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Tests in guter Hoffnung

War man früher "guter Hoffnung" auf die Geburt eines gesunden Kindes, so wollen heute immer mehr Paare noch während der Schwangerschaft Gewissheit. Die pränatale, also vorgeburtliche Diagnostik schafft dafür zunehmende Möglichkeiten.

Von Thekla Jahn | 15.03.2009
    "Wenn ich das gewusst hätte, in welche Situation mich diese Untersuchung oder diese Auffälligkeit bringt"

    Heute ist der 90. Tag meiner Schwangerschaft – so ganz genau, auf den Tag genau, kann man das ja nie sagen. Letzte Woche war ich beim Zehnwochenschall. So heißt die erste Routine-Untersuchung, bei der sie mit Ultraschall nachgucken, ob das Kind sich richtig in die Gebärmutter eingenistet hat und ob sein Herzschlag zu sehen ist. Sieht alles gut aus. – Aber weil ich schon 38 bin, gelte ich als Risikopatientin, einfach nur wegen des Alters. Mein Frauenarzt hat mich deshalb zu einer Ersttrimester-Untersuchung in die Universitätsklinik Bonn geschickt.

    "Wir gucken gezielt, messen Nackentransparenz, Herzstruktur, wie sieht das aus bezüglich Ihrer Risikoeinschätzung für eine Chromosomenstörung je nachdem wie dick/dünn die Nackentransparenz ist. Danach Blutentnahme, dass wir das auf jeden Fall mitmachen, da bestimmen wir zwei Hormone Beta HCG und PAPP A, wo wir schauen, wie weit weichen die von normalem Wert ab...Ja,mmh."

    Lisa bei der Ersttrimester-Untersuchung. Mit dem Ultraschall und einer Blutuntersuchungen wird dabei vor allem nach Chromosomenstörungen gesucht - nach der Trisomie 21, die zum Down Syndrom führt, aber auch nach den Trisomien 13 und 18, mit denen die Kinder noch vor oder kurz nach der Geburt sterben.

    "Was klar ist, denke ich, dass das nur ein Suchtest ist, das berechnet uns letzten Endes eine Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Erkrankung, kein endgültiges Ergebnis. Gut, dann würde ich sagen starten wir auch direkt, wenn Sie keine weiteren Fragen haben – Ich bin da ganz entspannt eigentlich. Prima."

    Es ist Lisas zweite Schwangerschaft. Mit 30 Jahren bekam sie ihr erstes Kind. Das Risiko für eine Chromosomenstörung lag damals bei 1:1000. Heute, mit 38 Jahren ist es sehr viel höher und liegt schon bei 1:100.

    "Hier haben wir die Plazenta, die sieht unauffällig aus. Ihr Kind macht schon mal einen kleinen Hüpfer – ooh- genau wo ich gucke, ist der Kopf im Querschnitt, den messe ich Scheitel-Steiß 71 mm – spannend – hey-Kind bewegt sich."

    Um Lisas Risiko zu ermitteln, misst Dr. Anne Geipel, Oberärztin am Perinatalzentrum in Bonn, mit dem Ultraschall die Nackenfalte des Ungeborenen und setzt die festgestellte Dicke dann in Verhältnis zur Scheitel-Steiß-Länge, außerdem werden Nasenbein und Herz begutachtet. Dies alles gibt Auskunft darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass sie ein Kind mit einem Down Syndrom bekommt. Sicherheit ist etwas anderes. Geipel:
    "Hier der Blutfluss in den Herzkammern – Arterien auch das stimmt- – ja klasse - sehr schön. – sind wir ganz zufrieden – Nackentransparenz normal 1,6 mmh."

    Waren Frauen früher bis zur Geburt guter Hoffnung, so können sie heute zahlreiche Tests und Untersuchungen in Anspruch nehmen, um die "normale" Entwicklung des Ungeborenen zu überprüfen. Neben den üblichen Ultraschall-Untersuchungen, die von den Krankenkassen bezahlt werden, gibt es zwei weitere zentrale Untersuchungen: Die Ersttrimester-Untersuchung zwischen der 12. und der 14. Schwangerschaftswoche; hier geht es vor allem darum, ob ein Kind eine Chromosomenstörung hat oder nicht. Und die Zweittrimester-Untersuchung zwischen der 16. und 22. Schwangerschaftswoche: Dabei wird vor allem nach Fehlbildungen an den Organen des Fetus gesucht. Beide Untersuchungen muss die Schwangere selbst bezahlen - es sei denn, sie hat ein besonderes Risiko.

