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Terror-Experte: Man hat sich an unnötigen Dingen aufgehalten

Vor einem Jahr flog die Neonazi-Terrorzelle NSU auf. Seitdem habe die Bereitschaft zur Aufklärung der Morde bei den Sicherheitsbehörden zugenommen, es gäbe nun zum Beispiel ein Abwehrzentrum gegen rechts, sagt der Terror-Experte Rolf Clement. Man habe sich jedoch auch sehr lange an Peinlichkeiten wie Aktenvernichtungen aufgehalten.

Rolf Clement im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 03.11.2012
    Jürgen Zurheide: Morgen jährt sich jener Tag, an dem die sogenannten NSU-Morde aufgedeckt wurden. Seither reibt sich die deutsche Öffentlichkeit immer mal wieder die Augen, weil man feststellt, dass quasi unter den Augen der Sicherheitsbehörden eine Mordbande durch Deutschland ziehen konnte und viel, viel Unheil anrichten konnte. Es ist eine schwere Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden, das hat Heinz Fromm zum Beispiel gesagt, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

    Wir wollen diesen Jahrestag, diesen entsetzlichen Jahrestag zum Anlass nehmen und wollen fragen: Hat sich denn irgendetwas geändert? Und die Frage wollen wir erwägen mit unserem Kollegen Rolf Clement, der fachkundig ist wie kein anderer. Guten Morgen, Herr Clement!

    Rolf Clement: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Clement, fangen wir mal damit an: Was hat sich zunächst institutionell geändert? Es gibt jetzt sozusagen eine große Behörde, eine große Datei – was hat sich da geändert?

    Clement: Na ja, das ist keine neue Behörde, das ist ein Abwehrzentrum gegen rechts. So etwas gibt es ja in Berlin auch schon gegen den islamistischen Terrorismus, und das hat man hier in Bonn und Köln, das wechselt zwischen der Bonner Residenz des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln. Die tagen mal da und mal dort, kleiner Umzug jede Woche fällig, und da arbeiten sämtliche in diesem Bereich tätigen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder zusammen.

    Die sitzen da und tauschen ihre Erkenntnisse aus, schauen nach, wer ermittelt wo, wer fahndet wo, wo kann man gerade neue Erkenntnisse entdecken, die auch für andere wichtig sind. Und das soll, nach allem, was man hört, schon sehr hilfreich gewesen sein jetzt bei der Nachaufklärung dieser Mordserie und auch bei Fällen, die sich jetzt neu auftun – also in diesem Bereich scheinen die Sicherheitsbehörden deutlich effektiver arbeiten zu können, als das vorher der Fall war.

    Und man hat etwas umgestellt, man hat etwas umgestellt von der Fahndungsart her: Man hat bisher immer entlang von Organisationen gefahndet, man hat jetzt umgeschaltet eher auf Personen. Man schaut, welche Personen sind da, wo bewegen die sich, und kommt auf diese Art und Weise dann erst auf die Organisationen, und das ist die gleiche Methode, die man auch im islamistischen Terrorismus angewandt hat und die ja dort auch zu beachtlichen Erfolgen geführt hat. Und dann gibt es eben eine neue Datei, das hängt mit diesem gemeinsamen Abwehrzentrum zusammen, in der alles gespeichert wird, was sich da auf der rechten Szene tummelt.

    Zurheide: Das sind die organisatorischen Änderungen. Viele, die das beobachten und aufarbeiten, zum Beispiel in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, die es in unterschiedlichen Orten und Ländern gibt, die sagen, vieles hat im Kopf zu beginnen, man muss die Vorurteile, die man möglicherweise gehabt hat aufseiten der Sicherheitsbehörden, die müsste man ausschalten künftig. Das kann man natürlich nicht auf Knopfdruck, oder wie gehen die Behörden damit um, dass sich da was ändern musste?

