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Terrorismus und Gender

In der Alltagspolitik wie in der wissenschaftlichen Debatte gehört seit 2002 der Terrorismus zu einem der Top-Themen. Selten wird in dem Zusammenhang auch über das Geschlecht gesprochen. Dabei werden die islamischen Terroristen heute meist als "männlich" wahrgenommen und wird der RAF-Terrorismus bis heute als "weiblich" gekennzeichnet. Doch hat der Terrorismus ein Geschlecht?

Von Barbara Leitner |
    Unter diesem Motto lud die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin zu einer Ringvorlesung ein und erörterte die Frage aus politikwissenschaftlicher, juristischer, psychologischer und historischer Perspektive.

    "Wenn man sich die Debatten über Terror anschaut, dann geht es immer um die Frage, ob Frauen wirklich das Recht haben, an der Politik teilzunehmen. Es ist nicht so, dass der Terror als solcher das hervorbringt, sondern es bringt der Diskurs hervor."
    Ursula Fuhrich-Grubert, Historikerin und Frauenbeauftragte der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin. Dort wo künftige Polizisten und Verwaltungsangestellte für den oberen Dienst ausgebildet werden, organisierte sie die Ringvorlesung "Hat der Terrorismus ein Geschlecht?". Dabei dachte sie bei ihrer Vorbereitung auch daran, wie in Deutschland in den 70er Jahren der Terrorismus der RAF wahrgenommen wurde.

    "Wenn man sich mal anschaut, wie die Fahndungsplakate ausgesehen haben in dieser Zeit. Frauen waren darauf zu finden. Also das Bild, dieser RAF, über diese Fahndungsplakate, war sehr weiblich."

    "Wir wissen, dass etwa ein Drittel der wichtigsten Personen der RAF weiblich waren.
    Aber in der Öffentlichkeit wird oft ein Bild gemalt von 60 Prozent, 70 Prozent und wenn man zeitgenössische Zeitungsartikel liest, dann steht das immer so drin."

    Sylvia Schraut, Professorin für Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Der RAF-Terror bekam die Zuschreibung, ein weiblicher zu sein, ohne dass die Rolle der Frauen bis heute wirklich erforscht ist. Die Terroristinnen selbst allerdings betonten eindeutig: Radikal und gewalttätig wurden sie nicht wegen ihres Geschlechts.

    "Sämtliche Zeugnisse autobiografischer Art, die wir von RAF-Frauen haben, sagen ganz deutlich, wir haben keinen feministischen Kampf geführt. Uns ging es nicht um die Geschlechterfrage, die Frage, ob Frauen gleichberechtigt sind, sondern uns ging es um kommunistische Utopie oder wie man das nennen soll, was sie wollten. Auf jeden Fall kein Geschlechterkampf."
    Dennoch vermutete 1977 unter anderem der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Günther Nollau, das Handeln der Terroristinnen sei "ein Exzess der Befreiung der Frau".

    "Und dann wurde in dieser Zeit immer diskutiert, warum und wie ist es möglich, dass Frauen, die Kinder gebären, die für Werte stehen wie Erziehung, die friedlich sind, der Natur verbunden - das sind alles so Stereotypen - dass die plötzlich zu Gewalt fähig sind."

    Sylvia Schraut: "Wenn es über den RAF-Terrorismus heißt, eine Frau, die ihre normale Geschlechterrolle wechseln will, die nicht nur im Haus bleiben will, die muss ja zur Terroristin werden, dann kann ich daraus Rückschlüsse ziehen, was dieser Autor über die Rolle der Frauen in der Gesellschaft denkt. Er kann ja nur zu diesem Ergebnis kommen, eine Frau, die nicht mehr Hausfrau ist, wird Terroristin, wenn er selber der Meinung ist, alle Frauen sollten doch gefälligst Hausfrauen sein."

    Nicht alle Kommentare in der öffentlichen Debatte der damaligen Zeit folgten der Rollenzuschreibung für Frauen als den sorgenden Hausfrauen und Müttern. Auch andere Stereotype bezogen sich wertend auf das Geschlecht, ohne bei der Beschreibung der Person und ihres Handelns zu bleiben.
    Nur mit der Waffe, dem klassischen Symbol der Männlichkeit, und nur mit besonderer Härte hätten die weiblichen Gruppenmitglieder die Vorstellung verwirklichen können, gänzlich emanzipierte Frauen zu sein,

    schrieb beispielsweise der Spiegel 1977 über die scheinbar ihre weibliche Rolle ablehnenden Terroristinnen.

