Kaum ein Tag vergeht, in denen das Thema "Terrorismus" nicht in den Nachrichten auftaucht - und das bereits seit Monaten und Jahren. Erstaunlich dabei: Wissenschaftlich untersucht ist dieses Phänomen so gut wie überhaupt nicht.
"Der Forschungsstand ist, ganz vorsichtig gesagt, bescheiden. Ausnahmslos alle in den Staaten, die hier waren, haben gesagt: Es gibt keine solide empirische Forschung. Und in den Behörden wurden zum Teil nicht einmal die simpelsten Bedingungen erfüllt, nämlich die Sprache zu verstehen. Und wenn ich eine Sprache nicht im Original lesen kann, dann begreife ich nicht die Realitäten."
So Professor Hans-Jürgen Kerner, Leiter des Institutes für Kriminologie an der Universität Tübingen und ausscheidender Präsident der Europäischen Vereinigung für Kriminologie. Beschäftigten sich bislang die europäischen Kriminologen mit dem Phänomen des Terrorismus, dienten als Datengrundlage zumeist nur Statistiken und vor allem Vernehmungsprotokolle der Polizeibehörden. Für die Terrorismusforschung ist das aber völlig unzureichend, meint Professor Kerner. Denn dabei werde der Umstand außer acht gelassen:
"Dass jemand, der verhört wird von Staatswegen, natürlich ein gewisses Interesse hat, nicht so zu reden, wie er reden würde, wenn er jemandem vertraut, dass der ihn ernst nimmt. Und das ist die Idee der Forscher, einen eigenen unabhängigen Zugang von den Strafverfolgungsbehörden zu bekommen, um die etwas ungefilterte Realität der anderen Seite in ihren Worten, in ihrem Verständnis zu bringen."
Deshalb haben sich Kriminologen aus allen europäischen Ländern zu einer Arbeitsgruppe zusammen getan. Sie wollen die Terrorismusforschung an den Hochschulen abseits der Geheimdienste und der Polizeibehörden intensivieren und systematisieren - eine schwierige Aufgabe, die nur dann lösbar ist, wenn es den Wissenschaftlern gelingt, selbst in Kontakt mit der Terrorszene zu kommen. Professor Kerner:
"Das geht mit Snow-Balling. Auf Normal-Deutsch: Man kennt einen, der einen kennt. Und wenn dann nach einigen Monaten nichts von dem Treffen, das man hatte, an irgendwelche Quellen kommt, dann hat man die erste Stufe der Vertrauenswürdigkeit erreicht. Da wird man dann bis zum nächsten durchgereicht. Es kann so bis zu zwei Jahren dauern, bis man einen wirklich kompetenten Gesprächspartner findet, der sauber spricht."
Die Gefahr, die dabei vor allem in Deutschland mitschwingt, ist offensichtlich: Kommt es tatsächlich zum Informationsaustausch zwischen Kriminologen und Kontaktleuten aus der Terrorszene, müssen die Wissenschaftler den Druck der Ermittlungsbehörden auf Herausgabe der Informationen befürchten. Dies kann, so Professor Kerner, für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Terrorismus eine unüberbrückbare Hürde darstellen - und das, obwohl solche Forschungsergebnisse am Ende wieder zu wirkungsvolleren Vorbeugemaßnahmen führen könnten.
"Ja, es besteht nicht in allen Staaten, aber in Deutschland eine strukturelle Gefahr dahingehend, dass die Wissenschaft nicht geschützt ist. Also es gibt Glaubensschutz in der Verfassung. Aber die Wissenschaftsfreiheit heißt nur, dass man wissenschaftlich frei arbeiten kann. Aber wenn die Behörden die Daten konfiszieren wollen, können sie es nach herrschender Meinung tun. "
Trotz solcher Widerstände haben es einige wenige Kriminologen tatsächlich geschafft, mit Leuten aus der Terrorszene, mit inhaftierten Verdächtigten beispielsweise oder mit Aussteigern, in Kontakt zu treten. Dabei zeigt sich:
"Dass vor allem Forscher aus den islamischen Staaten inzwischen gesehen haben, dass es nützlich sein könnte, zu kooperieren. Bislang war dort die Kriminologie wenig entwickelt. "
Erste Ergebnisse dieser neuen Art von Terrorismusforschung gibt es bereits: Sie untermauern auf der Basis empirischer Daten, was ohnehin zu vermuten war: Dass nämlich die Drahtzieher und Täter großer Anschläge nicht aus den Kreisen stammen, für die sie zu kämpfen vorgeben. Professor Hans-Jürgen Kerner:
"Dazu gibt es auch Beispiele aus der deutschen Terrorismusforschung der 70er Jahre, die schon ganz vergessen ist: Was wir sehen, ist, dass sie sich als stellvertretend Leidende für die Opfer begreifen und sozusagen die Ausgebeuteten rächen wollen. Das ist eine zusätzliche sekundäre Ideologie. Strukturell gesprochen, zeigen die Daten, die wir bereits haben, dass diejenigen, die die Bereitschaft zur Tat haben, Intellektuelle sind, denen es entweder besser geht und/oder die geistig besser gerüstet sind. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Towers in New York waren das im Regelfall Studierte. Und das ist der Punkt."
