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Terrorbekämpfung ohne Scheuklappen

Seit 2006 verdichten sich die Hinweise, dass Deutschland ins Visier islamistischer Attentäter geraten ist. Doch wie gehen Behörden und Politiker mit dieser Bedrohung um? Nicht überzeugend, meint Guido Steinberg.

Von Thilo Kößler |
    Guido Steinberg malt kein Schreckensszenario vom Kampf der Kulturen und vom Krieg in den Städten an die Wand, er redet nicht einer Mobilisierung der Gesellschaft im Zeichen einer omnipräsenten Terrorgefahr das Wort. Guido Steinberg ist ein nüchterner Analytiker und ein ausgewiesener Kenner der Materie: Er war Referent für Terrorismus im Bundeskanzleramt, er forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und er ist Islamwissenschaftler. Mithin einer, der sich mit den vielen Facetten des Terrorismus auseinandergesetzt hat und nun einen dezidierten Standpunkt bezieht.

    Sein Fazit: Deutschland ist ins Visier der Dschihadisten, ins Fadenkreuz von El Kaida geraten. Terroranschläge konnten hierzulande zwar bislang verhindert werden – was dem Glück, dem Zufall oder der Aufmerksamkeit Dritter zu verdanken ist. Jedenfalls nicht einer stringenten und wirkungsvollen Abwehrstrategie. Die gebe es nämlich nicht – und dies, obwohl das Thema Terrorbekämpfung seit dem 11. September 2001 auch in Deutschland ganz oben auf der politischen Agenda steht.

    Die deutsche Politik hat Probleme, überzeugende Antworten auf die Metamorphosen des Terrorismus seit 2001 zu finden. Dabei finden sich durchaus Ansätze für eine zielgerichtete Politik. Dennoch ist es der deutschen Politik nicht gelungen, angemessen auf den transnationalen Charakter des El-Kaida-Terrorismus zu reagieren. Hierfür fehlt es an einer Strategie, die deutsche Ziele und diejenigen Mittel benennt, die geeignet sind, zu ihrer Durchsetzung beizutragen. Eine solche Strategie müsste innen- und außenpolitische Elemente vereinen.
    Tatsächlich ist die Terrorismusbekämpfung aber Sache der Innen- und Sicherheitspolitiker geblieben. Der Mangel an transnationalen Lösungsansätzen sei das entscheidende Manko, meint der Autor. Denn Terrorismus werde von außen nach Europa und Deutschland hereingetragen, sagt Guido Steinberg – und nennt als Beispiele Afghanistan und Pakistan:

    "Die Gefahr ist zunächst nicht kleiner geworden, weil El Kaida uns als Gegner entdeckt hat seit 2006, und das hat die Lage ganz deutlich verschärft. El Kaida hat im Jahre 2006 begonnen, sich wieder auf Afghanistan zu konzentrieren, und zwar als Ersatz für den Irak-Krieg – und hat dann sehr schnell entdeckt, dass die Deutschen doch das schwächere Glied in der Kette der größeren Truppensteller waren."
    Wer das ganze Ausmaß der Bedrohung durch den Terrorismus verstehen will, muss die gesellschaftlichen, politischen und sozialen Ursachen kennen, meint Steinberg – und aus dieser explosiven Gemengelage politische Lösungsansätze entwickeln und in einer umfassenden Strategie bündeln: Stattdessen beißt sich der öffentliche Diskurs in Deutschland immer wieder an irrelevanten Detailfragen fest – Stichwort: Onlinedurchsuchung oder Körperscanner. Technik allein könne Anschläge jedoch nicht verhindern. Wohl aber genauere Kenntnis über die Vorgänge in der einschlägigen Szene: Wem die Radikalisierung unter muslimischen Jugendlichen verborgen bleibe, meint Steinberg, der könne nicht wirksam gegensteuern:

    "Das Hauptproblem ist, dass unsere Sicherheitsbehörden nicht nah genug an diesen Gruppen agieren, dass sie sehr, sehr wenig wissen über die Radikalisierungsprozesse unter jungen Muslimen hierzulande, aber auch unter jungen deutschstämmigen Muslimen in der arabischen Welt, die sich dort in Sprach- und Religionsschulen aufhalten. Und eigentlich müsste sich unsere Debatte um die Frage drehen, wie wir mit diesen Defiziten umgehen und inwieweit wir eine aggressivere menschliche Informationsgewinnung im Inland überhaupt wollen."
    Steinberg glaubt indes nicht, dass El Kaida allein durch Politik besiegt werden kann – aber er ist überzeugt davon, dass ihr eine kluge Politik sukzessive den Boden entzieht. El Kaida, schreibt Steinberg, wird an Attraktivität verlieren, immer weniger junge Muslime rekrutieren und irgendwann als Gewaltakteur und Ideologielieferant irrelevant werden. Erfolg in der Terrorismusbekämpfung bedeutet, dass niemand mehr auf Osama bin Laden hört, nicht, dass Osama bin Laden von einer amerikanischen Rakete getötet wird.

