Sie haben hier in Ötlingen, in der Sonnenstube von Weil am Rhein, den schönsten Blick aufs Dreiländereck. Vor uns unmittelbar liegen die Weinberge. Sie haben den Blick hinein in die Basler Bucht, und sehen dort die Schlote der Baseler Chemie. Sie sehen in die Schweizer Vorberge, in die Voralpen hinein. Der Blick schweift hinüber ins Elsass. Blick auf den Euroairport. Dahinter beginnen schon die ersten Berge des Elsass. Dazwischen zieht sich der Rhein, man sieht ihn so leicht dazwischen glänzen.
Die Aussichtsplattform einer kleinen evangelischen Kirche in Weil am Rhein. Hier oben liegt einem das Dreiländereck zu Füßen. Das Dreieck zwischen Lörrach, Mulhouse und Basel preisen Politiker gerne als "Herz", "Keimzelle" oder "Modellregion" Europas. Oberbürgermeister Wolfgang Dietz führt seine Besucher immer hierher. Vor fast genau einem Jahr war es Bundespräsident Johannes Rau, der den Ausblick genoss. Auch er war nach Weil gereist, um das tri-nationale Leben am Oberrhein kennen zu lernen, wo Südbaden, Elsass und Nordschweiz aufeinander treffen. Interessiert fragte das Staatsoberhaupt nach, wie die Zusammenarbeit in der Region funktioniert.
Ich denke mal an bestimmte Disziplinen der Medizin? Gehen Sie nach Freiburg ins Theater oder gehen sie nach Basel ins Theater? - Eher nach Basel. - Es gibt Krankenhausversorgung, die im Großteil von der Bevölkerung lieber in Basel wahrgenommen wird als in Freiburg. - Rau: Ja, ich habe ein Arbeitsangebot für meine nachberufliche Zeit aus Basel, deshalb interessieren mich diese Dinge. - Wir bieten Ihnen sofort einen Bauplatz in Weil am Rhein. -Kann ich auch, kann ich auch...
Der, der rief "Das kann ich auch!" - nämlich: dem Bundespräsidenten einen Bauplatz anbieten - sei sein französischer Kollege aus Huningue am gegenüberliegenden Rheinufer gewesen, erzählt Oberbürgermeister Dietz schmunzelnd. -- Alltag im Dreiländereck. Wer kann und will, wohnt in Frankreich, weil dort Mieten und Grundstücke billiger sind. Zur Arbeit pendeln mehr als 60.000 Deutsche und Franzosen nach Basel, denn in der Schweiz sind die Löhne bis zu einem Drittel höher. Im Gegenzug kaufen die Schweizer bei den Nachbarn ein und besuchen die Restaurants im Elsass oder im Markgräfler Land. Und alle nutzen sie das kulturelle Angebot der Großstadt Basel.
Knapp 30.000 Einwohner zählt Weil am Rhein; rund 7.000 Huningue auf der anderen, der französischen Rheinseite. Vor ihrer Haustür der Großraum Basel mit mehr als einer halben Million Menschen.
Die Dreiländerstadt Weil am Rhein ist durch ihre Randlage geprägt. Auf der einen Seite die offene Grenze zum EU-Nachbarland Frankreich; auf der anderen Seite die vom Zoll kontrollierte Grenze zur Schweiz.
Wir sind die Stadt, die von Stuttgart am weitesten weg ist in Baden-Württemberg. Und die von Berlin am weitesten weg ist in ganz Deutschland. Und das macht sich in der Wahrnehmung bemerkbar. Wir fühlen uns in vielen Fällen etwas abseits, weil wir Grenzlage im nationalen Rechtskontext sind. Alle Regelungen, mit denen wir uns auseinandersetzen im Wirtschaftsleben, im sozialpolitischen Leben sind alles nationale Reglungen, leben tun wir allerdings ein trinationales wirtschaftliches Leben: Wir arbeiten in der Schweiz, wir arbeiten in Frankreich, wir kaufen dort ein. Wir heiraten dort hinüber, wir erben von dort. Wir leben im Grunde tri-national, aber unter nationalen Rechts- und Sozialordnungen.
Zum Beweis führt Oberbürgermeister Dietz seine Besucher hinunter an den Rhein; an eine Stelle, wo eine Stichstraße direkt auf den Fluss zuführt - und am Ufer einfach endet. Hier soll eine Brücke gebaut werden, ein schmaler Steg für Fußgänger und Radfahrer hinüber ins nur 250 Meter entfernte Huningue. Denn die einzige Brücke, die die Partnerstädte momentan verbindet, ist dem Autoverkehr vorbehalten.
Im Moment können sie nach Frankreich hinüber nur mit dem Fahrzeug kommen. Oder aber indem sie nach Basel mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren, und von Basel heraus mit dem öffentlichen Nahverkehr wieder nach Frankreich hinüber. Wir haben sehr viel Radfahrerverkehr hier, sie sehen ja, die Leute fahren am Rhein entlang. Es sind ja viele Radwege hier auf beiden Seiten des Rheins, deswegen ist auch diese Idee geboren worden mit der Radfahrer- und Fußgängerbrücke, man kommt dann sehr viel leichter hinüber, und es wird ein Kommen und Gehen sein.
