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Testfall AEG

Wie ist es tatsächlich um die Bereitschaft von Kunden bestellt, Produkte zu boykottieren? Wissenschaftler aus Dresden haben in einer Studie ermittelt, welche Faktoren ein solches Verhalten beeinflussen können.

Von Christian Forberg | 02.06.2006
    Katja Wittig und Stefan Hoffmann vom Lehrstuhl Marketing der Technischen Universität Dresden starteten im Februar ihre Umfrage zum Verbraucherverhalten. Damals schlugen die Wellen der Empörung über die Absichten von Electrolux besonders hoch. Sie ließen je 200 Personen aus Nürnberg und Chemnitz, Mannheim und Dresden befragen. Nun sind die meisten Daten ausgewertet. Zunächst gibt es weniger Überraschendes: Die Nähe zum Ort und zu den Ereignissen prägt das Maß der Betroffenheit besonders. In Nürnberg sprach sich weit über die Hälfte der Befragten für einen Boykott aus, in Chemnitz "mit Sicherheit" jeder Fünfte und "vielleicht" jeder Dritte. In Dresden dagegen war sich nur ein Viertel der Befragten mehr oder minder sicher, Electrolux-Erzeugnisse zu boykottieren. Ähnlich unentschlossen zeigten sich die befragten Mannheimer. Katja Wittig zu den Schwerpunkten der Befragung:

    "Das Erste war der Wohnort. Die Nürnberger Stichprobe reagiert ganz extrem, wenn man sie fragt: "Werden Sie in Zukunft Produkte von AEG und Electrolux boykottieren?" An zweiter Stelle würde ich die persönliche Betroffenheit sehen, also "Sind sie persönlich betroffen von der Werksschließung, verlieren Sie Ihren Arbeitsplatz oder werden Sie ihn eventuell verlieren?" Und an dritter und vierter Stelle würde ich den Besitz einordnen, also "Besitzen Sie bereits Produkte von AEG oder Electrolux?" und "Sind Freunde im engeren Umfeld betroffen von der Werksschließung?"

    Und dabei stieß man auf Unerwartetes. Stefan Hoffmann:

    "Was allerdings sehr erstaunlich war: wenn jemand Bekannte hat, also Nicht-Freunde, Nicht-Familie, die bei AEG arbeiten, das derjenige sich nicht betroffen fühlte und kaum Boykottbereitschaft gezeigt hatte."

    Dagegen fiel der Besitz eines Gerätes weit mehr ins Gewicht:

    "Das heißt, besitzt jemand Produkte von AEG, dann ist er stärker betroffen und hat auch eine höhere Boykottbereitschaft. Wir führen das darauf zurück, dass es eine emotionale Nähe zum Produkt gibt und dass sich jemand mit dem Produkt identifiziert."

    Was wiederum vor allem in Nürnberg der Fall war, wo die Traditionsmarke AEG stark positiv und Electrolux stark negativ bewertet wurde. Eine Familie brachte es im Internet auf den Punkt und schrieb: "Nie mehr Elektrolux! AEG natürlich ebenso; obwohl die Qualität bislang überzeugte, ist hier das Ende der Produktbindung erreicht." So ähnlich hatten es die Dresdner Forscher vermutet und zunächst ein Gleichheitszeichen zwischen Electrolux und AEG gesetzt, sagt Katja Wittig. Sie mussten sich korrigieren und feststellen...:

    "...dass die Konsumenten das Image der Marke AEG und der Marke Electrolux vollkommen getrennt voneinander bewerten. Also, trotz dessen, dass die Marke AEG von der Schließung des Werks in Nürnberg betroffen ist, wird sie weiterhin sehr positiv von den Konsumenten wahrgenommen, während die Marke Electrolux fast einheitlich schlecht bewertet wird. Und zwar unabhängig davon, ob wir die Probanden in Nürnberg befragt haben oder in anderen deutschen Städten."

    Alles in allem, so Stefan Hoffmann das Ergebnis zusammenfassend:

    "Je stärker ich persönlich betroffen bin, desto positiver ist mein Image von AEG, und - negativ zusammenhängend mit dem Image von Electrolux – je stärker ich betroffen bin, desto negativer ist mein Image von Electrolux. Wir hatten vermutet, dass beide Images abnehmen durch die Betroffenheit. Unsere Erklärung für das Ganze ist: je besser/stärker mein Image von AEG ist, desto stärker bin ich emotionalisiert durch den ganzen Vorfall und desto höher ist meine persönliche Betroffenheit, und deshalb bewerte ich Electrolux negativer und werde auch stärker zum Boykottieren neigen. Das hatten wir nicht erwartet: Wir hatten gedacht, dass die Betroffenheit sich auf das Image auswirkt. Aber es scheint anders herum zu sein: Das Image wirkt sich auf die Betroffenheit aus."

    In Anlehnung an eine amerikanische Studie wurde auch nach dem Vertrauen in das Management von Electrolux gefragt. Auch hier gilt: Je betroffener man ist, desto geringer ist es. So waren die Nürnberger, die selbst betroffen waren, nahezu vollständig davon überzeugt, dass die Werksschließung nicht notwendig und eine Fehlentscheidung sei. Der Anteil sank auf drei Viertel, wenn man nicht selbst betroffen war. In den anderen Städten lag der Anteil immerhin noch bei zwei Dritteln. Die Studie, war zu hören, ist im Electrolux-Konzern auf Interesse gestoßen. Und auch die Ergebnisse einer geplanten erneuten Befragung dürften interessant werden: Was ist von den Boykottabsichten übrig geblieben?