    Bei der aus einem religiösen und sozial engagierten Elternhaus stammenden Gudrun Ensslin hieß es in verschiedenen Veröffentlichungen, ihre weibliche Emotionalität hätte sie fehlgeleitet. Frauen, so die Schlussfolgerung, seien nicht zu einer rationalen politischen Haltung fähig. Und wiederum andere sahen angesichts der Leiden von Frauen im und am Patriarchat sie zwangsläufig zu Terroristinnen werden.

    Wie auch immer argumentiert wurde: Von der Rolle der Frau und ihrer Weiblichkeit wurde ein Normbild gezeichnet.

    Schraut: "Und an diesem Normbild wird dann der Terrorist gemessen und wenn ich dann die Argumentationsmuster überprüfe, dann kann ich feststellen, dass in vielen diesen Debatten eigentlich darüber diskutiert wird, wollen wir zulassen, dass Frauen politisch genauso diskutieren wie Männern. Wenn ich die RAF-Debatte anschaue. In anderen Epochen sind es andere Fragen. Aber da ist es speziell diese Frage."

    In ihrer Forschung zur Geschichte vom 18. bis 20. Jahrhundert beschäftigt sich Sylvia Schraut mit Erinnerungskultur unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Auch am Beispiel der Weimarer Republik belegt die Historikerin: Der Diskurs über Terrorismus berührt stets das Geschlechterverhältnis.

    "Wir haben das erste Mal Frauenwahlrecht. Wir haben aber zugleich auch ein System, in dem es zum ersten Mal zu ungeheuer vielen Gewalttaten kommt, indem das Gewaltmonopol nicht an den Staat abgegeben wurde. Aber das ist eine Grundbedingung der Demokratie und die wird da nicht erfüllt."

    Der Kapp-Putsch und der Ruhraufstand, Aufstände der Linken, Attentate und Hitlers Putschversuch von den Rechten erschütterten das Gefüge des jungen Staates allein in den Jahren von 1920 bis 1923. Mit ihren gewalttätigen Aktionen versuchten politisch weniger einflussreichen Minderheiten auf sich aufmerksam zu machen. Sie wollten Einfluss oder wenigsten Mitglieder und Sympathisanten gewinnen. Klar gaben sie zu erkennen: Mit dem neu geschaffenen Herrschaftssystem sind wir nicht einverstanden. Wir wollen eine andere Ordnung und das - darauf ist jede Form von Terrorismus angewiesen - sollte auch an der Öffentlichkeit entsprechend verhandelt werden.

    "Und wenn wir uns die Gewalttaten angucken, seien es Attentate oder Prügeleien bei Wahlveranstaltungen, sei es, jemand zu bedrohen, der da politisch aktiv ist, da finden wir da in erster Linie Männer. Man kann daraus schon schließen, dass mit dieser ersten Demokratie noch nicht gewährleistet war - Frauen durften zwar wählen und auch Abgeordnete stellen - aber eigentlich war noch nicht gewährleistet, dass sie an allen partizipiert haben, wie es die Männer in der Zeit haben."

    Jene deutschen Männer, die uneigennützig, aus rein vaterländischen Motiven gehandelt haben,

    rechtfertigte beispielsweise 1928 ein nationalsozialistischer Abgeordneter im Reichstag die politisch motivierten Gewalttaten und Morde durch rechte Extremisten - und verlangte deren Amnestie. Seiner Meinung nach sei es ein Skandal, dass

    solche Männer für die Unschädlichkeitsmachung von Verrätern, die damals in jenen Notzeiten auf legalem Wege nicht erfolgen konnte zu Tode und zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt (wurden).
    Diese Art und Weise, Männlichkeit und Wehrhaftigkeit zu verbinden, entdeckt Sylvia Schraut seit den Befreiungskriegen im frühen 19. Jahrhundert.

    "Noch vorher war es eigentlich so, dass die Söldner bezahlte Söldner waren und man denen eher misstrauisch begegnet ist. Aber mit den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongress haben wir eine allgemeine Bewaffnung. Wir kriegen so ein Männlichkeitsbild: Der tapfere Mann verteidigt sein Vaterland, notfalls auch mit der Waffe und wenn er das tut, dann kann er daraus auch das Recht ableiten, politisch zu partizipieren und das kann man in den Debatten in der Weimarer Republik durchaus noch beobachten. Also wenn dann im Parlament darüber gesprochen wird, wer die Nation verteidigt, wer wichtig für die Nation ist, dann kommen ganz schnell Begrifflichkeiten wir Tapferkeit, wie ein Mann dastehen. Da geht es nicht wie eine Frau dastehen, das merkt man sehr deutlich."