Mit den Franzosen ist er sich längst einig. 250 Meter zu Fuß über den Rhein - und die Bürger sind im Zentrum des jeweils anderen Städtchens. Ein besseres Symbol für grenzüberschreitendes Zusammenwachsen könne es nicht geben, glauben die Kommunalpolitiker. Doch die Bürokratie macht ihnen einen Strich durch die Rechnung:
Plötzlich stellten dann Paris und Berlin fest, sie bräuchten für eine so einfache Brücke einen Staatsvertrag. Und diese Staatsvertragsverhandlungen haben sich hingezogen. Es ist im Moment so, dass der Bundesrat gerade erst jetzt diesen Staatsvertrag verabschiedet hat. Auf französischer Seite ist uns die Neuwahl zum französischen Parlament dazwischen gekommen, weshalb ich damit rechne, dass wir eine Parlamentsentscheidung erst im Herbst dieses Jahres haben werden. Mit der Folge, dass dieser gesamte Brückenkomplex wegen der Staatsvertragsverhandlungen zwei Jahre Zeitverzögerung gekostet hat. Niemand erstattet den beiden Kommunen die daraus entstehenden finanziellen Mehrkosten. Das ist ein typisches Beispiel dafür, dass wir einfache Lösungen sehr kompliziert, rechtlich kompliziert regeln müssen.
Die Fußgängerbrücke - ein Staatsprojekt. Das ist europäischer Alltag. Mangels Kompetenzen stößt die Politik vor Ort auch heute noch an Grenzen. Rund ein Dutzend bi- oder trinational besetzter Gremien bemüht sich um grenzüberschreitende Kontakte am Oberrhein. Getagt wird fast immer und überall. Im halbjährlichen Turnus tritt, als wichtigste Arbeitsebene unterhalb der Regierungskommission, seit mehr als 25 Jahren die Oberrhein-Konferenz zusammen. Für alle bedeutenden Themen berufen die Delegierten – es sind fast ausnahmslos Regierungs- und Behördenvertreter – wiederum eigene Expertengruppen ein. Daneben hat sich im Laufe der Zeit eine unüberschaubare Anzahl nichtstaatlicher Foren gebildet: Bürgermeisterkonferenzen, Interessengemeinschaften und Koordinierungskomitees.
Ein Handicap ist allen Gremien gemeinsam: Sie können zwar ausgiebig diskutieren, empfehlen und fordern - aber so gut wie nichts beschließen. Das letzte Wort haben im Zweifel die nationalen Parlamente. Zehn Jahre zogen zum Beispiel ins Land, bis deutschen Polizisten erlaubt wurde, in Frankreich zum eigenen Schutz die Dienstwaffe zu tragen. Einen Autodieb aber dürfen sie im Gastland noch immer nicht festnehmen; sie müssen auf ihre französischen Kollegen warten; was im umgekehrten Fall hierzulande nicht nötig ist. Die Tücken der unterschiedlichen Rechtssysteme kennt auch Pierre Meyer, directeur, also Geschäftsführer bei der Region Alsace in Straßburg, nur zu gut.
Es muss jetzt klar definiert werden, wer was tut von der EU bis Staatsregierung, bis Regionen, bis Gemeinden. Das ist keine einfache Frage, aber da müssen viele Dingen geklärt werden, wer welche Verantwortung hat. Ich stelle fest, je mehr Projekte wir haben je mehr streiten wir. Das ist klar. Wenn es heißt, wer bezahlt was, wer trifft welche Entscheidung, wie werden wir unsere Arbeit organisieren, das ist ganz konkret, da tauchen Probleme auf. Weil wir Beispiel Verwaltung ganz andere Arbeitsmethoden, Entscheidungsprozesse, Finanzierungsprozesse ist ganz anders.
Auch der Oberrheinrat, im April 1988 in Straßburg gegründet, müht sich, den nationalen Regierungen Zug um Zug Kompetenzen abzutrotzen. Der Rat ist das politische Pendant zur Oberrheinkonferenz und die erste Instanz, die in ihren Reihen sämtliche Ebenen von französischen, deutschen und schweizerischen Politikern vereint. Kritiker nennen das Gremium respektlos einen Debattierclub. Nicht ohne Grund. Der 73-köpfige Rat, dem Kommunal-, Regional- und Landespolitiker aus dem Elsass, den Kantonen Basel, aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz angehören, hat lediglich beratende Funktion.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft nach wie vor eine Lücke, dämpft auch Franz Schmider von der Badischen Zeitung aus Freiburg die Euphorie. Als Beispiel nennt der Journalist die ICE-Verbindung Frankfurt-Zürich. Der Hochgeschwindigkeitszug macht in Basel zweimal Halt: Im badischen Bahnhof, der auf Schweizer Territorium liegt, und drei Kilometer weiter auf der anderen Seite des Rheins im Bahnhof der Schweizer Bundesbahnen.
Man investiert auf deutscher Seite jetzt Hunderte von Millionen, um einen Tunnel zu bauen, damit man drei Minuten gewinnt. Diese drei Minuten könnte man locker gewinnen, indem man einen Halt in Basel abschafft. Wir fahren von Freiburg zum Flughafen, machen dort einen Stopp, verbinden das ICE-Netz mit dem TGV, fahren von dort nach Basel weiter in den Bahnhof SBB, verzichten auf das Kopfmachen, was ungefähr acht Minuten Zeitverlust bedeutet und fahren dort weiter. Wir wären viel schneller, bräuchten auch keinen Tunnel. Nur man müsste es europäisch denken und das passiert eben nicht.
Der Journalist spricht aus, was viele denken: Dass die Politiker fälschlicherweise den Eindruck erwecken, beim Dreiländereck handele es sich um einen grenzenlosen Raum.
