Archiv


Terrorangst und Fluchtgedanken

Neuseeland ist mit seinen gerade mal 4 Millionen Einwohnern auf Zuwanderung angewiesen. Und tatsächlich kommen immer mehr. Es sind Leute, die es sich leisten können. Und die die weltpolitische Abgeschiedenheit Neuseelands suchen, weil sie Angst vor dem Terror haben oder die Irak-Politik ihrer Heimatländer nicht länger hinnehmen wollen: So sind es vor allem reiche Amerikaner und Briten, die sich nach Neuseeland zurückziehen. Andi Stummer berichtet.

    September 2001: Nur Tage nach dem Einsturz der Twin Towers in New York verlässt der Autor Yevrah Ornstein seine Heimat und zieht nach London. Nichts wie weg von der El Kaida-Hysterie in den USA. Doch im Juli 2005 wird er auch in England vom Terror eingeholt. Nach den Bombenanschlägen auf Busse und U-Bahnen in London hat Ornstein genug. Er packt wieder die Koffer. Diesmal flieht er bis ans Ende der Welt. Nach Queenstown, Neuseeland.

    "Es ist erschreckend wie unsicher die Welt geworden ist. Überall ist Aufruhr. Man fühlt sich regelrecht bedroht. Neuseeland aber ist ein sicherer Zufluchtsort. Ich möchte nicht in England oder den USA leben, wo ich Angst vor einer Terrorattacke haben muss."

    Yevrah Ornstein ist nur einer von vielen wohlhabenden Terror-Aussteigern, die in Neuseeland ein neues, friedlicheres Leben suchen. Während der 49-Jährige am Stadtrand von Queenstown ein kleines Hotel betreibt, haben sich die Shaws gleich in die Büsche geschlagen.

    "Mondale", eine Schaffarm 15 Autominuten westlich von Queenstown. Das neue Zuhause von Helen und Peter Shaw aus London. Ihr altes Leben, Freunde und Familie haben sie zurückgelassen. Doch der Abschied fiel nicht schwer: Denn eine der Bomben in der U-Bahn ging praktisch vor ihrer Haustüre hoch.

    "Das hat für uns bestätigt, wie viel schöner und sicherer es hier ist." – "Viele Leute in England würden gerne so weit weg wie sie können. Und weiter als Neuseeland geht's nicht."

    Die Hoffnung auf ein Leben ohne Terror-Angst oder stumme Proteste gegen die aggressive Irak-Politik ihrer Regierungen: Beides hat in Neuseeland zu einer Rekordzahl an Einwanderungsanträgen aus England und den USA geführt. Das schönste Ende der Welt war schon immer ein attraktives Ziel für Auswanderer. Man spricht englisch und der Kiwi-Dollar steht nicht allzu hoch im Wechsel-Kurs. Seit aber Neuseeland zur Fluchtlaube wohlhabender Terror-Flüchtlinge geworden ist, boomt dort der Immobilien-Markt. Vor allem in Queenstown.

    Makler Frank Hoskins führt durch eine brandneue Dreizimmer-Wohnung. Granit in der Küche, Marmor im Wohnzimmer und vergoldete Wasserhähne im Bad. Durch die deckenhohen Panorama-Fenster sind der Wakatipu-See und die Berge zu sehen. Preis für das 120 Quadratmeter-Appartement: Etwa 1,4 Millionen Euro. Doch Anfragen gibt es genug, die meisten aus dem Ausland. Vor allem aus England und den USA. Kein Wunder, dass sich in den letzten vier Jahren in Queenstown die Immobilien-Preise mehr als verdoppelt haben. Mit Folgen.

    Für Queenstowns Postbeamte bedeuten mehr Einwohner auch mehr Arbeit – es müssen mehr Briefe sortiert und dann auch zugestellt werden. Doch mehr Geld gibt es deshalb nicht. Briefträger Dave Yates verdient etwa neun Euro die Stunde. Weil durch die Einwanderer die Immobilien-Preise aber immer weiter steigen, können sich Einheimische kaum mehr eigene vier Wände leisten. Queenstown, beklagt Dave, sei zu einer Zwei-Klassengesellschaft geworden.

    "Wir Einheimischen arbeiten hart, leben hier, aber verdienen nicht das ganz große Geld. Und dann kommen diese Super-Reichen hier hereingeschneit und verderben mit ihren Millionen die Preise. Das ist nicht fair. Und es kommen immer mehr. Sie haben Geld wie Heu und können machen, was sie wollen."


    In den Herr-der-Ringe-Filmen diente Neuseeland als spektakuläre Kulisse für ein Kino-Märchen in dem am Ende das Gute siegt. Jetzt wird dort der Traum vom Leben in der Abgeschiedenheit verkauft. Umgerechnet 1,3 Millionen Euro in einem von der Regierung kontrollierten Konto genügen. Premierministerin Helen Clark gibt offen zu: Wer genug Geld mitbringt bekommt auch schneller ein Visum.

    "Neuseeland braucht dringend Kapital, wir waren schon immer knapp bei Kasse. Deshalb importieren wir die Ersparnisse von Einwanderern. Im Gegenzug bieten wir ein sorgenfreies Leben. Unsere nächsten Nachbarn sind Tonga und Neu-Kaledonien und weit weg. Neuseeland ist ein sicherer Zufluchtsort ist."

    Neuseeland gilt als friedliebende Nation ohne politische Feinde und präsentiert sich als Ort der Ruhe und Sicherheit, vor Jahren hat Premier Clark sogar die Luftwaffe abgeschafft. Doch vor allem die Irak-Politik der Regierung zahlt sich jetzt, buchstäblich, aus. Neuseeland hat keine Truppen an den Golf geschickt. Deshalb glaubt Einwanderer Yevrah Ornstein, dass Neuseeland auch nie ins Fadenkreuz von Terroristen geraten wird.

    "Ich habe Länder, in denen die Menschen Angst haben zurückgelassen. Hier fühle ich mich wie in einer anderen Welt. Im Gegensatz zu den USA und England ist Neuseeland sorgenfrei und ohne Probleme. Das mag selbstsüchtig klingen, aber ich möchte nirgendwo anders sein."