und: Aura. Und Sätzen wie: "Ich lüge nie". Und wie sie das spricht! Das lässt an eine Mischung aus Eiszeitquell und unbefleckter Empfängnis denken. Doch ach, man konnte es ahnen: Aus Kuckucksei wird Zauberbesen, der sich einfach nicht mehr in die Ecke stellen lässt.

    Aus Stella dem Star wird ein Alb- und Alpentraum. Die Unschuld vom Lande mit ihrem mysteriösen Augenaufschlag und den simplen Wahrheiten, "truths", dem Werben für eine gesellschaftliche Umkehr, für eine kleine, reine, echte Welt – mutiert zu einer Internetikone. Schon läßt sie sich auf einen Pakt mit Politchargen ein, leckt Blut, will Macht. Und aus dem virtuellen Marketing-Spiel wird politischer Ernst, aus dem Medium ein Politstar. Sie redet Profis an die Wand, übernimmt den Parteivorsitz, wird zur Präsidentin gewählt und errichtet eine revolutionär-restaurative, pseudo-authentische Alpenrepublik. Die Schar ihrer "Macher", bisher zynisch intellektuelle Gestalter, spielt mit, zu Handlangern und Mitläufern degradiert.

    Das Stück mit dem anspielungsreichen Titel "Tell the Truth" ist im Auftrag des Basler Theaters entstanden, das damit die neue Spielzeit eröffnet. Ersichtlich geht es dem Autor Marcel Luxinger in der schauerlich schönen Parabel um alle bewegenden Themen der Zeit: Globale Plünderung, Bedürfnis nach Orientierung, Mediendemokratie, Virtualität, Marken-Fetischismus und politischen Populismus. Alles eingearbeitet, in keiner Weise verschlüsselt, auf bedenklich unbedarfte Weise vorgespielt.

    Und dann auch noch Sammy Katz, "die Legende", judenschlau wie eine Stürmer-Karikatur durch die Medienszene gockelnd, Stellas Ziehvater, der Mann, der seine Finger in allen krummen Dingern hat: schrill, denunziatorisch, peinlich – wie übrigens alle Figuren, die wie Karikaturen ihrer selbst über die unglaublich oft, unglaublich aufwendig und weitgehend funktionsfrei umgebaute Bühne klimmen. Als Politfarce, schnell gespielt und kurz, möchte das hingehen. Wäre da nicht dieser degoutant moralisierende, sentimental-visionäre Grundton.

    Wären da nicht die ambitionierten Dialoge in der Art von Abhandlungen, die Regisseur Ronny Jakubaschk brav aufsagen lässt. Soviel Ernsthaftigkeit hätte einen Hauch von Empathie und situativer Glaubwürdigkeit zur Voraussetzung. Aber in Basel werden fast drei Stunden lang nur Comicfiguren in medialen Inszenierungen vorgeführt, die allenfalls müdes Wiedererkennen auslösen. Das um Originalität bemühte Schul-Stück über die Schweiz und nicht nur die Schweiz kommt ohne emotionale Fallhöhe aus, bleibt schematisch und leblos.

    Politisches Theater ist das sicher nicht, auch wenn, ja weil von Politik nur die Rede ist. Und daß die ganze Konstruktion durch einen einzigen Enthüllungsbeitrag, "Qualitätsjournalismus vom feinsten" ad absurdum geführt und aus den Angeln gehoben werden kann, dass die Hochstaplerinnen-Biografie der einstigen Politikone ausreicht, um das System zu entzaubern und die Schar der Verblendeten "aufzuklären" - das ist wohl die realitätsfernste Annahme des so um Zeitgeist bemühten Stücks.