Genau die Politiker, die immer die großen Reden schwingen, die denken dann bloß noch in nationalen Kategorien und eben nicht in diesen grenzenlosen Kategorien. Und da klafft eine große Lücke zwischen dem, was sie verkünden, was sie aber selbst nie richtig definiert haben, weil dann müssten sie sehen: Es geht nicht, weil es ihre Kompetenz auch überschreitet, weil es eine Auflösung nationaler Grenzen wäre und die steht im Moment nicht zur Diskussion. Und diese Diskrepanz, das ist das, was die Bevölkerung wahrnimmt im Sinne von, da geht zu wenig voran.
A 5 Karlsruhe Richtung Basel am Grenzübergang Weil am Rhein 2 Kilometer Lkw-Stau.
Ein Verkehrshinweis im Radio ist zum Markenzeichen von Weil am Rhein geworden. Die Staumeldungen vom südlichen Ende einer der wichtigsten deutschen Nord-Süd-Verbinden wiederholen sich beinahe jeden Morgen. Kilometerlang stehen die Lastwagen an der Grenze, weil nachts in der Schweiz Lkw-Fahrverbot herrscht. Gehen die eigenen, nationalen Interessen vor, ist die vielbeschworene Gemeinsamkeit - wie dieses Beispiel zeigt - nicht mehr viel wert.
"Europäer des Alltags" – nennen sich die Menschen im Dreiländereck nicht ohne Stolz. Sie erleben und sie leben Europa – mit allen Vorteilen und allen Schwierigkeiten. Die Baslerin geht nach Weil am Rhein zum Friseur. Die Deutschen lassen sich im Elsass nieder, kaufen Grundstücke, bauen Häuser. Kinder im Elsass lernen nicht etwa Englisch sondern Deutsch als erste Fremdsprache - vielerorts bereits im Kindergarten. Die Kontakte sind rege; von oben verordnen lässt sich die Nähe aber nicht.
Umfrage:
Franzose: Dass wir ein gemeinsames Kennzeichen haben, das würde vielen nicht gefallen. Darum würde ich sagen, dass ist nicht wichtig. Nur dass wir über die Grenze gehen, egal welches Kennzeichen, das ist wichtig, dass man auf der einen Seite wohnt und auf der anderen Seite arbeitet.
Deutscher: Dass wir die Lebensqualität an die erste Stelle stellen. Wenn ich mit meinem Freund Antoine gegenüber in solchen Gespräche bin und er sagt, (verfällt kurz in den elsässischen Dialekt) verdammt noch mal, schau mal was der für ein Geld verdient und was haben wir. Dann sage ich, du hast aber eine andere Lebensqualität. Und das bisschen, was der mehr hat, der soll die Wirtschaft füttern, aber du lebst auch noch, da kannst du ganz froh sein.
Schweizerin: Es ist effektiv so, dass wir uns also näher fühlen dem Elsass und dem Badischen als der Innerschweiz. Wir spüren schon, dass wir eine sehr ähnliche Grundkultur besitzen. Gut, das hat natürlich auch mit der Sprache zu tun. Wir reden hier das Niederalemannische, gleich dem Badischen und dem Elsässischen, während in der Innerschweiz Hochalemannisch gesprochen wird.
Anders als ihre Landsleute aus der Innerschweiz hätten die Baseler einen EU-Beitritt begrüßt. Doch in einem Referendum lehnten die Schweizer im vergangenen Jahr die sofortige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union ab. Dass die Alpenrepublik EU-Ausland ist, macht die Kooperation im Dreiländereck nicht eben einfacher. Deutsche Handwerker bekommen zum Beispiel immer wieder Probleme mit dem Schweizer Zoll, weiß Michael Bertram von der Wirtschaftsregion Dreiländereck in Lörrach:
Wenn er an einen Zöller gerät, der formalistisch ist, dann muss der Monteur den ganzen Wagen anmelden, muss jede einzelne Schraube deklarieren. Und braucht auf die Art und Weise einen nicht vertretbaren Zeitaufwand, um jetzt Wartungsarbeiten durchzuführen, die normalerweise mit wenigen Handgriffen auch getan wären. Ich kenne einen Handwerksbetrieb, Sanitär, Heizung und Klima, der sich auch eine ganze Zeit lang darüber geärgert hat, er hat dann kurzerhand in Basel-Land einen Betrieb eröffnet. Also solche Unternehmen, die lösen das dann auf diese Weise, dass sie dann einfach offensiv das System besiegen oder so durchdringen, dass sie es sie in das Land gehen.
Das bilaterale Wirtschaftsabkommen, das zum 1. Juni zwischen der Schweiz und der EU in Kraft trat, verspricht schrittweise Besserung. So ist etwa für Pendler, die in Basel tätig sind, keine Arbeitserlaubnis mehr erforderlich. Außerdem werden die sogenannten Heimkehrerpflichten gelockert - für grenzüberschreitende Liebesbeziehungen nicht unwichtig: Bisher durften die Deutschen eigentlich nicht bei ihren eidgenössischen Partnern nächtigen, da sie streng genommen die Schweiz nach 24 Stunden wieder zu verlassen hatten. Diese Regelung ist jetzt abgeschafft. Peu à peu rückt man im Dreiländereck enger zusammen. Auch sprachlich.
Ein Kindergarten in Weil am Rhein. Die Kleinen lernen Französisch – ganz nebenbei, erklärt Erzieherin Heike Sütterlin:
Über Lieder, Fingerspiele, einfache Geschichten - und ganz wichtig ist, dass es einfach ständig wiederholt wird, dass die Kinder spielerisch eine neue Sprache erlernen, dass sie sie erst mal kennen lernen, ein Gefühl kriegen für die andere Sprache, das Interesse wird geweckt und dass die Kinder dann vielleicht ein paar Wörter in dem Zeitraum, den sie im Kindergarten sind, erlernen.