    Als Risiko für eine Chromosomenstörung gilt das mütterliche Alter. Deshalb wird die Ersttrimesteruntersuchung für alle Schwangeren wie Lisa, die über 35 Jahren sind, bezahlt. Wer jünger ist, legt zwischen 100 und 300 Euro auf den Tisch oder verzichtet auf den Test. Dies ist der Hauptgrund für die geringe Entdeckungsrate bei jungen Frauen. Geipel:

    "Wenn wir eine Fehlbildung erst bei Geburt feststellen oder sehr spät in der Schwangerschaft, betrifft es häufig die jüngeren, wo eben das Bewusstsein nicht so da ist und wo man sagt, die haben ja gar kein Risiko."

    Die Ersttrimester-Untersuchung ist heute die Untersuchung der Wahl, wenn Frauen wissen wollen, ob ihr Kind gesund ist. Die Entdeckungsrate liegt bei 95 Prozent. Deutet das Ergebnis auf eine Chromosomenstörung des Kindes hin, dann können nur weitere Untersuchungen wie die so genannte Amniozentese, zu deutsch: die Fruchtwasseruntersuchung Gewissheit bringen. Eine Erkenntnis zieht das nächste Diagnoseverfahren nach sich.

    Die meisten Frauen haben Angst vor der Fruchtwasseruntersuchung. Dabei wird mit einer Nadel durch die Bauchdecke in die Fruchtblase gestochen. Das abgenommene Fruchtwasser enthält Zellen des Ungeborenen. Diese werden im Labor bis zur Zellteilung kultiviert. Dann lässt sich untersuchen, ob die Chromosomen zahlenmäßig, und was ihre Struktur angeht, normal sind. Die Untersuchung hat Vor- und Nachteile. Anne Geipel:

    "Wir haben in über 99 Prozent eine definitive Diagnose. Der Nachteil ist ganz klar die Punktion. Das heißt, das Risiko einer invasiven Diagnostik ist letzen Endes immer eine Fehlgeburt. Durch die Punktion muss man ja mit einer dünnen Nadel in Fruchthöhle eingehen, das heißt, man setzt ein kleines Leck – rein theoretisch kann daraus Fruchtwasser auslaufen, das ist manchmal auch so. Das ist zu diesem frühen Zeitpunkt sehr schlecht, weil das Kind kein Fruchtwasser hat, und wenn das Kind trocken liegt, wird auch eine Fehlgeburt ausgelöst."

    Das ist die Angst. Eine Berechnung der Fachzeitschrift "Down Syndrom Research and Practice" ergab im vergangenen Herbst: Um mit Hilfe der Fruchtwasseranalyse vier Kinder mit Down-Syndrom aufzuspüren, lassen drei gesunde Kinder - ausgelöst durch die Punktion - ihr Leben.

    Fruchtwasseruntersuchungen allerdings, gehen zahlenmäßig deutlich zurück. Das stellt der Leiter des Bonner Perinatalzentrums, Professor Ulrich Gembruch fest. Zum einen liegt das an der vorgeschalteten Ersttrimesteruntersuchung, die Risikopatientinnen immer genauer herausfiltert. Zum anderen bietet sich eine Alternativuntersuchung an: Statt bis mindestens zur 14. Schwangerschaftswoche warten zu müssen - denn früher ist eine Fruchtwasseruntersuchung nicht sinnvoll - kann man das Ergebnis genauso sicher bereits ab der zehnten Woche mit einer so genannten Chorionzotten-Biopsie erfahren: bei der wird ebenfalls mit einer Nadel durch die Bauchdecke gestochen, diesmal in den Mutterkuchen, um dort Zellen für die Analyse zu entnehmen – doch das Ergebnis ist sehr viel schneller da. Bei den Gefahren sieht der Pränatalmediziner jedoch keinen Unterschied:

    "Alle neuen Zahlen deuten darauf hin, dass das Risiko etwa 1:200 beträgt, dass es durch den Eingriff zur Fehlgeburt kommt und das Risiko scheint das gleiche zu sein bei der Fruchtwasseruntersuchung wie bei der Chorionzotten-Biopsie."

