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Terror in der Sahelzone
Fatale Verbindung von Politik und organisiertem Verbrechen

Anschläge durch Boko Haram sind Alltag im Grenzgebiet zwischen Burkina Faso, Mali und Niger. Immer weitere Teile der Sahelzone und Westafrikas werden vom Terrorismus erfasst. Die Bundesregierung will Geld geben für Entwicklungshilfe und eine Sondereinheit, doch das Problem liegt viel tiefer.

Von Jens Borchers | 19.08.2017
    Blick auf das Splendid-Hotel in Ouagadougou, Burkina Faso, nach dem Ende der Geiselnahme.
    Ende einer Geiselnahme 2016 in Ouagadougou, Burkina Faso. Einst stabile Länder werden überzogen von Terror. Die Ursachen liegen aber zum großen Teil an der Politik, die Machthaber vor Ort betreiben, sagen Beobachter. (picture alliance / EPA / Wouter Elsen)
    Am Tag nach dem Anschlag von Ouagadougou kommt eine Bankangestellte zur Arbeit. Genau in der Straße, in der Terroristen am Abend zuvor 18 Menschen ermordet und viele weitere verletzten. Ihre Reaktion: "Man darf ihnen nicht den Gefallen tun und sich von der Angst lähmen lassen. Ouagadougou lebt weiter, als wäre nichts passiert."
    Die Bankangestellte weigert sich, dem nachzugeben, was die Terroristen erreichen wollen: Panik hervorrufen, Angst erzeugen, Gesellschaften spalten.
    Ein bislang stabiles Land "gewöhnt sich an den Dschihadismus"
    Im Norden von Burkina Faso, im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Mali und Niger, sieht die Lage anders aus. Seit Anfang des Jahres hat es dort schon über zwanzig Attentate gegeben, mehr als 50 Menschen wurden getötet. Dazu kommen noch Überfälle auf Dörfer, bei denen einfach geplündert wurde. Schulen sind geschlossen, Menschen ziehen aus der Gegend weg – die Angst ist zu groß.
    Bakary Sambe forscht seit Langem zum Extremismus in Westafrika. Burkina Faso war bis vor zwei Jahren ein weißer Fleck auf der Landkarte des Terrorismus in der Region. Dann gab es 2015 den ersten Anschlag:
    "Burkina Faso war bis dahin eine Ausnahme. Dieses erste Attentat beendete diese Phase. Seitdem beginnt das Land sich an das Phänomen des Dschihadismus zu gewöhnen. Und das geschieht in einem Land, dass bisher stabil war und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt hatte."
    Boko Haram-Attacken: Anschläge und Überfälle auf fünf Länder
    Das Nachbarland Niger erlebt im Westen seines Staatsgebietes Anschläge und Überfälle von Al Kaida-nahen Gruppen. Im Südosten attackieren Boko Haram-Terroristen. Davon sind auch der Tschad, Kamerun und Nigeria betroffen. Boko Haram kümmert sich nicht um Staatsgrenzen. Deshalb formten die fünf von Boko Haram betroffenen Länder eine gemeinsame Truppe von Soldaten, etwa 9.000 Mann stark.
    Ein Plakat der regierenden Partei APC fordert in Nigeria zum Kampf gegen die Terrorsekte Boko Haram auf
    Plakate für den Kampf gegen die Terrorsekte Boko Haram. (AFP / PIUS UTOMI EKPEI)
    Genau das wollen Burkina Faso, Niger, Mali, Mauretanien und Tschad jetzt auch tun: Sie haben sich zur Gruppe der G5-Sahel-Staaten zusammengeschlossen. Sie alle sind von Angriffe durch Dschihadisten und bewaffnete Banden betroffen. Die fünf Staaten wollen eine mindestens 5.000 Soldaten umfassende Truppe, um den Dschihadismus zu bekämpfen. Denn bisher, sagt Extremismusforscher Bakary Sambe, sieht die Lage allein Burkina Faso so aus:
    "In Burkina Faso sind es mindestens sechs Gruppen, die sich an den Attacken beteiligen: Ansar Dine, die Front zur Befreiung von Macina, der Islamische Staat der größeren Sahara, Ansarul Islam gehören dazu. Gleichzeitig erlebt Burkina Faso unterschiedlichste Militäroperationen, um dagegen anzukämpfen. Im Osten und im Norden des Landes, teilweise auch in Zusammenarbeit mit Truppen aus Togo."