Auf badischer Seite ist das seit zweieinhalb Jahren ein Modellprojekt - im Elsass längst Alltag. Dort pauken 80 Prozent der Kinder schon heute Deutsch. Es gibt mehr als 300 bilinguale Klassen, in denen nicht nur Deutsch gelernt, sondern sogar Mathematik oder Geschichte auf Deutsch unterrichtet werden. Die elsässische Schulbehörde ist ehrgeizig, bis 2006 soll jedes Kind vom dritten Lebensjahr an Deutschunterricht erhalten. Eveyln Möller war - bevor sie in den Haltinger Kindergarten wechselte – auf der anderen Rheinseite als Deutschlehrerin an bilingualen Grundschulen tätig:
In Frankreich gibt es das bilinguale System seit 11 Jahren, seit 1991. Die haben 13 Stunden in der Woche Deutsch und 13 Stunden Französisch. Das ist bestens gelaufen. Die ersten drei Jahre im Kindergarten nehmen die Kinder nur auf, sie hören, wiederholen, sagen vielleicht ganz kleine Sätze. Danach in der Grundschule, die haben das drin, verstehen fast alles und die können sich plötzlich ausdrücken, die haben ja gar keine Blockade sowohl in der Aussprache als auch im Verstehen. Und dann geht das ganz schnell. Kinder stellen sich auf französisch vor.
Ab September geht das Projekt in Weil am Rhein in eine neue Phase: Dann möchte Eveyln Möller versuchen, einen Tag in der Woche mit den Kindern nur Französisch zu reden.
Zum Beispiel jetzt räumen wir auf, kommt! wir essen, wir machen dieses und jenes, werde ich alles auf Französisch sagen, und mit der Zeit verstehen sie dann, was ich sage. Hier direkt an der Grenze finde ich es gut, dann sehen sie schon, ah ja, die gibt es da, wir können ja mit unseren Eltern Einkaufen fahren, dann höre ich die Sprache. Umso mehr sie das tagtäglich hören, umso besser verstehen sie die Sprache.
Studien geben der Erzieherin Recht. Linguisten gehen davon aus, dass es sinnvoll ist, früh eine Sprache zu lernen, die einen Kontrast zur deutschen Muttersprache bildet. Danach fällt es leichter, sich eine lautverwandte Sprache wie Englisch einzuprägen.
Viele Eltern am Oberrhein überzeugt dieses Argument allerdings nicht. Gegen ihren Willen wird ab dem nächsten Jahr an 100 Grundschulen zwischen Karlsruhe und Lörrach als erste Fremdsprache die des direkten Nachbarn gelehrt, während die ABC-Schützen im Rest von Baden-Württemberg in der Weltsprache Englisch unterrichtet werden. Den Elternprotest kann Pierre Meyer, Geschäftsführer der Region Alsace, nicht nachvollziehen.
Wenn die sagen, nicht Französisch aber Englisch, finde ich das nicht vernünftig. Denn über die Hälfte der Jungendlichen, die es heute gibt, werden viele Möglichkeiten haben französisch zu sprechen. Selbst für die Arbeit. Für die Deutschen, für die auf der badischen Seite kann französisch auch eine Kultursprache. Essen, sich treffen, sich nah sein, das gehört dazu. Deshalb sage ich immer, die englische Sprache ist für uns eine reine Kommunikation. Aber keine Basis von Kultur und nicht von Geschichte. Also gar nichts.
An Geld mangelt es nicht. Die Europäische Union fördert die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg, dem Elsass und der Nordschweiz bis 2006 mit insgesamt 31,6 Millionen Euro. In den Genuss der Mittel kommen in der sogenannten RegioTriRhena – dieser Arbeitsgemeinschaft gehört das Dreiländereck an - Hunderte grenzüberschreitender Projekte. Darunter Aktionen für den Umweltschutz, Theaterprojekte, Sportveranstaltungen oder etwa eine trinationale Ingenieurausbildung. Junge Deutsche, Franzosen und Schweizer lernen während ihres vierjährigen Studiums, das sie an die Hochschulen in Lörrach, Mulhouse und Basel führt, intensiv die Sprache und Industriekulturen der Nachbarländer kennen.
Bis 2006 kann das Dreiländereck noch aus dem Vollen schöpfen. Nach der EU-Osterweiterung aber werden die Gelder aus Brüssel in andere europäische Grenzregionen fließen. Das Gefühl des grenzüberschreitenden Miteinanders, das Gefühl im gleichen Boot zu sitzen, ist bei den Menschen noch zu wenig ausgebildet, heißt es in einem Papier der RegioTriRhena. Weshalb erstmals in der Geschichte des Dreiländerkongresses gemeine Bürger zur Oktober-Sitzung geladen sind. "Begegnungen am Oberrhein" nennt die Aktion sich, für die Prominente wie Rad-Weltmeister Jan Ullrich und der Breisacher Aktionskünstler Helmut Lutz werben. Von vorschneller Begeisterung hält er aber nichts:
Wenn wir durch diese wirtschaftliche Einheit vermassen, gleich werden, also einen Gulasch bilden, das fände ich schade. Organisierte Nähe darf nur prozentual zu je folgender Nähe, die sich dann wirklich vollzieht, stattfinden. Wir haben vergessen, uns am Rhein zu treffen. Wir sind als Bevölkerung nicht am Rhein miteinander. Das hat man gemeint, sei nicht mehr nötig. Das muss noch mal geschehen. Wir müssen uns nochmals – auch wenn die Grenze längst offen ist, nochmals an der Grenze uns treffen. Gleichwertig treffen. Und dann zum Teil miteinander irgendwo hingehen.