    In der westlichen Welt wird heute nicht mehr die Teilhabe der Frauen an der Macht in Frage gestellt. Dennoch werden in der öffentlichen Debatte um den Terror und wie er zu bekämpfen sei, sehr wohl Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit reproduziert, betont auch der Soziologe Mark Juergensmeyer, von der Universität Kalifornien in Santa Barbara. Er beschäftigt sich mit religiösem Terrorismus und führte mit Terroristen von verschiedenen Kontinenten Gespräche über deren Weltbild.

    "Das Interessante an diesen militaristischen Vereinigungen ist, dass sie alle männlich zu seinen scheinen. Ihr Handeln ist eine Sache von "echten Kerlen", von Guys. Das englische Wort "Guy" kommt von Guy Fox, einem englischen Militaristen und katholischen Terroristen, der im 17. Jahrhundert eine Bande von Männern um sich geschart hatte, um die Macht der englische Regierung zu bekämpfen. Was diese "echte Kerle" auszeichnet, ist, dass sie mit ihren religiösen Aktionen oder in ihren Organisationen eine stark männlich dominante Präsenz zeigen. Ihr Denken ist von traditionellen religiösen Vorstellungen beherrscht. Mit aller Macht versuchen sie die Ordnung der Männer zurückbringen. Denn als Männer fühlen sie sich beschämt und beleidigt, da sie ihre eigene verantwortungsvolle Rolle verloren haben, in dem sie die Welt haben außer Kontrolle kommen lassen. Deshalb sehen sie sich als Männer aufgerufen, sich mit anderen Männern zusammen zu finden, um diese traditionelle und soziale Kontrolle wieder zu etablieren, die die Welt verloren hat."

    Nach der Erfahrung von Mark Juergensmeyer unterscheiden sich die Terroristen der Welt in dieser engen, militanten Sicht auf Männlichkeit nicht voneinander - gleich ob sie sich mit ihren Gewaltakten auf die christliche, islamische, jüdische, hinduistische oder buddhistische Religion berufen.

    Dabei sorgen durchaus auch weibliche Terroristinnen für Tod, Angst und Schrecken -
    beispielsweise in Tschetschenien. Zwar ist dem kaukasischen Land das militärische Kommando in männlicher Hand. Doch wie bei der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater oder bei dem Anschlag auf die Schule von Beslan traten bei Terroraktionen zwischen 2002 und 2004 immer wieder auch Selbstmordattentäterinnen in Aktion und töten Zivilisten.

    "Es gibt eine in Russland sehr stark verbreitete These - dass diese Frauen missbraucht werden von männlichen Gewalttätern, von männlichen Mudschahedin."
    So der Politikwissenschaftler Uwe Halbach, der sich beim Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin vor allem mit kaukasischen und zentralasiatischen Staaten beschäftigt.

    "Während es eine andere These gibt, die stärker in der internationalen Forschung auftaucht, dass diese Frauen vor allem vom Rachebedürfnis geleitet sind und bevor sie in die Gewalt eingetreten sind, verheerende Verlusterlebnisse in der eigenen Familie hatte, verheerende Erfahrungen mit der Kriegsgewalt gemacht haben, die vom Gegner ausging, dass in Tschetschenien im ersten und zweiten Krieg zusammengenommen keine Familie praktisch verschont geblieben ist von Verlusten. Frauen einfach entsetzliche Übergriffe durch russische Sicherheitsdienste wie ihre tschetschenischen Helfer im eigenen familiären Bereich erlebt haben und dass dadurch Verhaltsmuster auftauchen, die vorher nicht da waren."

    Nach allgemeiner Einschätzung handelt es sich bei den tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen um so genannte schwarzen Witwen: Frauen, die sich dem Tod weihen, nachdem ihr Mann oder Bruder im Krieg von den Russen getötet worden ist,

    schrieb die FAZ in Juli 2003.

    Schraut: "Man weiß ja bislang sehr wenig über Terroristinnen aus dem islamischen Bereich, da geht ja die Forschung erst los. Aber wenn man sich die Argumentationsmuster anschaut, mit denen diese Frauen zu Terroristen werden oder zu Terroristinnen gemacht werden, dann findet man oft Muster, die patriarchale Erklärungen anbieten. Also die Mutter kämpft für ihre Söhne. Die Mutter kämpft für den Lebensraum ihrer Söhne. Diese Terroristinnen treten nicht an und sagen, weil sie den Handlungsspielraum von Frauen vergrößern wollen, wäre auch eine Möglichkeit. Sondern sie kommen mit einer Erklärung, die in eine patriarchale Gesellschaft, wie die islamischen Gesellschaft in der Regel sind, gut einbindbar sind."