    Bei jedem 200. Eingriff kommt es zu einer Fehlgeburt. Diese Zahl ist aus Sicht aller Beteiligten zu hoch. Deshalb arbeiten Forscherteams weltweit an Alternativen. Immer geht es darum, Informationen über das Erbgut des Kindes zu erlangen, ohne dafür die Plazenta zu durchstechen. Das ist möglich, weil regelmäßig einige Zellen des Kindes in den mütterlichen Blutkreislauf gelangen. Die Idee ist, DNA-Bruchstücke des Kindes aus diesen Zellen im mütterlichen Blut aufzuspüren. Professor Wolfgang Holzgreve von der Universitätsklinik Freiburg, hat diese Technik mitentwickelt:

    "Aus diesen DNA-Stücken kann man Diagnosen stellen, indem man, wissend dass die Mutter zwei Kopien eines Chromosoms hat, prüft, ob beim Kind eine dritte Kopie vorhanden ist – Sie wissen ja, beim Down Syndrom ist die Ursache eine Trisomie 21, ein dreifaches Chromosom 21."

    Kurz vor der Jahreswende 2008 auf 2009 haben Forschergruppen aus Stanford und Hongkong erste Ergebnisse zweier Studien vorgestellt. Dabei konnten die Forscher mit der neuen Methode alle Chromosomenstörungen entdecken. Allerdings waren in beiden Fällen zusammen weniger als 50 Schwangerschaften untersucht worden. Holzgreve:

    "Die Ergebnisse waren gut und sehr hoffnungsvoll, so dass jetzt in aller Welt, auch bei uns natürlich geprüft wird, wie verlässlich letztendlich diese Technik ist."

    Noch ist unklar, ob auch bei großen Fallzahlen keine Probleme auftreten. Das Verfahren ist kompliziert, da ein zusätzliches Chromosom beim Kind entdeckt werden muss, der Anteil kindlicher DNA im Blut der Mutter aber ohnehin sehr gering ist. Holzgreve:

    "Deswegen gibt es dann immer mal wieder Fälle, wo diese Untersuchung nicht klappt und das ist der Grund, warum die Verlässlichkeit dieses Ansatzes jetzt noch sehr rigoros geprüft werden muss."

    Die Diagnosesicherheit muss bei 100 Prozent liegen, bevor der Test in der Praxis verwendet werden kann. Denn jede Falschdiagnose könnte einen unnötigen Schwangerschaftsabbruch zur Folge haben. Mit einem anderen Ziel wird der DNA-Test mit dem mütterlichen Blut heute aber bereits eingesetzt: Zur Bestimmung des Rhesus-Faktors nämlich, wenn also eine Blutgruppenunverträglichkeit von Mutter und Kind vermutet wird. In diesen Fällen ist er bereits 100prozentig zuverlässig. Wann mit dem Bluttest auch Chromosomenstörungen entdeckt werden können, da ist Professor Wolfgang Holzgreve zurückhaltend.

    "Wir sollten uns hüten, vorauszusagen, ob tatsächlich dieses Stadium ein Jahr später oder in zwei oder drei Jahren erreicht werden kann, wo die Methode so verlässlich ist, wie das beim Rhesusfaktor tatsächlich erreicht worden ist."

    Ich hab’ wirklich Glück. Die Frage nach der besten Methode, um eine Chromosomenstörung herauszufinden - die stellt sich mir nicht; bei mir deutet nichts darauf hin. Aber wenn es so gewesen wäre? Wenn das Untersuchungsergebnis nicht, wie bei mir, gelautet hätte: alles okay…? Hätte ich dann eine Chorionzottenbiopsie machen lassen? Und wenn dann ein Down-Syndrom dabei herausgekommen wäre, hätte ich dann abgetrieben?

    "Ja genau – …eigentlich müsste man sagen: Ja – weil eigentlich diese Untersuchung auch nur Sinn macht, wenn man möglicherweise über weitere Schritte nachdenkt."

    "Deshalb ist es so, dass bei den Frauen, die punktiert werden, und wo Trisomie 21 festgestellt wird, natürlich eine hohe Quote – über 90 Prozent , sich auch für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden."

    Bei dem Versuch, letzte Gewissheit über die Gesundheit des Ungeborenen zu bekommen, geraten Schwangere und ihre Partner in ein Dilemma. Das stellt die Frauenärztin Angelika Dohr immer wieder fest, wenn sie Schwangere berät.