Die Aussichtsplattform einer kleinen evangelischen Kirche in Weil am Rhein. Hier oben liegt einem das Dreiländereck zu Füßen. Das Dreieck zwischen Lörrach, Mulhouse und Basel preisen Politiker gerne als "Herz", "Keimzelle" oder "Modellregion" Europas. Oberbürgermeister Wolfgang Dietz führt seine Besucher immer hierher. Vor fast genau einem Jahr war es Bundespräsident Johannes Rau, der den Ausblick genoss. Auch er war nach Weil gereist, um das tri-nationale Leben am Oberrhein kennen zu lernen, wo Südbaden, Elsass und Nordschweiz aufeinander treffen. Interessiert fragte das Staatsoberhaupt nach, wie die Zusammenarbeit in der Region funktioniert.
Ich denke mal an bestimmte Disziplinen der Medizin? Gehen Sie nach Freiburg ins Theater oder gehen sie nach Basel ins Theater? - Eher nach Basel. - Es gibt Krankenhausversorgung, die im Großteil von der Bevölkerung lieber in Basel wahrgenommen wird als in Freiburg. - Rau: Ja, ich habe ein Arbeitsangebot für meine nachberufliche Zeit aus Basel, deshalb interessieren mich diese Dinge. - Wir bieten Ihnen sofort einen Bauplatz in Weil am Rhein. -Kann ich auch, kann ich auch...
Der, der rief "Das kann ich auch!" - nämlich: dem Bundespräsidenten einen Bauplatz anbieten - sei sein französischer Kollege aus Huningue am gegenüberliegenden Rheinufer gewesen, erzählt Oberbürgermeister Dietz schmunzelnd. -- Alltag im Dreiländereck. Wer kann und will, wohnt in Frankreich, weil dort Mieten und Grundstücke billiger sind. Zur Arbeit pendeln mehr als 60.000 Deutsche und Franzosen nach Basel, denn in der Schweiz sind die Löhne bis zu einem Drittel höher. Im Gegenzug kaufen die Schweizer bei den Nachbarn ein und besuchen die Restaurants im Elsass oder im Markgräfler Land. Und alle nutzen sie das kulturelle Angebot der Großstadt Basel.
Knapp 30.000 Einwohner zählt Weil am Rhein; rund 7.000 Huningue auf der anderen, der französischen Rheinseite. Vor ihrer Haustür der Großraum Basel mit mehr als einer halben Million Menschen.
Die Dreiländerstadt Weil am Rhein ist durch ihre Randlage geprägt. Auf der einen Seite die offene Grenze zum EU-Nachbarland Frankreich; auf der anderen Seite die vom Zoll kontrollierte Grenze zur Schweiz.
Wir sind die Stadt, die von Stuttgart am weitesten weg ist in Baden-Württemberg. Und die von Berlin am weitesten weg ist in ganz Deutschland. Und das macht sich in der Wahrnehmung bemerkbar. Wir fühlen uns in vielen Fällen etwas abseits, weil wir Grenzlage im nationalen Rechtskontext sind. Alle Regelungen, mit denen wir uns auseinandersetzen im Wirtschaftsleben, im sozialpolitischen Leben sind alles nationale Reglungen, leben tun wir allerdings ein trinationales wirtschaftliches Leben: Wir arbeiten in der Schweiz, wir arbeiten in Frankreich, wir kaufen dort ein. Wir heiraten dort hinüber, wir erben von dort. Wir leben im Grunde tri-national, aber unter nationalen Rechts- und Sozialordnungen.
Zum Beweis führt Oberbürgermeister Dietz seine Besucher hinunter an den Rhein; an eine Stelle, wo eine Stichstraße direkt auf den Fluss zuführt - und am Ufer einfach endet. Hier soll eine Brücke gebaut werden, ein schmaler Steg für Fußgänger und Radfahrer hinüber ins nur 250 Meter entfernte Huningue. Denn die einzige Brücke, die die Partnerstädte momentan verbindet, ist dem Autoverkehr vorbehalten.
Im Moment können sie nach Frankreich hinüber nur mit dem Fahrzeug kommen. Oder aber indem sie nach Basel mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren, und von Basel heraus mit dem öffentlichen Nahverkehr wieder nach Frankreich hinüber. Wir haben sehr viel Radfahrerverkehr hier, sie sehen ja, die Leute fahren am Rhein entlang. Es sind ja viele Radwege hier auf beiden Seiten des Rheins, deswegen ist auch diese Idee geboren worden mit der Radfahrer- und Fußgängerbrücke, man kommt dann sehr viel leichter hinüber, und es wird ein Kommen und Gehen sein.
