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Tempel in Bedrängnis

Ein Teil des archäologischen Parks im sizilianischen Agrigent ist in teures Bauland umgewandelt worden. Der Schutz kultureller Güter steht dem Gewinnstreben von Investoren gegenüber.

Von Thomas Migge | 20.08.2006
    Piero fährt nach Hause. Er lässt die chaotische Altstadt von Agrigent hinter sich und fährt auf einer neuen Straße immer geradeaus. Nach einer Kreuzung biegt er links ab und parkt seinen Wagen vor dem Eingang zu seinem Haus. Eine stattliche Villa. Sie liegt in einem Villenviertel, das in den letzten Jahren in einem Tal unterhalb der Altstadt errichtet wurde. Pieros Villa verfügt über ein herrliches Panorama. Von seinem Schlafzimmer aus sieht der junge Unternehmer einen Tempel:

    "Das war schon Anfangs ein wenig seltsam. So nah bei diesem Monument. Aber dann haben wir uns daran gewöhnt, und jetzt finden meine Familie und ich das ganz toll. Dass diese Villen so nah an die Tempel gebaut wurden, nun ja, das wird wohl schon seine Richtigkeit haben. Also ich habe das Haus ganz legal gekauft."

    Mag sein, aber die Villa Pieros und seiner Familie steht mitten im archäologischen Park der Tempel von Agrigent. Das sind nicht irgendwelche Ruinen der griechischen Antike. In dem Park erheben sich Sakralbauten, die zu den schönsten und am besten erhaltenen der gesamten griechischen Welt gehören. Der Concordiatempel zum Beispiel. Goethe war während seiner italienischen Reise ganz entzückt von den robusten Säulen und dem wegen ihrer Maße ungemein harmonisch wirkendem Baukörper. Ein dorisches Meisterwerk aus dem 7. Jahrhundert vor Christus. Oder der Tempel des Jupiters, mit seinen Ausmaßen von 113 mal 56 Metern. Der dritte Riese ist der Göttermutter Juno geweiht und wurde im 5. Jahrhundert errichtet. Diese Götterhäuser und andere altgriechische Bauten, die in den letzten 200 Jahren von Archäologen ausgegraben wurden, sind - theoretisch jedenfalls - geschützt. Das Statut eines jeden archäologischen Parks in Italien sieht vor, dass sein Territorium sakrosankt ist. Hohe Strafen drohen jenen, die in einem solchen Park bauen, erklärt der ehemalige Vizekulturminister und Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi:

    "Man kann nicht jedes Mal von Neuem den Leuten erklären, dass ein archäologischer Park nicht bebaut werden darf. Aber doch geschieht es, vor allem in Agrigent. Da wurde ein Teil des Parks in teures Bauland umgewandelt. Die Stadtverwaltung erlaubte das, und die Mafia steckt dahinter. Da regieren Verrückte."

    Verrückt aber einflussreich. Trotz verschiedener Proteste aus dem Kulturministerium in Rom wurden in den letzten Jahren mehrere Villen direkt bei den Tempeln gebaut. Dazu muss man wissen, dass Sizilien eine Region mit Autonomiestatut ist, wie Südtirol. Das bedeutet, dass die Inselregierung in manchen Bereichen machen kann, was sie will - vor allem in punkto Baurecht. Auch wenn die Tempel Weltkulturgut sind und von der nationalen Gesetzgebung geschützt sind, kann es auf Sizilien zur Bebauung von Gebieten kommen, die kunst- oder kulturhistorisch von großer Bedeutung sind - wie eben in Agrigent. Vittorio Sgarbi:

    "Hier kann man wie eine einsame Stimme in der Wüste gegen diese Realität anschreien. Aber so wird sich nichts ändern. Die werden auch weiter im archäologischen Park bauen. Deshalb plädiere ich dafür, dass das Sonderstatut für Sizilien bezüglich wichtiger kunsthistorischer Monumente revidiert wird. Unter der Regierung Berlusconi war das ja nicht möglich, weil auch auf Sizilien Leute der Mitte-Rechts-Parteien den Ton angeben. Ich hoffe, dass die Prodi-Regierung diesen Zustand verändern wird."

    Genau das befürchten die Politiker in Palermo, der Regionalhauptstadt. Denn seit Monaten hagelt es Proteste gegen den Villenbau in Tempelsichtweite, auch international. Die UNESCO in Paris hofft mit ihren Argumenten zum Abriss der Wohnhäuser bei Prodi offene Ohren zu finden. Kulturminister Francesco Rutelli will bald schon einen Präzedenzfall statuieren, denn der Fall Agrigent ist keine Ausnahme. Direkt am Castel del Monte, ein architektonisches Meisterwerk in Apulien errichtet von Stauferkaiser Friedrich II., ist der Bau eines großen Supermarktkomplexes geplant. Im archäologischen Park von Veijo im nördlichen Latium, um ein drittes Beispiel zu nennen, ist mit dem Schweigen der Behörden eine Villenresidenz für Gutbetuchte entstanden - in direkter Nachbarschaft zu etruskischen Nekropolen. Direkt nach der Sommerpause will Kulturminister Rutelli einen Gesetzesvorschlag im Parlament einbringen, der solche Baufrevel ein für alle Mal untersagen soll, auch auf Sizilien, und zwar mit Hilfe eines neuen Gesetzes, das die Inselautonomie im Fall historischer Monumente außer Kraft setzt.

    Aber wie kann die Einhaltung solcher Verbote kontrolliert werden? Das könnte mit Hilfe von Satellitenüberwachung geschehen. Unglaublich aber wahr: Weil die Behörden vor Ort unfähig oder nicht willens sind, den Schutz von Kulturgütern zu garantieren, soll jetzt Hilfe vom Himmel kommen. Sobald in einem archäologischen Park ein Baugrund ausgehoben wird, meldet das der Satellit der Polizei. Die kann dann sofort einschreiten. Gute Aussichten also auch für das Tal der Tempel bei Agrigent. Vorausgesetzt, das neue Gesetz wird auch tatsächlich verabschiedet.