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Teuer zwar, aber hervorragend

Falk Reinecke ist im Grunde aus Verlegenheit in Budapest. In Deutschland scheiterte er mit seinem Wunsch nach einem Studienplatz in Medizin am Numerus Clausus. Also wechselte er von der Saar an die Donau. Im dritten Semester studiert er inzwischen in der ungarischen Hauptstadt an der Semmelweis-Universität. Auf Deutsch.

    Seine geräumige Einzimmerwohnung liegt ganz im Zentrum der Stadt - dort, wo der belebte Theresienring auf die Andrássy út, die Prachtstrasse von Budapest trifft. Die Einrichtung ist übersichtlich: Hochbett, Schreibtisch, Sofa. Der Student aus Deutschland fühlt sich wohl in seinem Bezirk. 260 Euro Miete sind bezahlbar und die Kneipen liegen vor der Tür. Für das Nachtleben bleibt allerdings nur selten Zeit, sagt er, und steckt sich eine Zigarette an.

    Weil es wirklich so ist, dass Du Dein Leben total umwerfen musst. Also Du musst Dich wirklich auf den Arsch setzen und jeden Tag lernen. Im ersten Semester ist es natürlich ganz krass, weil Du dann auch noch Uni hast - von morgens acht Uhr bis sechs Uhr abends Uni. Dann kommst Du abends nach Hause und musst noch die Bücher bis zwölf Uhr abends aufschlagen. Du musst halt wirklich Deinen Scheiß durchziehen. Und wenn Du das Pensum nicht bestehst, dann fällst Du durch.

    Diese bittere Erfahrung machen viele: Von den ursprünglich 120 Kommilitonen des Jahrgangs hat inzwischen jeder zweite das Handtuch geworfen. Einige sind an der strengen Prüfungsordnung gescheitert, andere an der Stoffmenge verzweifelt. Falk Reinecke stellt den Kaffeebecher ab und schaut auf die Uhr. Zeit, sich auf den Weg zu machen. Bis zur U-Bahn-Station "Oktogon" sind es nur ein paar Schritte.

    Seine Entscheidung hat der Medizinstudent keine Sekunde bereut.

    Auf gar keinen Fall, weil: ich glaub durch Budapest habe ich meine Grenzen überhaupt erst kennen gelernt, die ich anders in Deutschland niemals so kennen gelernt hätte.

    "Teuer, dafür aber hervorragend". So hatte sein Vater Falk Reinecke das Studium in Ungarn ans Herz gelegt. Als Arzt wusste er um den guten Ruf der Ausbildung. Alles andere ließ sich über Internet in Erfahrung bringen. Tatsächlich greifen die Eltern daheim für ihre Kinder tief in die Tasche. Zwischen acht- und zehntausend Euro Gebühren werden pro Studienjahr fällig. Auch das ein Argument für den Saarländer, im dritten Jahr möglichst in die Heimat zurückzukehren. Nach bestandenem Physikum kann er sich direkt an jeder deutschen Klinik einschreiben. Diese Möglichkeit nutzen die meisten. Nur ein kleiner Teil bleibt die vollen sechs Jahre bis zum Diplom in Budapest.

    Lange geweißte Flure, in Jahrzehnten ergraute Gebäude - all das flößt Falk Reinecke nach wie vor Respekt ein. Er schätzt die alterwürdigen Kliniken und Institute, die heute zur medizinischen Universität zusammengefasst sind - benannt nach Ignaz Philipp Semmelweis, dem Entdecker des Kindbettfieber-Erregers. Geradezu begeistert ist der deutsche Student aber vom Unterricht in kleinen Gruppen und von dem geradezu privaten Verhältnis zu den Professoren.

    Der kennt einen mit Namen, spricht einen an, weiß, was die Probleme von Dir sind und hilft Dir auch, die auszumerzen. In Deutschland ist es so, dass Du auf Deine Kreuz- und Multiple-Choice-Tests lernst und eine Woche nur alle Tests durchkreuzt, die schon da waren. Hier musst Du halt wirklich, da die Prüfungen hauptsächlich mündlich abgehalten werden, vor dem Professor sitzen und dem das auch erklären können und quasi Deinen Mann vor dem stehen. Das ist natürlich was ganz anderes... unbeschreibbar irgendwie. -- Nach und nach füllt sich der Gang vor dem Seminarraum. Eine praktische Übung steht auf dem Programm. Jeder kennt hier jeden. Aus Kommilitonen sind Freunde geworden.

    Da man sehr viel auch zusammen durchsteht und dadurch auch zusammenschmilzt. Das ist eigentlich wie ne kleine Familie hier. Der Nachteil davon ist natürlich, dass man andererseits zu ungarischen Mitstudenten kaum Kontakt hat. Und das ist halt schon ein bisschen schade.

    So reichen auch die Sprachkenntnisse bei Falk Reinecke trotz Unterricht gerade, um Einkaufen zu gehen. Schade findet er das und ein bisschen peinlich. Aber der stramme Lehrplan lässt eben kaum eine andere Wahl, als sich ganz auf die medizinischen Fächer zu konzentrieren.

    Über das Curriculum für die angehenden Mediziner aus Deutschland wacht die Pathologin Anna Kádár. Für die Direktorin des Sekretariats für ausländische Studenten nur eine Aufgabe von vielen. Denn außer den 300 Deutschen studieren in Budapest auch noch 800 angehende Mediziner im englischsprachigen Studiengang. Jeder Dritte kommt damit aus dem Ausland. Doch die Zahl der Bewerbungen aus Deutschland ist in den letzten Jahren deutlich gesunken - ebenso wie das Niveau der Bewerber, sagt Anna Kádár und versucht eine Erklärung.

    Ich denke mir, dass seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten Viele an die ostdeutschen Universitäten gehen. Bei uns bewerben sich dann diejenigen, die dort keinen Studienplatz erhalten und glauben, hier mit ihrem schlechteren Abitur-Durchschnitt aufgenommen zu werden. Denn eine Aufnahmeprüfung ist bei uns nicht zwingend vorgeschrieben.

    Noch vor zehn Jahren konnte die Semmelweis unter drei Bewerbern den besten für einen Studienplatz auswählen. Heute dagegen halten sich die Zahl der Bewerber und die Zahl der Studienplätze ungefähr die Waage. Vor allem aus finanziellen Gründen ist die Universität auf die Deutschen angewiesen. Mit den geringen staatlichen Zuwendungen allein ist eine erstklassige Ausbildung auf Dauer kaum aufrecht zu halten. Anna Kádár macht sich deshalb Sorgen um die Zukunft der deutschen Abteilung, die vor 20 Jahren gegründet wurde.

    1983 hat die Regierung gemeint, dass man ein Tor zum Westen öffnen sollte und das in erster Linie auf dem Gebiet der Bildung. Damals war Ungarn ein sozialistisches Land mit allen Vorzügen und Nachteilen.

    Damals wie heute galt die Semmelweis-Universität für medizinische Wissenschaften in Ungarn als Vorzeige-Hochschule. Informationstage in Deutschland sollen dafür sorgen, dass das auch künftig so bleibt. Falk Reinecke jedenfalls kann die Ausbildung an der Donau nur empfehlen: Aus einer Entscheidung der Vernunft ist das Medizinstudium erst in Budapest eine wirkliche Herzenssache geworden.

    Autor: Jasper Barenberg

    Links zum Thema

    Adresse der Semmelweis-Universität: www.sote.hu

    Studentensekretariat:

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    Allgemeine Informationen:

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    (Stand: 4.4.2003, ohne Gewähr)