Mit den Franzosen ist er sich längst einig. 250 Meter zu Fuß über den Rhein - und die Bürger sind im Zentrum des jeweils anderen Städtchens. Ein besseres Symbol für grenzüberschreitendes Zusammenwachsen könne es nicht geben, glauben die Kommunalpolitiker. Doch die Bürokratie macht ihnen einen Strich durch die Rechnung:
Plötzlich stellten dann Paris und Berlin fest, sie bräuchten für eine so einfache Brücke einen Staatsvertrag. Und diese Staatsvertragsverhandlungen haben sich hingezogen. Es ist im Moment so, dass der Bundesrat gerade erst jetzt diesen Staatsvertrag verabschiedet hat. Auf französischer Seite ist uns die Neuwahl zum französischen Parlament dazwischen gekommen, weshalb ich damit rechne, dass wir eine Parlamentsentscheidung erst im Herbst dieses Jahres haben werden. Mit der Folge, dass dieser gesamte Brückenkomplex wegen der Staatsvertragsverhandlungen zwei Jahre Zeitverzögerung gekostet hat. Niemand erstattet den beiden Kommunen die daraus entstehenden finanziellen Mehrkosten. Das ist ein typisches Beispiel dafür, dass wir einfache Lösungen sehr kompliziert, rechtlich kompliziert regeln müssen.
Die Fußgängerbrücke - ein Staatsprojekt. Das ist europäischer Alltag. Mangels Kompetenzen stößt die Politik vor Ort auch heute noch an Grenzen. Rund ein Dutzend bi- oder trinational besetzter Gremien bemüht sich um grenzüberschreitende Kontakte am Oberrhein. Getagt wird fast immer und überall. Im halbjährlichen Turnus tritt, als wichtigste Arbeitsebene unterhalb der Regierungskommission, seit mehr als 25 Jahren die Oberrhein-Konferenz zusammen. Für alle bedeutenden Themen berufen die Delegierten – es sind fast ausnahmslos Regierungs- und Behördenvertreter – wiederum eigene Expertengruppen ein. Daneben hat sich im Laufe der Zeit eine unüberschaubare Anzahl nichtstaatlicher Foren gebildet: Bürgermeisterkonferenzen, Interessengemeinschaften und Koordinierungskomitees.
Ein Handicap ist allen Gremien gemeinsam: Sie können zwar ausgiebig diskutieren, empfehlen und fordern - aber so gut wie nichts beschließen. Das letzte Wort haben im Zweifel die nationalen Parlamente. Zehn Jahre zogen zum Beispiel ins Land, bis deutschen Polizisten erlaubt wurde, in Frankreich zum eigenen Schutz die Dienstwaffe zu tragen. Einen Autodieb aber dürfen sie im Gastland noch immer nicht festnehmen; sie müssen auf ihre französischen Kollegen warten; was im umgekehrten Fall hierzulande nicht nötig ist. Die Tücken der unterschiedlichen Rechtssysteme kennt auch Pierre Meyer, directeur, also Geschäftsführer bei der Region Alsace in Straßburg, nur zu gut.
Es muss jetzt klar definiert werden, wer was tut von der EU bis Staatsregierung, bis Regionen, bis Gemeinden. Das ist keine einfache Frage, aber da müssen viele Dingen geklärt werden, wer welche Verantwortung hat. Ich stelle fest, je mehr Projekte wir haben je mehr streiten wir. Das ist klar. Wenn es heißt, wer bezahlt was, wer trifft welche Entscheidung, wie werden wir unsere Arbeit organisieren, das ist ganz konkret, da tauchen Probleme auf. Weil wir Beispiel Verwaltung ganz andere Arbeitsmethoden, Entscheidungsprozesse, Finanzierungsprozesse ist ganz anders.
Auch der Oberrheinrat, im April 1988 in Straßburg gegründet, müht sich, den nationalen Regierungen Zug um Zug Kompetenzen abzutrotzen. Der Rat ist das politische Pendant zur Oberrheinkonferenz und die erste Instanz, die in ihren Reihen sämtliche Ebenen von französischen, deutschen und schweizerischen Politikern vereint. Kritiker nennen das Gremium respektlos einen Debattierclub. Nicht ohne Grund. Der 73-köpfige Rat, dem Kommunal-, Regional- und Landespolitiker aus dem Elsass, den Kantonen Basel, aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz angehören, hat lediglich beratende Funktion.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft nach wie vor eine Lücke, dämpft auch Franz Schmider von der Badischen Zeitung aus Freiburg die Euphorie. Als Beispiel nennt der Journalist die ICE-Verbindung Frankfurt-Zürich. Der Hochgeschwindigkeitszug macht in Basel zweimal Halt: Im badischen Bahnhof, der auf Schweizer Territorium liegt, und drei Kilometer weiter auf der anderen Seite des Rheins im Bahnhof der Schweizer Bundesbahnen.
Man investiert auf deutscher Seite jetzt Hunderte von Millionen, um einen Tunnel zu bauen, damit man drei Minuten gewinnt. Diese drei Minuten könnte man locker gewinnen, indem man einen Halt in Basel abschafft. Wir fahren von Freiburg zum Flughafen, machen dort einen Stopp, verbinden das ICE-Netz mit dem TGV, fahren von dort nach Basel weiter in den Bahnhof SBB, verzichten auf das Kopfmachen, was ungefähr acht Minuten Zeitverlust bedeutet und fahren dort weiter. Wir wären viel schneller, bräuchten auch keinen Tunnel. Nur man müsste es europäisch denken und das passiert eben nicht.
Der Journalist spricht aus, was viele denken: Dass die Politiker fälschlicherweise den Eindruck erwecken, beim Dreiländereck handele es sich um einen grenzenlosen Raum.
Genau die Politiker, die immer die großen Reden schwingen, die denken dann bloß noch in nationalen Kategorien und eben nicht in diesen grenzenlosen Kategorien. Und da klafft eine große Lücke zwischen dem, was sie verkünden, was sie aber selbst nie richtig definiert haben, weil dann müssten sie sehen: Es geht nicht, weil es ihre Kompetenz auch überschreitet, weil es eine Auflösung nationaler Grenzen wäre und die steht im Moment nicht zur Diskussion. Und diese Diskrepanz, das ist das, was die Bevölkerung wahrnimmt im Sinne von, da geht zu wenig voran.