    Selten war beispielsweise von tschetschenischen Menschenrechtskämpferinnen die Rede, die sich seit 1994 den russischen Soldaten, wie den tschetschenischen Rebellen entgegen stellten. Ganz im Gegenteil. Es wird ein Bild von Frauen gezeichnet, welches in den Mustern der als traditionell abgewerteten Gesellschaft verhaftet bleibt - als sei nur in der westlichen Welt die Uhr weiter gegangen.
    "Das sagt wenig über den Terroristen. Was wissen wir tatsächlich über den. Aber es sagt sehr viel, wie wir darüber debattieren."

    In ähnlich festgelegten Rollen werden auch islamische Terroristen in der Öffentlichkeit der westlichen Welt wahrgenommen. Beispielsweise beschreibt auch Mark Juergensmeyer in seinem Buch "Terror im Namen Gottes" radikale Muslime als sexuell frustrierte, unverheiratete junge Männer, die in ihren traditionellen Gesellschaften nur eingeschränkt Möglichkeit zum Geschlechtsverkehr haben.

    Terroristische Gewalt kann, so gesehen, als eine Art symbolischer Machtaneignung von Männern auftreten, deren traditionelle sexuelle Rolle, ihre Männlichkeit an sich, als gefährdet erscheint.

    Schraut: "Und diesem sexuell geschwächten Mann steht dann gerne, gerade wenn er aus dem islamischen, nicht europäischen Bereich kommt, steht dann eine starke, feministische, selbstbewusste westliche Frau gegenüber und wenn sie diese beiden Punkte zusammen ziehen, dann heißt das eigentlich, die Frauen, die gleichberechtigt in der westlichen Welt leben sind so ein Bedrohungspotential, dass ein islamischer Mann zum Terrorist werden muss."
    Damit ist der westliche, wehrhafte und potente Mann gefragt. Denn Terrorismus funktioniert nur in der heimlichen Komplizenschaft mit seinem Gegenüber. Um die Bedrohung durch den Terror zu bannen, wird mit den gleichen Männlichkeitsmustern eine Gegenwehr inszeniert.

    "Wir haben heute die Situation, dass Kriegermentalitäten die gesamte Gesellschaft durchziehen. Also auch in Unternehmen ist die Kriegermentalität ein Thema. Man nennt es vielleicht nicht so, aber die Fähigkeit sich durchzusetzen, andere aus dem Feld zu schlagen, das ist Kriegermentalität."
    So Hans-Gerd Jaschke, Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin.

    "Es geht ja beim Kampf gegen Terrorismus nicht nur um tatsächlichen Kampf, tatsächlich Repression. Es geht auch um Symbolproduktion. Der Krieg gegen den Terror ist zum großen Teil auch Symbolproduktion, inszenierte Kämpfe gegen den Terrorismus. Zum Beispiel Ankündigungen des Innenministers, man prüfe ein neues Gesetz. Das ist eine symbolische Aktion oder Ankündigungen auf der Europäischen Ebene. Der Antiterrorkampf wimmelt geradezu von symbolischen Aktionen, von Drohgebärden und insofern ist der Terror eine Bühne, auf der gespielt wird und wo der Antiterrorkampf auch inszeniert wird."
    Schaut man mit dem Genderblick auf diese Phänomene wird deutlich: Viele Facetten von Männlichkeit bleiben damit ausgeblendet und auch unentwickelt: die klare und fürsorgliche Führung wie die Inspiration, Spiel und Experiment wie Zauber und Weisheit beispielsweise. Mit diesen Qualitäten aber könnten jenseits der altbekannten und erfolglosen Strategien neue Lösungen und Verhaltensmuster gesucht und gelebt werden - für Frauen und Männer. Sich in diesem Sinne in die Beschäftigung mit dem Terrorismus einzumischen bleibt eine Herausforderung für die Geschlechterforschung, nämlich, so Sylvia Schraut:

    "Stellung zu beziehen. Sich zu überlegen, was hat das ganze mit Weiblichkeit und Männlichkeit zu tun und mit wachen Augen zu gucken, was passiert da und nicht das Themenfeld sowohl den männlichen Terroristen wie den männlichen Diskutanten zu überlassen, sondern sich da einzumischen."