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Terror im Namen des Staates

Für die Erfolgsstatistik der kolumbianischen Armee zählt nur eines: die Anzahl der toten Guerilleros. Damit die Bilanz für Präsident Uribe stimmt werden auch Zivilisten entführt, ermordet und danach als gefallene Guerilleros präsentiert. Seit mehr als 40 Jahren bekriegen sich in Kolumbien, rechtsextreme- paramilitärische Milizen, mehrere links-extreme Guerilla-Gruppen und die Armee.

Von Peter B. Schumann |
    "25 Offiziere wurden in den Ruhestand versetzt" - berichtet der Reporter, "unter ihnen drei Generäle, vier Oberste, sieben Oberstleutnants und drei Majore. Der Grund: im Norden der Provinz Santander waren die Leichen von elf Jugendlichen in einem Massengrab entdeckt worden. Die Untersuchungskommission der Streitkräfte hat diese Morde auf ein Komplott zwischen Kriminellen und Angehörigen der Armee zurückgeführt."

    Weitere Nachforschungen ergaben, dass dies kein Einzelfall, sondern militärische Praxis war. Deshalb sah sich der kolumbianische Staatspräsident im Oktober 2008 gezwungen, persönlich zu diesem Akt von Staatsterror Stellung zu nehmen.

    "Sie glaubten wohl, sie könnten Unschuldige ermorden lassen, um den Anschein zu erwecken, sie hätten Verbrecher beseitigt, während sie wirklich Kriminelle benutzten, um diese Untaten zu begehen."

    Peinlich war nur: Die Auftraggeber stammten aus den Reihen jener Armee, die Monate zuvor in einer sorgfältig geplanten Aktion eine Gruppe von Geiseln, unter ihnen Ingrid Betancourt, befreit hatte. Den Streitkräften war es im letzten Jahr auch gelungen, dem anderen Verursacher von Terror, den Aufständischen der FARC, beträchtliche Schläge zufügen. Unter Erfolgszwang standen die Militärs eigentlich nicht. "Körper zählen" nannten sie ihre gängige Methode der Verbrechensbekämpfung.

    "Diese Taktik der Armee hängt mit dem Plan 'Demokratische Sicherheit' der Regierung zusammen. Er verlangt von ihr höchste Effizienz im Kampf gegen die Guerilla", erklärt Augustín Jiménez, der Sprecher der Koordination der kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen.

    "Die Regierung scheint Wirksamkeit nach der Anzahl von Toten zu berechnen, denn dafür gibt es Prämien. Diese Jugendlichen wurden extra in eine Konfliktzone verschleppt, wo sie angeblich als Guerilleros im Kampf mit dem Militär umgekommen sind."

    Man nennt dies "außergerichtliche Hinrichtung". Die Militärs führen sie nicht selbst durch, sondern kooperieren dazu mit Paramilitärs oder der Drogenmafia, die sie eigentlich bekämpfen sollen. Gehen sie dabei "effizient" vor, dann werden sie rascher befördert. Das belegen jüngst frei gegebene Dokumente aus dem Nationalen Sicherheitsarchiv der USA in Washington. Der CIA hat es dokumentiert. Der militärische Alliierte im Norden wusste also seit langem von diesen Verbrechen. Präsident Uribe zog nun die Notbremse, damit seine Popularität keinen Schaden nimmt, und opferte sogar den Oberkommandierenden der Streitkräfte, der die Operation Betancourt geleitet hatte.

    "Die letzten Diskussionen über die Opfer militärischer Taktik, besonders über die elf Jugendlichen, haben zu diesem Schritt geführt", so die Reporterin von Radio Caracol.

    "Aber auch andere Ereignisse in der vierten Division und fehlgeschlagene Einsätze in Zusammenarbeit mit der Polizei haben wohl das Fass zum Überlaufen gebracht und General Mario Montoya Uribe zum Rücktritt veranlasst."

    Er galt als ein besonderer Vertreter der Hinrichtungs-Praxis. Die Anti-Terror-Politik von Präsident Uribe hat zwar einzelne Städte und ganzen Regionen sicherer gemacht, weil der Staat dort wieder Präsenz zeigt. Doch die Menschenrechte wurden dabei oft vergewaltigt.

