Das Ausschalten der verschiedenen Befreiungsbewegungen durch die Vertreter des Tigray-Volkes geht nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln vor sich. Amnesty International weiß von zahllosen außergesetzlichen Festnahmen und Hinrichtungen, vom Verschwindenlassen der Gegner, von Folter und Terror. Dies ist der Grund dafür, daß viele Angehörige des Oromo-Volkes in den Widerstand gehen und sich in den alten Bürgerkriegsstrukturen der Oromo-Liberation-Front , OLF, engagieren. Ende September 1997 scheitern Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der Oromo-Liberation-Front.
Ein paar Tage später werden drei Angehörige des Oromo-Volkes in einem Vorort von Addis Abeba auf offener Straße durch Schüsse niedergestreckt. Die Regierung behauptet, daß die Männer Sparkassenräuber sind. Sie hätten im Auftrag der OLF eine bedeutsame Sparkasse in großem Stil ausgeraubt. Beim Versuch, sie zu verhaften, hätten sie die Polizei mit Waffen bedroht und seien deswegen erschossen worden. Diese Schilderung verbreitet die Regierung ausführlich in sämtlichen staatlichen Medien. Doch ein paar unabhängige Journalisten gibt es in Äthiopien auch. Einer von ihnen ist Tesfaye Deressa, der stellvertretende Herausgeber und Chefreporter der Wochenzeitschrift Urji.
Thomas Zitelmann: Urji ist ein Projekt, das im Jahre 95 gegründet wurde, in der ein teil von Intellektuellen, von Geschäftsleuten in Addis Abeba gemeinsam Geld investiert haben ; also es ist so eine Art GmbH.; es ist im Oromo-Kontext eine Zeitschrift, die relativ liberal ist, die versucht hat, auch Nicht-Oromo-Leser anzusprechen. Und das ist auch ein Charakteristikum gewesen, nach welchen Kriterien man dann - vor allen Dingen im Herbst 1997 - Journalisten verhaftet hat: Man hat Leute verhaftet, die sprachlich in der Lage waren, Milieus zu überbrücken.
So charakterisiert der Berliner Ethnologe Dr. Thomas Zitelmann, der ein Spezialist für Konflikte am Horn von Afrika ist, die Zeitschrift Urji - das Blatt, in dem Tesfaye Deressa die offizielle Regierungsversion vom Tod der drei angeblichen Sparkassenräuber in Zweifel zieht. Tesfaye Deressa läßt in seinen Artikeln Augenzeugen zu Wort kommen. Sie bekunden alle, daß die drei Oromos ohne Warnung von hinten erschossen wurden.
Noch im gleichen Monat wird Tesfaye Deressa zusammen mit zwei Kollegen aus dem Führungsteam der Zeitschrift Urji verhaftet. Urji sei ein Organ der OLF und verbreite Terror, heißt es von offizieller Seite. Die Zeitschrift Urji muß ihr Erscheinen einstellen - ein ähnliches Schicksal ereilt auch andere Zeitungen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen durchläuft im Oktober ’97 eine regelrechte Verhaftungswelle die Redaktionen regierungskritischer Medien. Und bis heute sind Journalisten, die nicht für die staatlichen Organe arbeiten, bei Pressekonferenzen der Regierung nicht zugelassen. "Sie arbeiten ständig unter der Bedrohung, verhaftet zu werden", berichtet der deutsche Journalist Yilma Haile-Michael, der sich kürzlich in seiner einstigen Heimatstadt Addis Abeba mit Vertretern des unabhängigen äthiopischen Journalistenverbandes getroffen hat.
Yilma Haile-Michael: Beschwert haben sie sich, daß sie keine offizielle Einladung haben von der Regierungsseite, beschwert haben sie sich , daß ihre Organisation noch nicht einmal als eingetragener Verein anerkannt ist und keine anerkannten Rechte besitzt, und beschwert haben sie sich, daß sie bei jeglicher Art von Veröffentlichung mit Strafe zu rechnen haben, und im Fall einer gerichtlichen Verhandlung werden sie auch zu Geldbußen verurteilt, die sie nicht bezahlen können.
Hinter der ständigen Bedrohung mit willkürlicher Verhaftung verbirgt sich das Ansinnen des mächtigen äthiopischen Geheimdienstes, politische Gegner mundtot zu machen, weiß Dr. Aberra Ashine. Aschine selbst hat, trotz eines richterlichen Freispruchs, neun Monate in Haft verbringen müssen. Die äthiopischen Gefängnisse sind Orte, in denen die Insassen körperlich und seelisch beschädigt werden sollen, sagt er, damit sie, wenn sie denn das Gefängnis überleben, als gebrochene Menschen in die Freiheit hinaustreten.
Aberra Ashine: Die Zellen sind ungefähr 16 Quadratmeter groß. In diesen Zellen - so muß man rechnen- sitzen durchschnittlich etwa 30 bis 34 Gefangene, und es gibt die Schlafmöglichkeit dafür nicht, man muß rotationsmäßig schlafen. Und es wurden auch abends und nachts Leute gerufen, die ausgepeitscht oder verletzt werden. Wasser gibt es überhaupt nicht. Im Allgemeinen sind in Äthiopien die Gefängnisverhältnisse nicht human.
Tesfaye Deressa kommt nach seiner Festnahme , bei der die Sicherheitskräfte sich nicht die Mühe machen, einen Haftrichter hinzuzuziehen, in Einzelhaft. Zehn Monate verharrt er dort und darf weder seinen Anwalt noch seine Familie empfangen. Ende 1998 sitzen siebzehn Journalisten in äthiopischen Gefängnissen, wie viele es zur Zeit sind, ist unbekannt. Und so erfahren die Völker Äthiopiens aus unabhängigen Medien wenig über den zur Zeit wieder aufgeflammten Krieg mit Eritrea; über die mehr als 200 000 innerstaatlichen Flüchtlinge; über die 40 000 ausgewiesenen Eritreer; über Meldungen, daß Bauern im Frontgebiet auf Minenfelder geschickt worden sein sollen und über Verhaftungswellen unter der Menschenrechtsliga des Landes. Auch Tesfaye Deressa dürfte davon in seiner Zelle im Zentralgefängnis von Addis Abeba kaum erfahren haben. Er weiß noch nicht einmal, was ihm konkret vorgeworfen wird; denn eine Klageschrift wurde ihm nie vorgelegt. Das Verfahren gegen den äthiopischen Journalisten Tesfaye Deressa ist bis heute , mehr als anderthalb Jahre nach seiner Festnahme, nicht eröffnet worden.