In diesem Zusammenhang wagt der Tübinger Kriminologe eine provozierende Schlussfolgerung:
"Sucht in den Universitäten und nicht in den Moscheen. Wobei ich nicht wirklich sagen wollte, dass man nicht auch nach Hasspredigern in den Moschen schauen sollte, sondern dass diese Konzentration auf die Armen, auf die Entrechteten, auf die Ausgebeuteten, ob es sie nun gibt oder nicht, ein ziemlich falscher Weg ist."
Die Kriminologen wollen sich stärker als bisher mit den Biografien terroristischer Täter beschäftigen. Dabei begeben sie sich auf die Suche nach Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten, die die Betroffenen auf die schiefe, auf die terroristische Bahn brachten. In diesem Zusammenhang erscheint dem Wissenschaftler eine Unterscheidung wichtig: Nicht alle Gewalttaten mit vermeintlich islamistischem Hintergrund sind auch tatsächlich religiös begründet. Für die großen Terroranschläge der vergangenen Jahre würde Kerner einen solche fanatisch-religiöse Begründung durchaus akzeptieren, für viele Folgedelikte auf kleinerer Ebene dagegen nicht. Er verweist auf eine aktuelle Studie seines Institutes.
"Da zeigt sich, wenn man zunächst einfach zusammen kombiniert: Religiosität und Gewalt, dass es einen ganz engen Zusammenhang gibt. Wenn man dann aber so Dinge anschaut wie Ehrgefühl, Männlichkeitsnormen, kulturelle Traditionen, löst sich dieser Zusammenhang fast gegen Null auf. Das heißt: Die eigentlichen Dinge, die die Jugendlichen in die Gewalttätigkeit treiben, sind Ehrbegriffe, Geschlechtsrollennormen, Machotum, kulturelle Bindungen, Gruppenverpflichtungen und anderes. Das heißt, es ist aus grundsätzlichen demokratischen Gründen gut, Islamunterricht an den Schulen zu geben. Aber wenn einer die Idee hätte, mit Islamunterricht an den Schulen die Gewalttätigkeit wegzukriegen, ist das hirnrissig. Das ist gar nicht das Problem. Das Problem sind die anderen Geschichten."
Nach Ansicht der Kriminologen spielen solche Forschungen in der öffentlichen Meinung nicht die Rolle, die ihnen eigentlich zukommen müsste. Schließlich können die Ergebnisse, die die Kriminologie erarbeitet werden, nützlich sein zur Vorbeugung, ja zur Verhinderung von Verbrechen. Einige wenige Länder, so hieß es in Tübingen, hätten dies bereits erkannt. Dort können Studierende Kriminologie als eigenes Fach wählen; in manchen Fällen wurden sogar eigene Fakultäten für Kriminologie eingerichtet. Professor Kauko Aromaa von der Universität Helsinki ist neuer Präsident der Europäischen Gesellschaft für Kriminologie:
"Es gibt nur wenige Ausnahmen mit ausgeprägter Kriminologie als selbständiges Universitätsfach und als selbständige Jobs. Das sind Holland, England, Schweden, einigermaßen vielleicht auch noch Frankreich."
Gleichwohl glaubt Professor Aromaa fest daran, dass der Stellenwert der Kriminologie als eigenständiger Disziplin europaweit an Stellenwert gewinnen wird. Auch dies ist indirekt eine Folge der wachsenden terroristischen Bedrohung, aber auch der Internationalisierung der Bandenkriminalität in so bedeutenden Feldern wie Menschenhandel und Subventionsbetrug. Je häufiger solche Fälle öffentlichkeitswirksam Wellens schlagen, desto stärker wächst der Druck auf die Wissenschaft, sich mit den Ursachen auseinander zu setzen und nach Lösungsansätzen zu suchen.
"Kriminalpolitik soll mehr und mehr durch Wissenschaft, durch Wissen gesteuert werden. Und das wird akzeptiert in den meisten europäischen Ländern. Damit kommen die politischen Kräfte unter Druck, damit selbständige Kriminologie als Spezialfach häufiger und häufiger selbständig unterrichtet wird und häufiger ihre Positionen akzeptiert werden."
