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Terror, Krieg und Heldentaten

Mit dem 11. September haben sich Amerikas Verleger und Autoren lange schwergetan. Auch zum zehnten Jahrestag finden sich keine Stapel neuer Titel auf den Büchertischen - dort dominiert eher Klasse als Masse.

Von Gregor Peter Schmitz | 05.09.2011
    Sicher, es erscheinen die unvermeidlichen neu verpackten Erfolgsmodelle, etwa die Anthologie "A Decade of Hope" von Ex-Feuerwehrmann Dennis Smith, der mit Schilderungen der Rettungs-Heldentaten seiner Kollegen bereits viele Bücher verkauft hat. Nun geht es Smith vor allem um die Erinnerung an die Opfer, wie er in seinem Vorwort schreibt:

    Für Tausende Amerikaner - die Ehepartner, Kinder, Eltern und Geschwister der 2974 Männer, Frauen und Kinder, die im World Trade Center, beim Flugzeugabsturz in Pennsylvania und im Pentagon getötet wurden - ist die Erinnerung oft grausam. Wie sind sie mit einem ganz persönlichen Verlust umgegangen, der gleichzeitig so ein öffentlicher und historisch bedeutsamer war - und an den sie jeden Tag in Zeitungen, Magazinen und im Fernsehen erinnert werden?

    Selbst Smiths Zusammenstellung der Erinnerungen von 25 Angehörigen der Opfer oder Rettungsbeteiligten wirkt aber nur auf den ersten Blick wie ein müder Aufwasch. Denn wenn Smith einen der Autoren von seinen Erinnerungen an die Kindheit mit seinem Bruder auf Long Island erzählen lässt - einem Bruder, der als freiwilliger Feuerwehrmann am Tag der Anschläge in New York selbstlos sein Leben in den Flammen gab, - rührt dies auch zehn Jahre später noch. Eine globale Perspektive bieten hingegen der britische Journalist Anthony Summers und seine Gattin Robbyn Swan in ihrem Buch "The Eleventh Day". Die Autoren treibt die Frage um, warum in vielen Ländern und selbst in den USA El Kaida nicht wirklich als Urheber der Anschläge gesehen wird. Sie schreiben:

    Noch im Jahr 2010 ergab eine Meinungsumfrage, dass jeder vierte Amerikaner die Anschläge vom 11. September für eine "Fabrikation" hält, die geschaffen wurde, um den Kampf gegen den Terror zu erleichtern. Zehn Jahre später hält das Gefühl an, dass die Nation und die Welt getäuscht wurden - in einer Angelegenheit, die für die ganze Welt wichtiger war als jedes andere Ereignis unserer jüngeren Geschichte.

    Summers und Swan wühlten sich durch Tausende bislang unveröffentlichter Dokumente. Am Ende ihrer geistreichen Ausführungen haben sie zwar keinen Zweifel, dass die Anschläge stattfanden. Doch sie belegen ebenso nachdrücklich, dass der vermeintliche amerikanische Sieg im Kampf gegen den Terror ein fragiler ist - auch weil die Terroristen ihr Ziel erreicht hätten, Amerika zum unverhältnismäßigen Gegenschlag zu verleiten:

    Ein Jahrzehnt nach den Anschlägen vom 11. September kennen wir noch nicht das Ende dieser Geschichte, selbst nach dem Tod von Osama Bin Laden. Ganz abgesehen von den menschlichen Kosten, belaufen sich die Dollarkosten des Kampfs gegen den Terror auf über 1,5 Billionen Dollar. Damit ist dieser Krieg, das ergab eine Studie des Congressional Research Service, teurer als jeder andere außer dem Zweiten Weltkrieg.

    Dominic Streatfeild, ein Brite, rückt in seinem Werk "A History of The World Since 9/11" ebenfalls derlei Kosten in den Vordergrund. Der Journalist konzentriert sich in provokant-geistreicher Manier auf die eher absurden Folgen der Anschläge - etwa Amerikas Allianzen mit unappetitlichen Diktatoren in Usbekistan, dessen Flugbasen auf einmal für den Kriegseinsatz in Afghanistan gebraucht wurden. Doch er bemüht sich auch um eine historische Einbettung der Anschläge:

    Wenn Schulkinder in 100 Jahren hören, was zu Beginn des 21. Jahrhunderts geschah, was werden sie denken? Werden sie sich die Aufnahmen der einstürzenden Türme des World Trade Center anschauen und sie gleich wieder vergessen? Oder werden sie lernen, dass die Geschichte an diesem Moment stehen blieb und sich in eine fundamental neue Richtung entwickelte?

    Streatfeilds eigenes Fazit ist klar. Die Anschläge hatten eine historische Bedeutung, aber sie führten auch zu historischen Fehlern, schreibt er:

    Afghanistan und Irak sollten das Einfallstor für eine neue Demokratie im Nahen Osten sein. Sie könnten sich eher als die Vietnams unserer Generation herausstellen. Das Resultat ist eine Legitimitätskrise. Der 11. September hat uns zusammengebracht. Ein Jahrzehnt später sind die USA nicht nur eine der am meisten verabscheuten Nationen auf Erden ... die Welt ist auch gefährlicher, nicht sicherer.

    Die vielleicht nüchternste und kenntnisreichste Einschätzung - zumindest aus US-Sicht - vermitteln zwei Experten der New York Times, Eric Schmitt und Thom Shanker. Sie analysieren in ihrem Buch "Counterstrike", wie sich Amerikas Kampf gegen den Terror entwickelt hat - und benennen die neuen Herausforderungen, die durch schwierige Bündnispartner wie Pakistan noch verschärft wurden:

    Pakistans Regierung hatte eine Reihe von Friedensabkommen mit den Militanten vereinbart. Aber diese Abkommen sorgten für keinen dauerhaften Frieden, und sie hatten El Kaida und den pakistanischen Taliban Zeit und Raum gegeben, um sich wieder aufzustellen und aufzurüsten. Der CIA warnte besonders, dass El Kaida Männer und Frauen aus dem Westen rekrutierte und trainierte, um Sprengsätze und Bomben in Europa und Nordamerika zu zünden.

    Straßenbomben statt des ganz großen Anschlages, dies sei das neue Gesicht des Terrors, schreiben die Autoren, eine Art "Nischen-Terrorismus" einzelner Jihadisten. Und so fürchten Schmitt und Shanker, dass der Tod von Bin Laden den Terror nicht Geschichte werden lässt - und der zehnte Jahrestag ebenfalls nicht:
    Die Bilder von Amerikanern, die vor dem Weißen Haus den Tod von Osama Bin Laden bejubelten, erinnerten an die Bilder vom Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch anders als Nazideutschland oder das japanische Kaiserreich sind die religiösen Militanten nicht besiegt.

    Gregor Peter Schmitz war das über:

    - Dennis Smith: A Decade Of Hope, erschienen bei Penguin, 384 Seiten kosten 19,99 Euro.

    - Und Anthony Summers und Robbyn Swan: The Eleventh Day, erschienen bei Ballantine, 624 Seiten, Preis: 19,95 Euro.

    - Dominic Streatfeilds Buch: A History of The World Since 9/11 ist bei Bloomsbury erschienen, 408 Seiten kosten 15,99 Euro.

    - und schließlich Eric Schmitt und Thom Shanker: Counterstrike, erschienen bei Henry Holt, 336 Seiten, 18,70 Euro.


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