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Tetzlaff-Quartett
Mendelssohn und Berg neu veröffentlicht

Zwei Werke, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Felix Mendelssohn-Bartholdy in seinem ersten Streichquartett und Alban Berg in seiner Lyrischen Suite . Hier das Quartett eines Klassizisten, dort die Suite eines Expressionisten.

09.11.2014
    Symboldbild: Kontrabass Klassik Musik Instrument Konzert
    Symboldbild: Kontrabass Klassik Musik Instrument Konzert (picture alliance / dpa / Jussi Nukari)
    Hier eine Musik, deren Drama versöhnlich und fröhlich endet, dort eine, die tiefen Schmerz hinterlässt. Das Tetzlaff-Quartett stellt beide Werke auf einer Neuveröffentlichung einander gegenüber.
    Mendelssohn, Streichquartett op.13, I. Adagio – Allegro vivace
    Felix Mendelssohn und Alban Berg kann man nicht verwechseln, Mendelssohn und Beethoven normalerweise auch nicht. Doch da gibt es einen Fall, der hat einst sogar Kenner verunsichert: Ein hoch ambitioniertes, hoch anspruchsvolles, hoch spannendes Quartett, aus dessen Tonfall zwar der Menschenfreund Mendelssohns spricht, dessen komplexe Struktur und motivische Verzahnung, dessen Fugatos und dynamische Ausbrüche jedoch eher auf den genialen Querulanten Beethoven hinweisen.
    Tatsächlich ist diese Musik beinahe ein Gemeinschaftswerk. Der junge Mendelssohn hat sich in seinem ersten Streichquartett op.13 so ausgiebig bei seinem Vorbild Beethoven bedient, ihn so genau studiert und so ausgiebig zitiert, dass die Verwechslung geradezu vorprogrammiert, vielleicht sogar gewollt war: Die Fuge des langsamen Satzes verbeugt sich vor Beethovens Fuge im Quartett op.95, die langsame Einleitung und das gesamte Finale gestaltet Mendelssohn nach op.132, und im ersten Satz . Nun, dort lässt er wie einst Beethoven in Opus 135 seine Musik ein Geheimnis formulieren. Beethoven hatte dem Hauptmotiv seines Finales in der Partitur die Frage "Muss es sein?"unterlegt und sie wenig später mit dem Ausruf "Es muss sein!"beantwortet. Mendelssohn stellt nun ebenfalls eine kurze Frage, ebenfalls mit drei musikalischen Silben: "Ist es wahr?"– und verweist damit auf ein eigenes Liebeslied. Die Adressatin ist eine Nachbarstochter. Sie wird die Frage gar nicht erst verstehen. Der verliebte Komponist hat ihre Musikalität gründlich überschätzt.
    Mendelssohn, Streichquartett op.13, I. Adagio – Allegro vivace
    Es fällt also nicht leicht, diesem Opus 13 beizukommen. Für ein Meisterwerk ist es vielleicht doch zu sehr dem verpflichtet, was ein anderer geleistet hat. Gleichwohl macht sich der gerade einmal 18jährige Felix Mendelssohn-Bartholdy das Fremde, andere, so sehr zu eigen, er verleiht den vorgefundenen Ideen so viel eigenen Charakter, eine so persönliche Gestalt, dass man von der Kopie eines Schülers allen Ernstes nicht sprechen darf. Am besten man hält dieses Quartett offen, unterschlägt den Beethoven darin nicht und bewahrt gleichzeitig diesen ganz eigenen Mendelssohnschen Tonfall: Diese Flüchtigkeit, diese Leichtigkeit, diese Dramatik jenseits von Tragik, diese stille Zuversicht, die den Komponisten, den von Kindheit an mit Wohlstand und Genie beschenkten, nie verlassen hat. Oder doch?
    Mendelssohn, Streichquartett op.13, II. Adagio non lento
    Hört man das Tetzlaff-Quartett Mendelssohns op.13 spielen, kann man so seine Zweifel bekommen am Image vom Berliner Sonnyboy Felix. Die Erregung, die den jugendlichen Heißsporn bei der Arbeit erfasst hat, sie klingt weniger freudig als nervös. Während seine Musik nach vorn prescht, beschwipst von der eigenen Brillanz, wirft Mendelssohn fortwährend unsichere Blicke zurück: Vielleicht beruht die Euphorie ja auf bloßer Illusion, vielleicht ist das Eis viel zu dünn, um so ausgelassen drauf zu tanzen. Und so verkrampft sich unser Held ein wenig. Sein Lächeln umspielt ein leichtes Zucken, Zweifel nagen an seinem stolzen Genie. Ist das überhaupt noch der Mendelssohn, den wir kennen?