"Der Forschungsstand ist, ganz vorsichtig gesagt, bescheiden. Ausnahmslos alle in den Staaten, die hier waren, haben gesagt: Es gibt keine solide empirische Forschung. Und in den Behörden wurden zum Teil nicht einmal die simpelsten Bedingungen erfüllt, nämlich die Sprache zu verstehen. Und wenn ich eine Sprache nicht im Original lesen kann, dann begreife ich nicht die Realitäten."
So Professor Hans-Jürgen Kerner, Leiter des Institutes für Kriminologie an der Universität Tübingen und ausscheidender Präsident der Europäischen Vereinigung für Kriminologie. Beschäftigten sich bislang die europäischen Kriminologen mit dem Phänomen des Terrorismus, dienten als Datengrundlage zumeist nur Statistiken und vor allem Vernehmungsprotokolle der Polizeibehörden. Für die Terrorismusforschung ist das aber völlig unzureichend, meint Professor Kerner. Denn dabei werde der Umstand außer acht gelassen:
"Dass jemand, der verhört wird von Staatswegen, natürlich ein gewisses Interesse hat, nicht so zu reden, wie er reden würde, wenn er jemandem vertraut, dass der ihn ernst nimmt. Und das ist die Idee der Forscher, einen eigenen unabhängigen Zugang von den Strafverfolgungsbehörden zu bekommen, um die etwas ungefilterte Realität der anderen Seite in ihren Worten, in ihrem Verständnis zu bringen."
Deshalb haben sich Kriminologen aus allen europäischen Ländern zu einer Arbeitsgruppe zusammen getan. Sie wollen die Terrorismusforschung an den Hochschulen abseits der Geheimdienste und der Polizeibehörden intensivieren und systematisieren - eine schwierige Aufgabe, die nur dann lösbar ist, wenn es den Wissenschaftlern gelingt, selbst in Kontakt mit der Terrorszene zu kommen. Professor Kerner:
"Das geht mit Snow-Balling. Auf Normal-Deutsch: Man kennt einen, der einen kennt. Und wenn dann nach einigen Monaten nichts von dem Treffen, das man hatte, an irgendwelche Quellen kommt, dann hat man die erste Stufe der Vertrauenswürdigkeit erreicht. Da wird man dann bis zum nächsten durchgereicht. Es kann so bis zu zwei Jahren dauern, bis man einen wirklich kompetenten Gesprächspartner findet, der sauber spricht."
Die Gefahr, die dabei vor allem in Deutschland mitschwingt, ist offensichtlich: Kommt es tatsächlich zum Informationsaustausch zwischen Kriminologen und Kontaktleuten aus der Terrorszene, müssen die Wissenschaftler den Druck der Ermittlungsbehörden auf Herausgabe der Informationen befürchten. Dies kann, so Professor Kerner, für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Terrorismus eine unüberbrückbare Hürde darstellen - und das, obwohl solche Forschungsergebnisse am Ende wieder zu wirkungsvolleren Vorbeugemaßnahmen führen könnten.
"Ja, es besteht nicht in allen Staaten, aber in Deutschland eine strukturelle Gefahr dahingehend, dass die Wissenschaft nicht geschützt ist. Also es gibt Glaubensschutz in der Verfassung. Aber die Wissenschaftsfreiheit heißt nur, dass man wissenschaftlich frei arbeiten kann. Aber wenn die Behörden die Daten konfiszieren wollen, können sie es nach herrschender Meinung tun. "
Trotz solcher Widerstände haben es einige wenige Kriminologen tatsächlich geschafft, mit Leuten aus der Terrorszene, mit inhaftierten Verdächtigten beispielsweise oder mit Aussteigern, in Kontakt zu treten. Dabei zeigt sich:
"Dass vor allem Forscher aus den islamischen Staaten inzwischen gesehen haben, dass es nützlich sein könnte, zu kooperieren. Bislang war dort die Kriminologie wenig entwickelt. "
Erste Ergebnisse dieser neuen Art von Terrorismusforschung gibt es bereits: Sie untermauern auf der Basis empirischer Daten, was ohnehin zu vermuten war: Dass nämlich die Drahtzieher und Täter großer Anschläge nicht aus den Kreisen stammen, für die sie zu kämpfen vorgeben. Professor Hans-Jürgen Kerner:
"Dazu gibt es auch Beispiele aus der deutschen Terrorismusforschung der 70er Jahre, die schon ganz vergessen ist: Was wir sehen, ist, dass sie sich als stellvertretend Leidende für die Opfer begreifen und sozusagen die Ausgebeuteten rächen wollen. Das ist eine zusätzliche sekundäre Ideologie. Strukturell gesprochen, zeigen die Daten, die wir bereits haben, dass diejenigen, die die Bereitschaft zur Tat haben, Intellektuelle sind, denen es entweder besser geht und/oder die geistig besser gerüstet sind. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Towers in New York waren das im Regelfall Studierte. Und das ist der Punkt."