    "Diese Regierung glaubt, dass die Menschenrechte nicht zu den Grundprinzipien eines Staates zählen" - so Augusto Jiménez.

    "Wir aber sind der Überzeugung, dass ein Rechtsstaat neue Türen öffnet. Die Regierung hält ihn dagegen für das Einfallstor der Guerilla. Sie hat auch fortgesetzt die Verfassung von 1991 ausgehöhlt und ist dabei, die demokratischen Rechte immer mehr einzuschränken. Sie hat die Gerichte mit willfährigen Leuten besetzt. Nur den Obersten Gerichtshof konnte sie bisher nicht kontrollieren. Dafür attackiert sie ihn ständig und behauptet auch, er würde den Terrorismus unterstützen."

    Dabei sind noch keiner kolumbianischen Regierung so viele Beziehungen zur rechten Terrorszene nachgewiesen worden wie der von Präsident Uribe. Gegen 50 Abgeordnete der Regierungskoalition wird deshalb ermittelt. Die Vorsitzenden von zwei ihrer Parteien sitzen im Gefängnis. Außenministerin Araújo musste zurücktreten, weil ihr Vater und ihr Bruder beste Beziehungen zu Paramilitärs unterhielten und wohl auch einen Auftragsmord erteilt haben. Der Bruder von Innenminister León Valencia und Staatsanwalt in Medellín wurde als Mitglied eines kriminellen Netzwerks inhaftiert. Santiago und Mario Uribe, Bruder und Cousin des Präsidenten, sollen einen Paramilitär als Belastungszeugen gegen den Obersten Gerichtshof bestochen haben. In diesem Umfeld werden die Menschenrechte systematisch ignoriert.

    "Die Zahl verschleppter Personen ist gestiegen, Armee und Paramilitärs sollen dafür verantwortlich sein", so Augusto Jiménez.

    "Viele Leute werden denunziert, weil es auch dafür Prämien gibt. Sie bleiben ohne Verfahren lange in Haft und werden oft gefoltert, um Informationen über die Guerilla zu erpressen. Die Vertreibungen haben 2008 weiter zugenommen und die Zahl von 300.000 überstiegen. Und dazu kommen die Hinrichtungen durch die Armee. Sie war bisher schon mit 7,5 Prozent an den Menschenrechtsverletzungen beteiligt und hat jetzt einen Anteil von 15 oder 16 Prozent."

    Kolumbien ist in vielen Bereichen sicherer und deshalb für Investoren wieder attraktiv geworden. Aber eine "demokratische Sicherheit" - wie sie Präsident Uribe gern betont - ist das nicht. Das zeigt der Fall der deutschen Menschenrechtlerin Friederike Müller. Sie war von kolumbianischen Organisationen eingeladen worden, um die Auswirkungen von Menschenrechtsverletzungen im Valle del Cauca zu untersuchen, einer besonders konfliktreichen Gegend des Landes. Als sie am 1. Oktober 2008 Aktivisten bei einer Demonstration begleitete, wurde sie vom Sicherheitsdienst DAS festgenommen und später des Landes verwiesen. Sie habe angeblich "die nationale Sicherheit und den sozialen Frieden gefährdet". Wenig später erfuhr sie aus der Presse:

    "Präsident Uribe hat nach meiner Ausweisung sowie nach der Ausweisung zwei weiterer Franzosen Stellung dazu genommen, indem er öffentlich verlauten ließ, dass wir nicht ausgewiesen hätten werden sollen, sondern lieber im kolumbianischen Gefängnis sitzen und auf einen Prozess warten sollten, da Menschen wie wir im Land zur Gewalt aufrufen und im Ausland die Wahrheit verdrehen würden. Wenige Wochen nach meiner Ausweisung erhielt das Solidaritätsnetzwerk, in dem ich gearbeitet habe, schriftliche Morddrohungen durch kolumbianische Paramilitärs, die besagten, wenn wir unsere Arbeit nicht ruhen lassen, würden wir bald das Schicksal von anderen ermordeten Gewerkschaftlern im Land erleiden."

    Das zeigt, wie schwer es Menschenrechtler in Kolumbien haben. Und es entspricht auch der Taktik der Regierung: Sie kriminalisiert all jene beliebig, die sich ihrem Verständnis von demokratischen Rechte widersetzen.