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Terror in Burkina Faso
Ein Land in Angst

Burkina Faso steht noch immer unter Schock. In den vergangenen Wochen waren Kirchen und Prozessionen Anschlagsziele, Geistliche wurden entführt. Bisher galt der westafrikanische Staat als beispielhaft für ein friedliches Zusammenleben zwischen Religionen und Ethnien. Das gerät nun ins Wanken.

Von Katrin Gänsler | 07.06.2019
In Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, sind nach einem Terrorangriff dichte Rauchsäulen zu sehen.
Angriff in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. (AFP / Ahmed Ouoba)
Die Angst im Land nehme zu, sagt François Paul Ramdé. Er ist Koordinator der "Geschwisterlichen Union der Gläubigen von Dori". Die Stadt liegt im Nordosten am Rande der Sahelzone.
"Für uns ist der Druck Wirklichkeit, weil die christliche Gemeinschaft in der Minderheit ist. Es ist ein Druck, der jeden betrifft, wenn er einer Minderheit angehört. Wenn es irgendwo Probleme gibt, dann sind diejenigen, die in der Unterzahl sind, gefährdet."
In dem Gespräch, das aus Sicherheitsgründen in der Hauptstadt Ouagaodougou stattfindet, möchte er jedoch auch klarstellen:
"Man darf die Religion nicht kriminalisieren. Selbst wenn die Religion benutzt und es nach einem Konflikt zwischen Christen und Muslimen aussieht, ist das nicht so. Nicht nur Katholiken oder Protestanten sind entführt worden. Im gleichen Zeitraum wurde etwa die Mutter eines traditionellen Herrschers entführt. Heute ist jeder in Gefahr, der eine öffentliche Funktion hat."
"Es gibt keine Gerechtigkeit"
In Burkina Faso, das gut 19,7 Millionen Einwohner hat, sind alleine zwischen November 2018 und März 2019 knapp 500 Menschen ums Leben gekommen. Das schätzt die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation ACLED. Sie sammelt Daten zu Konflikten weltweit und bescheinigt auch den Nachbarstaaten im Sahel, Mali und Niger, eine alarmierende Entwicklung. Issa Diallo, der für ein nationales Wissenschaftszentrum arbeitet, nimmt die Regierung in die Verantwortung.
"Mitunter sieht man Menschen in den Polizeistationen, die verhaftet wurden, dann aber wieder freigelassen werden. Es gibt keine Gerechtigkeit. Bei umgekehrten Fällen sollen die Polizisten jemanden verhaften, bringen ihn aber um. In Wirklichkeit hat die Bevölkerung kein Vertrauen in die Regierung."
Das würde sich auch bei der Bekämpfung von islamistischen Terrormilizen zeigen, so Diallo:
"Die Dschihadisten sind eine reelle Bedrohung. Auch hier gibt die Regierung eine schlechte Figur ab, und man fragt sich warum. Ich bin überzeugt: Würde heute gewählt werden, würde die Menschen in einigen Teilen des Landes eher für die Dschihadisten stimmen. Zum Schaden des Staates. Kommen die Dschihadisten und ermorden jemanden – etwa jemanden, der sie beleidigt hat oder mit dem Staat kollaboriert – dann kennt man immerhin den Grund dafür."
Deals mit Terrorgruppen
Es ist ein ernüchterndes Fazit der Regierung unter Präsident Roch Marc Christian Kaboré. Sie ist seit 2015 an der Macht und löste Langzeitherrscher Blaise Compaoré ab. Ihm wird vorgeworfen, Deals mit Terrorgruppen geschlossen zu haben. Burkina Faso wurde zu ihrem Rückzugsort, weshalb sie das Land, anders als die Nachbarstaaten, über Jahre mit Angriffen verschonten.
Hinter einigen der aktuellen Attacken könnte die malische Unterstützergruppe des Islams und der Muslime – kurz JNIM – stecken. Sie ist seit 2017 ein Zusammenschluss von Ansar Dina, der Befreiungsfront Macina sowie Al-Mourabitoun. Im Parlamentsgebäude in Ouagadougou will sich Bienvenue Ambroise Bakyono jedoch nicht zu Spekulationen äußern. Der Abgeordnete der regierenden Bewegung der Menschen für den Fortschritt ist stellvertretender Präsident der Verteidigungs- und Sicherheitskommission.
Er sagt: "Ohne Beweise können wir niemanden beschuldigen. Sicher ist: Die Attacken destabilisieren das Land und stellen sogar dessen Existenz in Frage."
Die Attacken können mittelfristig auch die Beziehung zwischen Muslimen und Christen beeinflussen. Rund 60 Prozent der Einwohner bekennen sich zum Islam, die übrigen 40 Prozent sind Mitglieder verschiedener christlicher Kirchen sowie Anhänger traditioneller Religionen. Das friedliche Zusammenleben gilt bisher in der ganzen Region als vorbildlich. Kämpfe um eine Vormachtstellung oder eine Abschottung gab es nicht.
Die muslimische Schwester des Kardinals
Auch für den katholischen Erzbischof von Ouagadougou, Kardinal Philippe Ouédraogo, ist es selbstverständlich, dass in einer Familie Christen und Muslime leben.
"Eine meiner Schwestern ist gestorben, die Muslimin war. Ich selbst bin katholischer Bischof. Sie ist Muslimin geblieben. Ein Teil ihrer Kinder bekennen sich zum Islam, der andere zum Christentum. Wir haben an der muslimischen Zeremonie sieben Tage nach ihrem Tod teilgenommen. Die Muslime haben gebetet, uns zum Schluss ebenfalls das Wort erteilt. Wir sollten unser Beileid bekunden und ebenfalls beten."
Wegen dieser Strukturen hat sich nach Einschätzung des Kardinals das Verhältnis zwischen den Religionen bisher nicht verändert. Wichtig sei jedoch ein großes Netzwerk, das über Religionsvertreter hinaus geht. Kardinal Ouédraogo:
"Wir als religiöse Meinungsführer haben entschieden, eng mit traditionellen Herrschern zusammen zu arbeiten. Dafür haben wir ein formelles Gremium geschaffen. Geschieht etwas, dann treffen wir uns bei dem Mogho Naba, dem traditionellen Herrscher."
François Paul Ramdé, der seit Jahren auf lokaler Ebene verschiedene Ethnien und Anhänger zahlreicher Religionen zusammen bringt, ist skeptischer:
"Innerhalb der Familie gibt es kein Vertrauen mehr, was schlimm ist. Wenn man etwas zu besprechen hat, schaut man genau, wer zuhört. Man weiß nicht, ob jemand vielleicht die andere Seite unterstützt."
Genau das kann das Land, das auf Platz 183 von 189 im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen liegt, weiter spalten. Davon profitieren würden Terrormilizen, Banditen und das organisierte Verbrechen.