In diesem Zusammenhang wagt der Tübinger Kriminologe eine provozierende Schlussfolgerung:
"Sucht in den Universitäten und nicht in den Moscheen. Wobei ich nicht wirklich sagen wollte, dass man nicht auch nach Hasspredigern in den Moschen schauen sollte, sondern dass diese Konzentration auf die Armen, auf die Entrechteten, auf die Ausgebeuteten, ob es sie nun gibt oder nicht, ein ziemlich falscher Weg ist."
Die Kriminologen wollen sich stärker als bisher mit den Biografien terroristischer Täter beschäftigen. Dabei begeben sie sich auf die Suche nach Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten, die die Betroffenen auf die schiefe, auf die terroristische Bahn brachten. In diesem Zusammenhang erscheint dem Wissenschaftler eine Unterscheidung wichtig: Nicht alle Gewalttaten mit vermeintlich islamistischem Hintergrund sind auch tatsächlich religiös begründet. Für die großen Terroranschläge der vergangenen Jahre würde Kerner einen solche fanatisch-religiöse Begründung durchaus akzeptieren, für viele Folgedelikte auf kleinerer Ebene dagegen nicht. Er verweist auf eine aktuelle Studie seines Institutes.
"Da zeigt sich, wenn man zunächst einfach zusammen kombiniert: Religiosität und Gewalt, dass es einen ganz engen Zusammenhang gibt. Wenn man dann aber so Dinge anschaut wie Ehrgefühl, Männlichkeitsnormen, kulturelle Traditionen, löst sich dieser Zusammenhang fast gegen Null auf. Das heißt: Die eigentlichen Dinge, die die Jugendlichen in die Gewalttätigkeit treiben, sind Ehrbegriffe, Geschlechtsrollennormen, Machotum, kulturelle Bindungen, Gruppenverpflichtungen und anderes. Das heißt, es ist aus grundsätzlichen demokratischen Gründen gut, Islamunterricht an den Schulen zu geben. Aber wenn einer die Idee hätte, mit Islamunterricht an den Schulen die Gewalttätigkeit wegzukriegen, ist das hirnrissig. Das ist gar nicht das Problem. Das Problem sind die anderen Geschichten."
Nach Ansicht der Kriminologen spielen solche Forschungen in der öffentlichen Meinung nicht die Rolle, die ihnen eigentlich zukommen müsste. Schließlich können die Ergebnisse, die die Kriminologie erarbeitet werden, nützlich sein zur Vorbeugung, ja zur Verhinderung von Verbrechen. Einige wenige Länder, so hieß es in Tübingen, hätten dies bereits erkannt. Dort können Studierende Kriminologie als eigenes Fach wählen; in manchen Fällen wurden sogar eigene Fakultäten für Kriminologie eingerichtet. Professor Kauko Aromaa von der Universität Helsinki ist neuer Präsident der Europäischen Gesellschaft für Kriminologie:
"Es gibt nur wenige Ausnahmen mit ausgeprägter Kriminologie als selbständiges Universitätsfach und als selbständige Jobs. Das sind Holland, England, Schweden, einigermaßen vielleicht auch noch Frankreich."
Gleichwohl glaubt Professor Aromaa fest daran, dass der Stellenwert der Kriminologie als eigenständiger Disziplin europaweit an Stellenwert gewinnen wird. Auch dies ist indirekt eine Folge der wachsenden terroristischen Bedrohung, aber auch der Internationalisierung der Bandenkriminalität in so bedeutenden Feldern wie Menschenhandel und Subventionsbetrug. Je häufiger solche Fälle öffentlichkeitswirksam Wellens schlagen, desto stärker wächst der Druck auf die Wissenschaft, sich mit den Ursachen auseinander zu setzen und nach Lösungsansätzen zu suchen.
"Kriminalpolitik soll mehr und mehr durch Wissenschaft, durch Wissen gesteuert werden. Und das wird akzeptiert in den meisten europäischen Ländern. Damit kommen die politischen Kräfte unter Druck, damit selbständige Kriminologie als Spezialfach häufiger und häufiger selbständig unterrichtet wird und häufiger ihre Positionen akzeptiert werden."