A 5 Karlsruhe Richtung Basel am Grenzübergang Weil am Rhein 2 Kilometer Lkw-Stau.
Ein Verkehrshinweis im Radio ist zum Markenzeichen von Weil am Rhein geworden. Die Staumeldungen vom südlichen Ende einer der wichtigsten deutschen Nord-Süd-Verbinden wiederholen sich beinahe jeden Morgen. Kilometerlang stehen die Lastwagen an der Grenze, weil nachts in der Schweiz Lkw-Fahrverbot herrscht. Gehen die eigenen, nationalen Interessen vor, ist die vielbeschworene Gemeinsamkeit - wie dieses Beispiel zeigt - nicht mehr viel wert.
"Europäer des Alltags" – nennen sich die Menschen im Dreiländereck nicht ohne Stolz. Sie erleben und sie leben Europa – mit allen Vorteilen und allen Schwierigkeiten. Die Baslerin geht nach Weil am Rhein zum Friseur. Die Deutschen lassen sich im Elsass nieder, kaufen Grundstücke, bauen Häuser. Kinder im Elsass lernen nicht etwa Englisch sondern Deutsch als erste Fremdsprache - vielerorts bereits im Kindergarten. Die Kontakte sind rege; von oben verordnen lässt sich die Nähe aber nicht.
Umfrage:
Franzose: Dass wir ein gemeinsames Kennzeichen haben, das würde vielen nicht gefallen. Darum würde ich sagen, dass ist nicht wichtig. Nur dass wir über die Grenze gehen, egal welches Kennzeichen, das ist wichtig, dass man auf der einen Seite wohnt und auf der anderen Seite arbeitet.
Deutscher: Dass wir die Lebensqualität an die erste Stelle stellen. Wenn ich mit meinem Freund Antoine gegenüber in solchen Gespräche bin und er sagt, (verfällt kurz in den elsässischen Dialekt) verdammt noch mal, schau mal was der für ein Geld verdient und was haben wir. Dann sage ich, du hast aber eine andere Lebensqualität. Und das bisschen, was der mehr hat, der soll die Wirtschaft füttern, aber du lebst auch noch, da kannst du ganz froh sein.
Schweizerin: Es ist effektiv so, dass wir uns also näher fühlen dem Elsass und dem Badischen als der Innerschweiz. Wir spüren schon, dass wir eine sehr ähnliche Grundkultur besitzen. Gut, das hat natürlich auch mit der Sprache zu tun. Wir reden hier das Niederalemannische, gleich dem Badischen und dem Elsässischen, während in der Innerschweiz Hochalemannisch gesprochen wird.
Anders als ihre Landsleute aus der Innerschweiz hätten die Baseler einen EU-Beitritt begrüßt. Doch in einem Referendum lehnten die Schweizer im vergangenen Jahr die sofortige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union ab. Dass die Alpenrepublik EU-Ausland ist, macht die Kooperation im Dreiländereck nicht eben einfacher. Deutsche Handwerker bekommen zum Beispiel immer wieder Probleme mit dem Schweizer Zoll, weiß Michael Bertram von der Wirtschaftsregion Dreiländereck in Lörrach:
Wenn er an einen Zöller gerät, der formalistisch ist, dann muss der Monteur den ganzen Wagen anmelden, muss jede einzelne Schraube deklarieren. Und braucht auf die Art und Weise einen nicht vertretbaren Zeitaufwand, um jetzt Wartungsarbeiten durchzuführen, die normalerweise mit wenigen Handgriffen auch getan wären. Ich kenne einen Handwerksbetrieb, Sanitär, Heizung und Klima, der sich auch eine ganze Zeit lang darüber geärgert hat, er hat dann kurzerhand in Basel-Land einen Betrieb eröffnet. Also solche Unternehmen, die lösen das dann auf diese Weise, dass sie dann einfach offensiv das System besiegen oder so durchdringen, dass sie es sie in das Land gehen.
Das bilaterale Wirtschaftsabkommen, das zum 1. Juni zwischen der Schweiz und der EU in Kraft trat, verspricht schrittweise Besserung. So ist etwa für Pendler, die in Basel tätig sind, keine Arbeitserlaubnis mehr erforderlich. Außerdem werden die sogenannten Heimkehrerpflichten gelockert - für grenzüberschreitende Liebesbeziehungen nicht unwichtig: Bisher durften die Deutschen eigentlich nicht bei ihren eidgenössischen Partnern nächtigen, da sie streng genommen die Schweiz nach 24 Stunden wieder zu verlassen hatten. Diese Regelung ist jetzt abgeschafft. Peu à peu rückt man im Dreiländereck enger zusammen. Auch sprachlich.
Ein Kindergarten in Weil am Rhein. Die Kleinen lernen Französisch – ganz nebenbei, erklärt Erzieherin Heike Sütterlin:
Über Lieder, Fingerspiele, einfache Geschichten - und ganz wichtig ist, dass es einfach ständig wiederholt wird, dass die Kinder spielerisch eine neue Sprache erlernen, dass sie sie erst mal kennen lernen, ein Gefühl kriegen für die andere Sprache, das Interesse wird geweckt und dass die Kinder dann vielleicht ein paar Wörter in dem Zeitraum, den sie im Kindergarten sind, erlernen.