    Es fehlt Geld für die Spezialeinheit der G5-Sahel-Staaten
    Eine gemeinsame Spezialeinheit der G5-Sahel-Staaten soll diese Zersplitterung im Anti-Terror-Kampf beenden. Deutschland und Frankreich unterstützen das. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte Ende Juli bei einem Besuch in der Region:
    "Uns ist vor allem der breite, nachhaltige Ansatz wichtig und dass die Region auf Dauer in der Lage ist, selber Sicherheit für ihre Bevölkerung herzustellen. Deshalb ist auch der Ansatz der G5-Staaten von Sahel so wichtig, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, selber, durch eigene Truppen, den Terror grenzüberschreitend zu bekämpfen. Dieser Ansatz ist vollkommen richtig und wird deshalb auch von uns in breiter Form unterstützt."
    Deutschland und Frankreich suchen Sponsoren für Anti-Terror-Einheit
    Deshalb versuchten die Regierungen Frankreichs und Deutschlands Geldgeber zu finden. Denn die grenzüberschreitende Anti-Terror-Einheit für den Sahel kostet schätzungsweise 400 Millionen Euro pro Jahr. Die fünf beteiligten Sahel-Staaten sagen, sie können gemeinsam nur 50 Millionen pro Jahr aufbringen, die Europäische Union will ebenfalls 50 Millionen Euro dazu geben. Woher der Rest des Geldes kommen soll – das ist unklar. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wurde das Projekt gut geheißen. Finanzielle Unterstützung werde es aber nicht geben.
    Das liegt auch daran, dass die Pläne bisher noch ziemlich nebulös sind. Welche Kommando-Strukturen soll die Truppe haben. Mit wem soll sie zusammenarbeiten? Mit welchem Ziel?
    Bisher kämpft eine Anti-Terror-Einheit der Franzosen in den Sahelstaaten gegen Dschihadisten. Diese Operation Barkhane bemüht sich seit Jahren um eine Eindämmung der Terror-Gefahr. In Mali soll die Stabilisierungstruppe der Vereinten Nationen für mehr Sicherheit sorgen. Immerhin 15.000 Frauen und Männer stark.
    Ein Diplomat spricht von Korruption und wird gefeuert
    Laurent Bigot hat mal als französischer Diplomat in Mali gearbeitet. Dann sagte er öffentlich Dinge, die in Paris überhaupt nicht gerne gehört wurden: Der malische Staat "sei korrupt bis hinauf in den Präsidenten-Palast", hatte Bigot unter anderem gesagt. Das beendete seine Diplomaten-Laufbahn, heute arbeitet er als Forscher und Berater. Über die internationalen Sicherheitsoperationen im Sahel im Allgemeinen und in Mali im Besonderen, fällt Laurent Bigot ein vernichtendes Urteil:
    "Die Wirklichkeit ist: Die gesteckten Ziele wurden nie erreicht. Weder im Norden von Mali noch in der Sahelzone. Der Norden und das Zentrum von Mali sind quasi außer Kontrolle. Die Operationen, die diese Zonen sichern sollten, sind fehlgeschlagen. Noch nie gab es ein derartiges Niveau an Gewalt in Mali wie heute."