    "In dem Moment, wo jetzt eine solche Auffälligkeit gefunden wurde, muss der Arzt – ist er verpflichtet dazu, zu sagen: wir haben da eine Auffälligkeit gefunden. Ich empfehle ihnen eine weitere Diagnostik oder eine weitere Untersuchung in einem spezialisierten Zentrum. Wenn die Frau sich jetzt dagegen entscheidet, dann wird das dokumentiert vom Arzt und manchmal muss das von der Frau auch noch unterschrieben werden. Das heißt, die Frauen sind schon in einer Situation, wo sie das Gefühl haben, sie machen etwas gegen die Regel."

    "Man muss nicht alles alleine durchstehen" – der Satz stammt von der Klinikseelsorge und steht im Chefsekretariat des Bonner Perinatalzentrums. Um die Patienten in ihrer Entscheidungsfähigkeit zu unterstützen und sie mit ihren Gefühlen zwischen Trauer, Wut und Verzweiflung nicht allein zu lassen, gibt es mancherorts psychologische Beratungsstellen, wie die der Diakonie an den Universitäten Bonn oder in Münster, wo Dr. Angelika Dohr tätig ist.

    "Wir besprechen mit den Frauen dann, was es für sie ganz persönlich bedeuten würde, ein Kind mit einer Trisomie 21 zu bekommen, manchmal machen wir schon Kontakte zur Lebenshilfe, zu einer Selbsthilfegruppe. Da bieten wir den Paaren an, mal in die Familie zu kommen und zu gucken, wie sieht so ein Leben aus mit einem Kind mit Downsyndrom. Viele können diese Vorstellung nicht mit Bildern füllen."

    "Hast Du nicht alle Untersuchungen machen lassen?"

    "So ein Kind braucht doch heute keine mehr zu bekommen!- -Man kann doch heute alles feststellen."

    "Vieles ist doch behandelbar."

    "Hättest Du mal.. – eben: so oder so…!"

    "Ich hab da mal so im Internet so Foren geguckt, hab das aber relativ schnell wieder gelassen, weil man eigentlich auf ganz schreckliche Geschichten gestoßen wird. Und dann hab ich gedacht, ich verfahre mit eher der Vogel-Strauss-Taktik, les´ mich da gar nicht weiter rein, ehrlich gesagt. Mein Partner macht das anders, der würde alles googlen, aber ich bin dann eher diejenige die sich lieber diese Schreckgeschichten nicht antut."

    "Bei mir sahen die Blutwerte erst auch so gut aus, aber dann muss Du unbedingt abklären lassen, ob…"

    "Nachts liege ich im Bett und traue mich nicht, meinen Bauch anzufassen. Wenn der Kopf des Kindes krankhaft wächst, wenn sich gerade jetzt in meinem Bauch ein Hydrocephalus, ein Wasserkopf bildet…"

    "Weiß einer mehr über diese Abkürzungen, BA, LE, EP…"

    Internetforen tragen nicht unbedingt zur Information bei. Oft verunsichern sie oder verwirren. Das ist auch beim Thema "Infektionen in der Schwangerschaft" so. Vielfach propagiert wird derzeit eine Blutuntersuchung auf Zytomegalie. Zytomegalie ist eine Infektion mit einem Virus aus der Herpesfamilie, das beim Kind unter anderem zu Hirnschädigungen führen kann. Der Bonner Pränatalmediziner Professor Ulrich Gembruch lehnt einen Test auf Zytomegalie bei Schwangeren ab. Denn wenn im Labor Antikörper im Blut der Mutter gefunden werden, heißt das noch lange nicht, dass auch das Ungeborene infiziert ist. Um das herauszufinden, muss wiederum eine Fruchtwasserpunktion mit einem hohen Fehlgeburtsrisiko gemacht werden. Und wenn feststeht, das Kind ist infiziert, kann die Medizin daran bislang nichts ändern. Gembruch:

    "Das einzige, was man bisher daran ändern kann, ist einen Schwangerschaftsabbruch zu machen, – ob eine Therapie gegen Zytomegalie hilft…weiß im Augenblick keiner. Es läuft im Augenblick eine Großstudie zu dieser Frage – kann man durch Immunglobulingabe an die Mutter eine Zytomegalie - Infektion des Kindes verhindern oder abmildern. Die muss man erstmal abwarten und deshalb sollte man einen solchen Test auch nicht anbieten denke ich, weil es im Augenblick völlig unethisch ist."

