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Terminator for President?

Koldehoff: Warum hat Scharzenegger trotzdem die besten Chancen, heute Abend von einer großen Mehrheit zum neuen Gouvaneur gewählt zu werden?

Claus Leggewie im Gespräch |
    Leggewie: Weil er die schweren Probleme, die Kalifornien exemplarisch hat im Bereich Umweltenergie, im Bereich seines postindustriellen Strukturwandels und dergleichen mehr, weil er diese komplexen und schwierigen Probleme auf ein Minimum an Koordinaten reduziert, nämlich Unterhaltsamkeit gegen das graue Allerlei der Politik, für das eben der nun abzuwählende Gouverneur gestanden hat.

    Koldehoff: Nun könnte man natürlich ganz sauertöpfisch entgegen halten, das sind keine Konzepte.

    Leggewie: Sind es ja auch nicht. Ich glaube nicht, dass in der Freakshow, die da in Kalifornien gegen Gray Davis angetreten ist, irgendeiner mehr Ahnung hat als der nun sehr problematisierte Gouverneur.

    Koldehoff: Wenn Sie von einer Freakshow sprechen, und der Begriff kommt ja nicht von ungefähr, wenn man sieht, dass unter anderem ein amtierender Pornostar, ein Herr, der sich nur in blau kleidet – aus welchen Gründen auch immer – kandidiert, dann stellt sich ja die Frage, was wird denn überhaupt gewählt, wenn nicht ein Programm. Wird eine Ausstrahlung, wird ein Versprechen, werden Muskeln gewählt? Was sind die Kriterien?

    Leggewie: Ja, ich glaube, dass wir eine seit langem anhaltende, aber nun eben sozusagen in Erfüllung gegangene Endstufe von Politik mitverfolgen, das ist die in Erfüllung gegangene Entertainisierung der Politik. Man hat immer gesagt, Politik ist trocken und unspannend, wir müssen sie unterhaltsamer gestalten, das tun ja unsere Politiker auch. Sie müssen sich in den dämlichsten Veranstaltungen des Showbusiness präsentieren. Sie müssen sich Veranstaltungen aussetzen, wie sie jeden Sonntag Abend bei uns im Fernsehen laufen. Das hat ja auch mit Politik nichts zu tun, ich rede jetzt von Sabine Christiansen. Das ist ja Showbusiness im eigentlichen Sinne des Wortes und die Umstellung, die wir haben, ist, dass die Systeme, die sehr stark getrennt waren früher, hier war die Politik, hier war die Unterhaltung und hier war meinetwegen noch die Prominenz. Diese drei Systeme sind völlig ineinander gelaufen. Gewählt wird, wer prominent ist. Und Prominent ist ein Elitenstatus, der nicht mehr an Funktionen oder Reputation oder Leistungen geknüpft ist, sondern einfach nur daran hängt, dass man auffällt. Das ist, was in Kalifornien passiert, das ist Dieter Bohlen in Endstufe.

    Koldehoff: Sprechen wir da über ein ausschließlich amerikanisches Phänomen oder wäre für Sie zum Beispiel auch die Kandidatur von Heiner Lauterbach als Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt denkbar, wenn man das mal weiter denkt, was Sie gerade beschrieben haben?

    Leggewie: Ohne weiteres! Ich habe vor ein paar Jahren, als das Phänomen in den Vereinigten Staaten anfing mit dem Profi-Wrestler Jesse Ventura, als der zum Gouverneur eines doch immerhin bedeutenden amerikanischen Bundesstaates wie Minnesota gewählt wurde und auch als Phänomene wie Schwarzenegger ja schon in der Luft lagen, da habe ich mal spaßeshalber in der Zeitschrift Die Woche vorgeschlagen, Beckenbauer zum Bundespräsidenten zu machen, und da gab es durchaus ernst zu nehmende Resonanz drauf. Das heißt, die Leute haben das für einen ernst gemeinten Vorschlag gehalten. Was eigentlich nur satirisch denkbar war, ist längst möglich geworden und insofern ist das kein rein amerikanisches Phänomen, es ist ein Phänomen, was von den Vereinigten Staaten via Berlusconi, wie aber auch unserem Mediensystem auf Europa überspringt. Berlusconi ist gewissermaßen die alternative Figur zu Schwarzenegger. Es ist niemand, der im Showbusiness selbst präsent gewesen ist, aber er benimmt sich ja hin und wieder wie ein missratender Showmaster, einer, den man nur auf Butterfahrten präsentieren könnte, aber gleichwohl, er tut so. Und er ist eben jemand, der auch Medienprominenz ist, das ist der entscheidende Punkt. Für die politische Elite kommt eben das selbe Kriterium in Frage wie für die Auswahl des Superstars: Man muss prominent sein, man muss pseudo-unterhaltsam sein, diese Dinge zählen, und dann ist das keineswegs auf Hollywood und Kalifornien und die Vereinigten Staaten reduziert.

    Koldehoff: Ist denn wenigstens so etwas wie eine Schmerzgrenze denkbar, wenn es beispielsweise an die Wahl des übernächsten oder überübernächsten Präsidenten der USA geht?

    Leggewie: Ich glaube eher, dass das politische Personal daraus die Konsequenz ziehen wird, dass man sich diesem Treiben noch stärker annähern muss. Das heißt, die Politik wird das Niveau absenken, sie wird weiterhin den Affen geben und sich weiterhin lächerlich machen. Sie wird die Distanz aufgeben und das Ganze als Bürgernähe präsentieren, weil letztendlich ist es so: die Schauspieler sind bessere Schauspieler als die Politiker, also wird man das Original wählen und nicht die Kopien.