    Mendelssohn, Streichquartett op.13. III Intermezzo
    Der Grund für Mendelssohns Verunsicherung ist schnell benannt. Er sitzt am ersten Pult des Tetzlaff-Quartetts, spielt dort Geige, und er spielt sie so, als würde er der Welt nicht vertrauen. Christian Tetzlaff, einer der fraglos besten deutschen Geiger seit Generationen, ist auch einer der kompliziertesten. Einerseits hinterfragt Tetzlaff kritischer als die meisten seiner Kollegen was er spielt, bevor er es spielt, den gedruckten Notentext, seine Quellen, seine Entstehung, seine geschichtlichen und biografischen Bedingungen, andererseits trägt er die kritische Hinterfragung anschließend auch noch sehr weit hinein in die Interpretation. Jede noch so kurze Note wirkt, hört man genau hin, leicht angekränkelt, zittert und bebt, sie atmet unruhig, als sei noch hinter der schönsten Kantilene irgendein Unheil im Anflug. Tetzlaffs Mitstreiterinnen im Ensemble, die Geigerin Elisabeth Kufferath, die Bratschistin Hanna Weinmeister und seine Schwester Tatjana Tetzlaff am Cello, sie lassen sich von diesen existenziellen Zweifeln nur allzu leicht anstecken. Das Ergebnis ist eine hoch spannende, technisch geradezu perfekte, in den Stimmen präzis balancierte Aufnahme mit einem verschwenderischen Reichtum an Details – und doch zugleich eine Aufnahme, die die Befindlichkeit der Interpreten ein Stück zu weit stellt über die des Komponisten: Denn dieser Mendelssohn klingt nicht nur anders als der Mendelssohn, den wir kennen – es hat ihn wohl auch nie gegeben.
    Berg, Lyrische Suite: I. Allegretto gioviale
    Aber ihn hat es gegeben, und zwar genauso, wie ihn das Tetzlaff-Quartett präsentiert. Alban Berg. Ein Genie auch er, aber kein verwöhntes Wunderkind, kein Sonnyboy aus der preußischen Hautevolee, sondern ein tatsächlich kränklicher, introvertierer Wiener mit einem deutlichen Hang zur Neurose. Das passt nun wirklich wie die Faust auf's Auge: das erschütterungsbereite Tetzlaff-Quartett und Bergs Lyrische Suite. Mitte der 1920er Jahre hat Berg in sechs ungemein komprimierten Sätzen erstmals die 12-Ton-Methode seines Lehrers Arnold Schönberg angewendet: Und zugleich in der technisch extrem anspruchsvollen Partitur einen glühenden Liebesbrief verfasst.
    Berg, Lyrische Suite: II. Andante amoroso
    Wie im Falle von Mendelssohn findet auch diese Liebe keine Erfüllung. Doch anders als bei Mendelssohn geht das Schicksal Alban Berg bis an die Nieren. Dass Christian Tetzlaff mit seinem Ensemble jede Note, jede kleinste Phrase auflädt, bis sie zu zerplatzen droht, diese permanente Anspannung, die Ungeduld, die flackernde Dynamik, die in jeden Bogen tiefe Zacken schlägt: Genau das verlangt diese Musik. Übergriffig versucht die Partitur, jede kleinste Bewegung zu kontrollieren. Das Tetzlaff-Quartett hat damit kein Problem. Schon in den ersten zehn Takten der Suite lassen sich die Musiker bereitwillig drangsalieren von annähernd 50 Dynamik-Angaben, dazu kommen hier wie anderswo minutiöse Einzeichnungen von Haupt- und Nebenstimmen, und immer wieder Aufforderungen wie "ergänzen, durchlassen, umspielen, begleiten, fortsetzten, zurücktreten". Dazu blitzschnelle Umbrüche der Artikulation: gestrichen, gezupft, geschlagen, geworfen, weich gezogen, oder – im dritten Satz, Allegro misterioso, wirklich atemberaubend – die Verlagerung des Bogens bis an den Steg. Nach fast hundert Jahren (und in dieser grandiosen Aufnahme) stockt einem dabei immer noch der Atem.
    Berg, Lyrische Suite: III. Allegro misterioso – Trio estatico
    Das war "Allegro misterioso – Trio estatico", der dritte Satz der Lyrischen Suite von Alban Berg, eingespielt beim Label AVI Music vom Tetzlaff-Quartett. Außerdem auf der CD: das erste Streichquartett op.13 von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die neue Platte wurde Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.