    Sinnvoll hingegen ist ein Test auf Toxoplasmose. Das ist eine relativ harmlose Infektion, die während der Schwangerschaft jedoch eine Fehlgeburt oder schwere Behinderungen des Kindes auslösen kann. Wer aufgrund eines Toxoplasmosetests weiß, dass er keine Antikörper gegen die Infektion besitzt, kann dementsprechend vorsichtig sein und während der Schwangerschaft vor allem den Kontakt zu den Infektionsüberträgern, den Hauskatzen meiden. Im Falle einer Erkrankung wird mit Antibiotika behandelt. Der Toxoplasmosetest kostet zwischen 30 und 90 Euro. In Frankreich und Österreich gehört er zu den Routine-Schwangerschafts-Untersuchungen.

    Auch der Glukosetoleranztest muss in den meisten europäischen Ländern nicht von der Schwangeren bezahlt werden. In Deutschland schon. Der Test überprüft, wie gut der Körper Zucker aufnehmen kann. Wenn die werdende Mutter nämlich einen Schwangerschaftsdiabetes hat, kann das zu Geburtskomplikationen führen. Außerdem besteht die Gefahr einer so genannten diabetischen Fetopathie, das heißt, das Kind kommt sehr groß und schwer zur Welt. Die Zahl der XXL-Babies steigt in Deutschland stark an. Mittlerweile wiegt jedes achte Neugeborene über 4000 Gramm.

    Der Zusammenhang zum mütterlichen Blutzuckerspiegel wurde im vergangenen Sommer von der Hapo-Studie belegt. Für diese weltweite Studie zum Schwangerschaftsdiabetes wurden 25.000 Schwangeren untersucht. Dennoch sind sich Mediziner bislang nicht über die Konsequenzen eines Glukosetoleranztests einig. Gembruch:

    "Bei denselben Blutzuckerspiegeln kann es sein, dass ein Fet trotzdem eine diabetische Fetopathie kriegt und ein anderer Fet eben nicht, weil noch andere Faktoren mit eine Rolle spielen."

    Da man nicht sicher sein kann, rät Professor Ulrich Gembruch allen Schwangeren, sich vorbeugend so zu ernähren, als ob sie einen Schwangerschaftsdiabetes hätten. So wie eben insgesamt ein gesunder Lebensstil wesentlich zu einem guten Verlauf der Schwangerschaft beiträgt.

    Bis zu meiner nächsten Untersuchung ist es noch etwas hin. In der 20. Schwangerschaftswoche steht wieder eine reguläre Ultraschall-Untersuchung an, die von der Krankenkasse bezahlt wird. Aber vielleicht wär’s gut, wenn ich zusätzlich noch einmal ins Perinatalzentrum gehe: zur Zweittrimester-Untersuchung – das ist so ein großer Organ-Ultraschall mit einem Riesenbildschirm – muss ich dann halt selber zahlen - 300-500 Euro wären das.

    Anne Geipel:

    "Hhm gut. Beim Ultraschall können wir scheibchenweise reinsehen. Wir sehen auch den harten Gaumen – können sicher bei ihrem Kind ausschließen, dass es eine Lippen-Kiefer Gaumenspalte hat – schauen wir uns die Wirbelsäule an – der Magen ist gefüllt, das Kind hat einen Schluck Fruchtwasser getrunken, deswegen ist er gut gefüllt….Da guckt gerade ein Ohr raus- das ist alles schon mal ganz lebhaft."

    "Dass 100 Prozent alles in Ordnung ist, weiß man im Vorfeld nicht. Deswegen haben wir gesagt, die Untersuchung nehmen wir auf jeden Fall mit, um für uns das Risiko soweit minimieren zu können, wie es möglich ist."

    "Man hört halt sehr viel, ich hab im Beruf sehr viel Kundenkontakt gehabt, von Horrorgeschichten, es wurde einem alles erzählt, was natürlich nicht sehr schön ist, deswegen waren auch die Sorgen da."

    Geipel:

    "Die Herzschlagader ist gut zu sehen – Leber, Lunge, Zwerchfell- jetzt schau ich mir etwas spezieller das Herz an - ganz schön gleichmäßig die Herztöne -nichts auffälliges – mütterliches Gefäß – wunderbar. Sehr schön.. Hier ist der Mutterpass."