    Ursachen für Extremismus: korrupte Politiker und ihre kriminellen Finanziers
    Bigot meint, dass Frankreich und andere Staaten der Internationalen Gemeinschaft die Bedrohung in der Sahelzone zumindest in der Öffentlichkeit falsch diagnostizieren: als Bedrohung fanatischer Islamisten. Laurent Bigot verortet die Ursachen für den Extremismus aber zu einem großen Teil in der Politik, die die Machthaber dort selbst betreiben: Korruption, Patronage, kaum Dienstleistungen für die Bürger, zu geringe Investitionen in Bildung und Gesundheit. Die Bosse aus dem Drogen-, Waffen- und Menschenhandel seien vielerorts die Finanziers einer politischen Klasse, die sich nur um ihre eigenen Interessen kümmere. Nicht um die Bedürfnisse der Bevölkerung.
    Das Bild zeigt den französischen Präsidenten Macron als Gast des G5-Sahel-Gipfels in der Mitte zwischen den Staatschefs von Burkina Fasos, Roch Marc Christian Kabore, Mauritanien, Mohamed Ould Abdel Aziz, Mali, Ibrahim Boubacar Keita, Tschad, Idriss Deby und Niger, Mahamadou Issoufou (von links). Sie stehen auf einem roten Teppich vor einer blauen Wand.
    Frankreichs Präsident Macron beim G5-Sahel-Gipfel in der Mitte zwischen den Staatschefs von Burkina Fasos, Roch Marc Christian Kabore, Mauritanien, Mohamed Ould Abdel Aziz, Mali, Ibrahim Boubacar Keita, Tschad, Idriss Deby, und Niger, Mahamadou Issoufou (AP / Baba Ahmed)
    Untersuchungen zeigen: Weil die Menschen keine Fortschritte durch ihre Regierungen spüren, setzen sie auf Dschihadisten und Mafias. Die versprechen wenigstens konkreten Verdienst: Entweder mit Bargeld oder einem paradiesischen Jenseits.
    Ohne effektive Kontrolle keine Stabilisierung
    Tatsache ist auch: Hinter vorgehaltener Hand wird schon lange über die Verbindungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen in der Sahelzone gesprochen. In Dakar beobachtet das Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Kriminalität die Region. Pierre Lapaque leitet es. Er sieht seit Jahren, was sich dort zusammenbraut. Die Lage lässt sich längst nicht mehr nur mit fanatisiertem Islamismus erklären. Das ist der Deckmantel. Pierre Lapaque zeichnet ein komplexes und erschreckendes Bild der Lage in Westafrika. Entwicklungshilfe ohne einschneidende Veränderungen der Sicherheitslage – das werde nichts bringen:
    "Das bedeutet, Geld zum Fenster rauszuwerfen. Nichts bringt das, gar nichts. Hier muss stabilisiert werden. Hier muss man gegen die Korruption kämpfen, dagegen, dass sich Geld in Luft aufzulösen scheint. Man muss für effektive Kontrollmechanismen sorgen. Die notwendige Arbeitskraft muss in den Ländern bleiben und nicht auswandern. Die Menschen müssen wieder Vertrauen in ihre Staaten und Regierungen bekommen. Das gilt auch für ausländische Investoren, die müssen der Justiz in diesen Ländern vertrauen können. Und all das muss ineinandergreifen."
    Sondereinheit soll "Region in den Griff kriegen"
    Das klingt nicht nur wie eine Herkules-Aufgabe. Es ist auch eine. Wie lässt sich unter Beteiligung von Regierungen, die Teil des Problems sind, genau dieses Problem lösen? Deutschland und Frankreich glauben, das gelinge durch den Aufbau der Sondereinheit mit und in G5-Sahel-Staaten. Und durch Entwicklungszusammenarbeit, die die Lage der Bevölkerung in den Ländern verbessern soll.
    Im Herbst wollen Deutschland und Frankreich weitere Geldgeber für eine Spezialeinheit der G5-Sahel-Staaten gewinnen. Die werden sich allerdings fragen, wie 5.000 Soldaten eine von organisiertem Verbrechen und Terroristen unterwanderte Region in den Griff kriegen sollen.