Auf badischer Seite ist das seit zweieinhalb Jahren ein Modellprojekt - im Elsass längst Alltag. Dort pauken 80 Prozent der Kinder schon heute Deutsch. Es gibt mehr als 300 bilinguale Klassen, in denen nicht nur Deutsch gelernt, sondern sogar Mathematik oder Geschichte auf Deutsch unterrichtet werden. Die elsässische Schulbehörde ist ehrgeizig, bis 2006 soll jedes Kind vom dritten Lebensjahr an Deutschunterricht erhalten. Eveyln Möller war - bevor sie in den Haltinger Kindergarten wechselte – auf der anderen Rheinseite als Deutschlehrerin an bilingualen Grundschulen tätig:
In Frankreich gibt es das bilinguale System seit 11 Jahren, seit 1991. Die haben 13 Stunden in der Woche Deutsch und 13 Stunden Französisch. Das ist bestens gelaufen. Die ersten drei Jahre im Kindergarten nehmen die Kinder nur auf, sie hören, wiederholen, sagen vielleicht ganz kleine Sätze. Danach in der Grundschule, die haben das drin, verstehen fast alles und die können sich plötzlich ausdrücken, die haben ja gar keine Blockade sowohl in der Aussprache als auch im Verstehen. Und dann geht das ganz schnell. Kinder stellen sich auf französisch vor.
Ab September geht das Projekt in Weil am Rhein in eine neue Phase: Dann möchte Eveyln Möller versuchen, einen Tag in der Woche mit den Kindern nur Französisch zu reden.
Zum Beispiel jetzt räumen wir auf, kommt! wir essen, wir machen dieses und jenes, werde ich alles auf Französisch sagen, und mit der Zeit verstehen sie dann, was ich sage. Hier direkt an der Grenze finde ich es gut, dann sehen sie schon, ah ja, die gibt es da, wir können ja mit unseren Eltern Einkaufen fahren, dann höre ich die Sprache. Umso mehr sie das tagtäglich hören, umso besser verstehen sie die Sprache.
Studien geben der Erzieherin Recht. Linguisten gehen davon aus, dass es sinnvoll ist, früh eine Sprache zu lernen, die einen Kontrast zur deutschen Muttersprache bildet. Danach fällt es leichter, sich eine lautverwandte Sprache wie Englisch einzuprägen.
Viele Eltern am Oberrhein überzeugt dieses Argument allerdings nicht. Gegen ihren Willen wird ab dem nächsten Jahr an 100 Grundschulen zwischen Karlsruhe und Lörrach als erste Fremdsprache die des direkten Nachbarn gelehrt, während die ABC-Schützen im Rest von Baden-Württemberg in der Weltsprache Englisch unterrichtet werden. Den Elternprotest kann Pierre Meyer, Geschäftsführer der Region Alsace, nicht nachvollziehen.
Wenn die sagen, nicht Französisch aber Englisch, finde ich das nicht vernünftig. Denn über die Hälfte der Jungendlichen, die es heute gibt, werden viele Möglichkeiten haben französisch zu sprechen. Selbst für die Arbeit. Für die Deutschen, für die auf der badischen Seite kann französisch auch eine Kultursprache. Essen, sich treffen, sich nah sein, das gehört dazu. Deshalb sage ich immer, die englische Sprache ist für uns eine reine Kommunikation. Aber keine Basis von Kultur und nicht von Geschichte. Also gar nichts.
An Geld mangelt es nicht. Die Europäische Union fördert die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg, dem Elsass und der Nordschweiz bis 2006 mit insgesamt 31,6 Millionen Euro. In den Genuss der Mittel kommen in der sogenannten RegioTriRhena – dieser Arbeitsgemeinschaft gehört das Dreiländereck an - Hunderte grenzüberschreitender Projekte. Darunter Aktionen für den Umweltschutz, Theaterprojekte, Sportveranstaltungen oder etwa eine trinationale Ingenieurausbildung. Junge Deutsche, Franzosen und Schweizer lernen während ihres vierjährigen Studiums, das sie an die Hochschulen in Lörrach, Mulhouse und Basel führt, intensiv die Sprache und Industriekulturen der Nachbarländer kennen.
Bis 2006 kann das Dreiländereck noch aus dem Vollen schöpfen. Nach der EU-Osterweiterung aber werden die Gelder aus Brüssel in andere europäische Grenzregionen fließen. Das Gefühl des grenzüberschreitenden Miteinanders, das Gefühl im gleichen Boot zu sitzen, ist bei den Menschen noch zu wenig ausgebildet, heißt es in einem Papier der RegioTriRhena. Weshalb erstmals in der Geschichte des Dreiländerkongresses gemeine Bürger zur Oktober-Sitzung geladen sind. "Begegnungen am Oberrhein" nennt die Aktion sich, für die Prominente wie Rad-Weltmeister Jan Ullrich und der Breisacher Aktionskünstler Helmut Lutz werben. Von vorschneller Begeisterung hält er aber nichts:
Wenn wir durch diese wirtschaftliche Einheit vermassen, gleich werden, also einen Gulasch bilden, das fände ich schade. Organisierte Nähe darf nur prozentual zu je folgender Nähe, die sich dann wirklich vollzieht, stattfinden. Wir haben vergessen, uns am Rhein zu treffen. Wir sind als Bevölkerung nicht am Rhein miteinander. Das hat man gemeint, sei nicht mehr nötig. Das muss noch mal geschehen. Wir müssen uns nochmals – auch wenn die Grenze längst offen ist, nochmals an der Grenze uns treffen. Gleichwertig treffen. Und dann zum Teil miteinander irgendwo hingehen.