    Wenn heute von Pränataldiagnostik gesprochen wird, dann bedeutet das zu 90 Prozent: es werden verschiedene, nicht invasive, also nicht in den Körper eingreifende Ultraschall-Untersuchungen gemacht. Anders als beispielsweise bei einer Laboruntersuchung ist aber das Ergebnis bei einer Ultraschall-Untersuchung sehr davon abhängig, wie gut ausgebildet der Untersucher ist, wie viel er auf den Ultraschallbildern entdecken kann, und dass ihm ein gutes Gerät mit hoher Auflösung dabei hilft. Professor Ulrich Gembruch:

    "Bei gewissen Untersuchungen – sagen wir im Screening ganz breit angelegt – durch einen nicht spezialisierten Untersucher - werden vielleicht fünf Prozent der Herzfehler entdeckt. Wenn Sie nun an Zentren gehen, die spezialisiert auch Herzuntersuchungen durchführen, sind Sie bei 80 Prozent Entdeckungsrate. Und so gilt es für fast alle Fehlbildungen."

    In Deutschland wird aber im Regelfall für Schwangere in der 20. Woche nur eine einfache Ultraschalldiagnose von der Krankenkasse bezahlt. Dabei muss der Arzt lediglich herausfinden, ob zum Beispiel ein Herz da ist: ja oder nein. Ob es vier Kammern hat, braucht er nicht zu sehen. Ob die Fruchtwassermenge vermehrt oder vermindert ist, das soll festgestellt werden, aber nicht, ob ein Magen da oder ein Rücken offen ist oder ob das Zwerchfell eine Lücke hat und deshalb Bauchorgane in der Brusthöhle liegen - das wird in Deutschland nicht routinemäßig untersucht. Gembruch:

    "In anderen Ländern ist es anders. Die Frauen gehen zum 20 Wochenschall eben an Zentren. Entspricht unseren Spezialisten für Pränataldiagnostik und so kommen diese Länder auf Entdeckungsraten zwischen 60 und 80 Prozent . In Deutschland sind wir - wir wissen es nicht so genau – bei 20 bis 30 Prozent."

    97 Prozent aller Kinder, die geboren werden, kommen gesund zur Welt. Bei den übrigen sind vor allem leichte Anomalien vorhanden. Lediglich ein Prozent der Neugeborenen wird mit schweren Fehlbildungen geboren. Zu wie vielen Fehlgeburten es während der Schwangerschaft und zu wie viel Totgeburten es aufgrund von Fehlbildungen kommt, dazu gibt es keine Statistik. Vermutet wird dies für ein Prozent aller Schwangerschaften. Die Pränataldiagnostik leistet hier vor allem eines: Die Fehlbildungen frühzeitig zu erkennen; damit Vorsorge- und Therapiemaßnahmen noch während der Schwangerschaft beginnen oder geplant werden können. Insofern ist das Zweittrimester-Screening, also der gezielte große Ultraschall in der 20. Woche, die Stärke der Pränataldiagnostik. Anne Geipel:

    "Wir wissen heutzutage für eine ganze Reihe von Fehlbildungen, dass eine gezielte Ultraschalldiagnostik eine bessere geburtshilfliche Überwachung bei solchen Risikopatienten ermöglicht, so dass die Kinder häufig auch an einem Zentrum entbunden werden, wo dann der Spezialist bereit steht für das Kind, wenn es nach der Geburt einer speziellen Therapie auch bedarf. Und zum Beispiel für Kinder mit Herzfehlern ,.verglichen mit Kindern , wo die vorgeburtliche Diagnose nicht bekannt war und eben erst nachgeburtlich festgestellt wurden, hatten die ein günstigeres Operationsergebnis, weniger Komplikationen direkt nach der Geburt, auch im Verlauf ein günstigeres Ergebnis."

    Das ist für die Kinder, die vor der Geburt als nicht "hundertprozentig gesund" erkannt werden, ein Segen, den die Pränataldiagnostik bringt: Kinder mit einem offenen Rücken, Spina bifida im Fachterminus, können schon im Mutterleib operiert werden, Kindern mit einer Blutarmut kann geholfen werden, Herz- und mittlerweile auch Lungenoperationen sind schon während der Schwangerschaft möglich. Die Pränataldiagnostik erweckt deshalb nach außen manchmal den Eindruck, als könne sie ausschließen, dass ein Neugeborenes krank sein wird. Der interdisziplinäre Arbeitskreis "Pränatale Diagnostik" in Münster, für den auch Dr. Angelika Dohr arbeitet, betont deshalb immer wieder:

    "Ich habe keine Sicherheit, dass mein Kind gesund sein wird. Es gibt ganz viele Erkrankungen, Auffälligkeiten, Syndrome, die von den Untersuchungsverfahren nicht erfasst sind. Das ist das, was man vorher wissen muss."

