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Terror auf See

Wir befinden uns jetzt in der Straße von Malakka, außerhalb der Hafenbucht von Port Klang. Die meisten Schiffe erreichen den Hafen durch den so genannten "Nordkanal", die Passage nördlich jener vorgelagerten Insel dort drüben – wo auch wir uns gerade befinden. Die Schiffe ankern dann im Nord-, im Süd- oder im Westhafen.

Von Thomas Kruchem |
    Patrouillenboot PSC 39 strebt mit inzwischen 25 Knoten auf die offene See. Über das Maschinengewehr hinweg deutet Thara Madurai, Chef der Marinepolizei im malaysischen Bundesstaat Selangor, auf den ruhig dahin fließenden Schiffsverkehr in der Bucht von Port Klang. Am Horizont – wie auf eine Perlenkette gezogen – 15, 16 Schiffe, die zu stehen scheinen. – Die Ruhe jedoch täuscht. Die "Straße von Malakka" zwischen Sumatra und Westmalaysia, mit 60.000 Passagen jährlich einer der wichtigsten Seewege der Welt, ist ein Tummelplatz von Piraten. Weltweit und hier besonders verbreitet sich im frühen 21. Jahrhundert die Piraterie einmal mehr wie eine Grippe-Epidemie. Von 1994 bis 2003 stieg die Zahl bekannt gewordener Piratenangriffe auf Handelsschiffe von 90 pro Jahr auf 445; Jahr für Jahr werden Dutzende Seeleute ermordet. – Weit verbreitet ist in der "Straße von Malakka" so genannte Gelegenheits- oder Armutspiraterie – insbesondere vor der Küste des indonesischen Sumatra, wo politische Instabilität, Massenarmut und Korruption dem Verbrechen Vorschub leisten.

    Wir sehen derzeit sehr viel Gelegenheitspiraterie vor allem im südlichen Teil der "Straße von Malakka". Indonesische Piraten überfallen Schiffe und rauben, was sie können – bewaffnet meist mit kleinen Waffen wie Pistolen und Macheten. – Im Norden der "Straße von Malakka" sehen wir deutlich besser organisierte Piraten – unter ihnen, nach Meinung der indonesischen Regierung, Rebellen, die für die Unabhängigkeit der Region Aceh im Nordwesten Sumatras kämpfen. Viele dieser Piraten sind mit AK 47, manche mit Granatwerfern ausgerüstet. Interessiert sind sie vor allem an Kapitänen und Ingenieuren der von ihnen überfallenen Schiffe – die sie in Geiselhaft nehmen und erst nach Zahlung eines Lösegelds freilassen.

    Noel Choong, Leiter des "International Maritime Bureau", IMB in Kuala Lumpur. Das IMB, ein Organ der "Internationalen Handelskammer", entwickelt vorbeugende Maßnahmen gegen Piraterie; es unterhält eine Hotline und dokumentiert Piraterie. – "Uns bereiten vor allem professionelle Piraten Sorge", sagt Noel Choong; Piraten, die Schiffe und Mannschaften entführen. – Eine solche Entführung gehe in der Regel von einem Mutterschiff aus, erklärt in London IMB-Chef Pottengal Mukundan, von einem unauffällig aussehenden Fischtrawler oder Frachtschiff.

    Das Mutterschiff lässt ein Speedboat zu Wasser, besetzt mit typischerweise sieben bis zehn schwer bewaffneten Piraten, davon einige, in der Regel, militärisch ausgebildet. – Blitzschnell klettern die Piraten an Bord, wo sie sich sofort der Kontrollzentren des Schiffs, der Brücke und des Maschinenraums, bemächtigen. Anschließend wird die Crew umgebracht, in einem kleinen Boot ausgesetzt oder auf das Mutterschiff der Piraten verbracht. Diese versehen das gekaperte Frachtschiff mit einer komplett neuen Identität – mit gefälschten Papieren für Schiff und Ladung, mit gefälschten Pässen für die neue Crew. Mit neuem Namen und unter neuer Flagge steuert schließlich das Schiff einen zuvor festgelegten Hafen an – wo auf die Ladung, die meist mehrere Millionen Dollar wert ist, bereits ein Käufer wartet.

    Einen nicht kommerziellen, sondern eher ideologischen Hintergrund hat die vielleicht bedrohlichste Form der Piraterie: der bislang wenig beachtete Terror auf See. Experten verweisen darauf, dass vor allem in Südostasien islamische Rebellen- und Terrororganisationen auch auf hoher See operieren – die Aceh-Rebellen vor Sumatra etwa, die philippinische "Abu Sayyaf" in der Sulu-See. Solche Terroristen könnten in der "Straße von Singapur", dem Wurmfortsatz der "Straße von Malakka", Tanker voller Öl, Chemikalien oder Flüssiggas in die Luft jagen. – Um dem, so weit möglich, vorzubeugen, setzt Polizeikommandeur Thara Madurai neben seinen Patrouillenbooten modernste Elektronik ein.

    Es handelt sich um ein Radarnetzwerk, das von der Küste des malaysischen Bundesstaates Selangor bis hoch zur Küste Singapurs reicht. Es überwacht unsere West- und einen kleinen Teil der Ostküste. Neun mit Glasfaserkabeln verbundene Radaranlagen scannen unsere Seite der Straße von Malakka, die Sie sich als imaginäre Autobahn vorstellen können. Jedes Schiff über 500 Tonnen muss sich bei diesem System anmelden und wird, solange es die Straße von Malakka befährt, von uns überwacht. – Nähert sich dem Schiff dann ein unbekanntes Objekt, fragen wir gleich: "Könnt Ihr das Objekt 800 Meter westlich von Euch identifizieren?" Mit Hilfe der Crews überprüfen wir so jede Menge kleinerer Boote und mobilisieren nötigenfalls unserer Patrouillen – zum Beispiel, wenn ein unbekanntes Speedboat mit 30 Knoten durch die Straße von Malakka rast. Solche Boote unterscheiden wir auf dem Radarschirm übrigens leicht von Fähren, die sich ja auch bei unserem System anmelden müssen.

    Die engmaschige Überwachung zeitigt erste Erfolge. Piraten lassen sich seit Anfang 2004 in malaysischen Gewässern kaum mehr blicken. Während die indonesische "Straße von Malakka" vorläufig unsicher bleibt, hat sich, wie in Malaysia, auch in den Organisationen der internationalen Schifffahrt ein neues Sicherheitsbewusstsein entwickelt. So schreibt seit Juli 2004 eine Richtlinie der UN-Schifffahrtsbehörde IMO konkrete Sicherheitsmaßnahmen für Schiffe und Häfen vor. Ab 2006 soll eine individuelle IMO-Nummer, die tief in die Außenwand eines Schiffes eingeprägt wird, kriminellen Identitätswechsel erschweren. – "Immer mehr Länder ziehen mit im Kampf gegen die Piraterie", meint IMB-Chef Mukundan voller Hoffnung, "sogar China."

    In den späten 90er Jahren war China ein bevorzugtes Ziel für von Piraten entführte Schiffe und Ladungen. Das änderte sich, als Chinas Polizei einen hohen Beamten des Pekinger Ministeriums für öffentliche Sicherheit verhaftete und als Chef einer Hehlerbande anklagte. – Heute traut sich kein Pirat mehr, ein Schiff nach China zu bringen – weil er weiß, dass Piraten dort hingerichtet werden.