    Voraussetzung ist aber eine Strategie aus entschlossener Terrorismusbekämpfung und gezielter Deeskalation. Das ist die Kernthese Steinbergs – und er überträgt sie auf die Außenpolitik, die in eine aktive Antiterrorstrategie eingebunden werden müsse. Und zwar mit dem Ziel, die vielen Konfliktherde im Nahen Osten, im Irak, in Somalia, in Afghanistan und Pakistan zu befrieden – sie liefern den islamistischen Scharfmachern immer neue Argumente für ihren Kampf gegen den Westen und sorgen für immer neuen Zulauf für El Kaida.

    In diesem Sinne empfiehlt Steinberg, die eigene Außenpolitik zu hinterfragen und gegebenenfalls neu auszurichten. Er mahnt eine größere politische Distanz gegenüber den Akteuren in Konfliktregionen an – was für ihn mit Blick auf den israelisch-arabischen Konflikt zum Beispiel heißt:

    Deutschland muss seine unkritische Haltung gegenüber der israelischen Politik aufgeben und sich mehr an seinen eigenen Interessen orientieren. Die liegen aber beispielsweise darin, die radikalisierenden Effekte des Konflikts auf europäische Dschihadisten zu begrenzen.

    Einen kritischeren Umgang fordert Steinberg auch gegenüber all jenen autoritären Regimen, mit denen Deutschland nolens volens zusammenarbeitet - etwa mit Algerien, Syrien oder Usbekistan. Autoritäre Regime sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, schreibt Steinberg – auch deutsche Politik laufe Gefahr, sich zum Komplizen repressiver Regime und damit angreifbar zu machen. Er plädiert dafür, die politischen Defizite stets offen zu benennen, auf Reformen hinzuwirken und die Zusammenarbeit auf das Nötigste zu beschränken.

    "Da geht es um die Glaubwürdigkeit deutscher und europäischer Politik. Und im deutschen Falle hat besonders unsere Zusammenarbeit mit Usbekistan dafür gesorgt, dass wir ins Visier mehrerer usbekischer Gruppierungen gekommen sind, aber auch, dass viele Angehörigen der Sympathisantenszene sich fragen, was für eine Politik wir da eigentlich betreiben."
    Jedenfalls fügen sich deutsche Sicherheitspolitik und deutsche Außenpolitik nicht immer zu einem sinnvollen Ganzen. Steinberg schließt sein Plädoyer für eine integrierte Antiterrorstrategie mit dem eindringlichen Appell, die Sicherheitsarchitektur in Deutschland zu reformieren: Er plädiert für eine institutionelle und politische Aufwertung des Bundessicherheitsrates.

    "Es gibt immer wieder Berichte darüber, dass das Innenministerium mit dem Außenministerium nicht gut kann, dass das Bundeskanzleramt Probleme mit dem Auswärtigen Amt hat – das ist ein Beispiel, wo ich einen verstärkten Koordinationsbedarf sehe. Und im Grunde sehe ich als einzige Institution, die dafür infrage kommt, den schon heute im Bundeskanzleramt aufgehängten Bundessicherheitsrat, dem es allerdings an ausgebildetem Personal fehlt und an einer wirklich sicherheitspolitischen Funktion."
    Mit besserer Koordination allein wird es allerdings nicht getan sein. Steinberg fordert, sich bei der Bekämpfung des Terrorismus auf verbindliche politische Grundsätze zu verständigen. Guido Steinberg ist es mit seinem Essay gelungen, eine gedankliche Schneise durch ein detailgeschwängertes Themenfeld zu schlagen und Lösungsvorschläge für eine Gesamtstrategie gegen El Kaida zu unterbreiten. Dass er hier und da etwas großzügig über mögliche Risiken und Nebenwirkungen seiner Vorschläge hinweggeht, hat wohl mit dem Gebot zu tun, sich möglichst kurz zu fassen. Ein ertragreicher Beitrag zu dieser wichtigen Debatte ist sein Standpunkt allemal.

    Thilo Kößler über Guido Steinberg: Im Visier von Al-Qaida: Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie. Der 105 Seiten starke Band kommt aus der Edition Körber Stiftung und kostet 10 Euro (ISBN: 978-3-89684-139-1).