    Und aus diesem Grund fordert die Medizinerin, dass den Schwangeren in jeder Hinsicht das Für und Wider klar gemacht werden muss – bis hin zu den medizinischen und psychologischen Risiken. Dohr:

    "Die Frauen müssen über die Nebenwirkungen, so wie wir das in der Medizin immer machen, über die Nebenwirkungen dieser Untersuchungen in Kenntnis gesetzt werden. Und zwar nicht von dem Arzt, der das durchführt alleine, sondern ich glaube, dass es wirklich einer unabhängigen Beratung bedarf."

    Wenn sich das Diagnose- und Testkarussell erst einmal zu drehen beginnt, dann werden der Schwangeren Entscheidungen abverlangt - das ist der Fluch der Pränataldiagnostik. Einem Test mit unklarem Ergebnis folgt der nächste –Fehlgeburtsrisiken kommen hinzu und das möglicherweise ohne Not. Und wenn schließlich klar ist: Das Kind ist nicht gesund - was dann? Die Entscheidung der Eltern ist oft eine gegen das ungeborene Kind -nicht nur bei Chromosomenstörungen. Gembruch:

    "Andere Fehlbildungen gibt es auch. Am schlimmsten für die Eltern sind die schweren Hirnfehlbildungen und das sind Fehlbildungen, wo eben am meisten ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird, auch eben später in der Schwangerschaft."

    In diesem Frühjahr wird über eine Änderung des §218 entschieden. Für Spätabtreibungen - bei denen aus medizinischen Gründen ein Abbruch theoretisch bis kurz vor der Geburt möglich ist - sieht der Gesetzentwurf vor, die Beratung der Schwangeren zu verbessern.

    Pränataldiagnostik ermöglicht es, Leben zu retten: das der Mutter und das des Kindes. Aber sie führt bei schweren Fehlbildungen oder Behinderungen oft auch zu Entscheidungen gegen das Ungeborene. Alle Krankheitsbilder – das ist ganz klar – kann die Pränataldiagnostik nicht erkennen. Und anders herum kann das Kind selbst bei negativer Diagnose letztlich doch gesund sein. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Medizin ist fehlbar. In einem Leserbrief an ein renommiertes Wochenmagazin schrieb die Deutsch-Chinesin Edna Li im vergangenen Dezember:

    In der 23. Woche besagte die Ultraschalldiagnose: Wasserkopf. Ich war der Meinung, auch ein behindertes Kind erziehen zu können. Die Messung erwies sich als inkorrekt. Johanna ist jetzt neun Jahre, spricht Deutsch, Englisch und Chinesisch und besucht eine Hochbegabtengruppe.

    Jetzt habe ich noch mehr als 180 Schwangerschaftstage vor mir – einige Untersuchungen vielleicht auch. Ob ich mich dann dafür oder dagegen entscheide, dass ergibt sich wahrscheinlich…

    Viele Schwangere fühlen sich bei ihren Entscheidungen allein und entwickeln für sich oder gemeinsam mit ihrem Partner erst eine klare Haltung zur Pränataldiagnostik, wenn sie mit einem auffälligen Befund bei einer psychologischen Schwangerschaftsberatungsstelle sitzen. Das resümiert der 1995 gegründete interdisziplinäre Arbeitskreis "Pränatale Diagnostik" in Münster. Die Mitgründerin und Pädagogin Mechthild Buer sieht deshalb in Deutschland nach wie für einen großen Informationsbedarf und plädiert dafür, dass die Pränataldiagnostik aus der Schwangerschaftsnische herauskommt und zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema wird.

    "Das könnte einfach so aussehen, dass zum Beispiel auch im Sexualkundeunterricht für Schülerinnen und Schüler das auch ein ganz selbstverständliches Thema ist, dass sich ein Bewusstsein entwickelt, dass zur Schwangerschaft heute auch Pränataldiagnostik hinzugehört, dass das auch in bestimmten Fällen sinnvoll ist, so sinnvoll wie es jeweils auch zu der konkreten Frau und dem konkreten Paar passt, das heißt, wenn ich schwanger werde, ich mich am besten schon im Vorfeld damit beschäftigt habe, wie meine Einstellung dazu ist."