    Clement: Nein, das kann man natürlich nicht per Knopfdruck, und es betrifft auch sicherlich nicht alle Verfassungsschutzorganisationen, die in Thüringen ist da vielleicht eine, die etwas anders gestrickt ist als die anderen. Es ist einfach eine Gewichtung gewesen. Man hat nicht gedacht oder hat es für unmöglich gehalten, dass sich eine derartige rechtsterroristische Gang in Deutschland bewegen kann und hat deshalb natürlich aufgrund der gegenwärtigen Bedrohungsanalysen, die alle geteilt haben damals, das sollte man jetzt nicht unter den Teppich kehren, hat man gesagt, wir müssen viel stärker in Richtung Islamismus, islamistischer Terrorismus fahnden, das ist der eigentlich gefährlichere Teil.

    Und wir wissen, dass über hundert ausgebildete, in Terrorlagern ausgebildete Schläfer in Deutschland leben. Das ist eine Bedrohung, auf die man ganz gewaltig achten muss. Und hat dabei die Leute ein bisschen von der Beobachtung der rechten Szene abgezogen. Das war sicherlich in dem Ausmaß, wie man es gemacht hat, im Nachhinein gesehen nicht richtig. Da hätte man genauer aufpassen müssen. Und ich glaube nicht so sehr, dass das eine Sache mentaler Einstellung von Verfassungsschützern ist, sondern dass es eher in diesem geschilderten Vorgang seine Ursache hat.

    Zurheide: Dann gibt es vonseiten der Politik hin und wieder die Klage – und meine Frage ist, ob diese Klage berechtigt ist –, dass die Sicherheitsbehörden nicht nur Fehler begangen haben, sondern sie sich auch noch schwer tun, sie einzuräumen. Ich habe gerade das Gegenteil genannt, Heinz Fromm, aber der ist es nun mal nicht mehr, der hat gesagt, das ist eine schwere Niederlage gewesen. Wie würden Sie das bewerten? Geht man ausreichend selbstkritisch in den Behörden damit um, was man da wirklich falsch gemacht hat?

    Clement: Das ist inzwischen sicherlich ein Punkt – die Aufklärung wird inzwischen mit allem Nachdruck auch von den Behörden betrieben, und es gab natürlich in diesem Jahr den einen oder anderen, der gesagt hat, Menschenskinder, da kommen Dinge raus, die man vielleicht gar nicht rauskommen lassen will, und da gibt es den einen oder anderen Hinweis darauf. Es gab schon den einen oder anderen, der nicht so aufklären wollte oder nicht so aufgeklärt hat, wie das eigentlich wünschenswert gewesen ist.

    Nun haben, Sie sagten es, das Bundesamt für Verfassungsschutz hat eine neue Spitze, hat einen neuen Präsidenten. Ein solcher Präsidentenwechsel, ohne dass ich jetzt sagen will, dass Heinz Fromm die Aufklärung nicht betrieben hat, die hat er auch aktiv betrieben, aber so ein Wechsel führt natürlich immer zu frischem Wind auch gerade in solchen Dingen, und dazu, dass man dann da auch noch stärker arbeitet. Es hat schon eine Zunahme an Bereitschaft gegeben, das aufzuklären. Allerdings muss man auch sagen, dass das, was manchmal aus der Politik dann da von den Untersuchungsausschüssen gekommen ist, auch nicht immer sozusagen genau auf den Punkt abzielte, aufzuklären, warum das jetzt so passiert ist.

    Da hat man sich sehr lange an peinlichen und völlig unnötigen Dingen aufgehalten wie Aktenvernichtungen, die sicherlich nicht die Ursache der Vertuschung hatten. Denn wenn man die Akten sich anguckt, und es gibt ja überall Informationen darüber, was darin steht, stand da nichts so Wichtiges drin, dass man sich darüber wochenlang hätte aufregen können. Das waren Peinlichkeiten, darüber muss man gar nicht reden, aber für eine politische Aufklärung waren sie relativ unwichtig.

    Zurheide: Das war der Kollege Rolf Clement mit Einschätzungen und Hinweisen: Was hat sich denn möglicherweise geändert am Jahrestag, der morgen begangen wird zu den NSU-Morden? Herr Clement, herzlichen Dank für das Gespräch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.