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Teurer Schutz

Technik. - Moderne Autos sind mit Hightech vollgepackt. Das gilt selbst für die unteren Klassen. Dennoch schlägt sich der Preisunterschied zur Oberklasse auch in den Sicherheitssystemen nieder. Auf der 21. Konferenz für verbesserte Automobilsicherheit in Stuttgart wurde das deutlich.

Von Maximilian Schönherr | 18.06.2009
    Hier haben die Assistenz- und Warnsysteme versagt.
    Hier haben die Assistenz- und Warnsysteme versagt. (Unsplash / Ram Mindrofram)
    Die Hauptattraktion der 21. Konferenz für verbesserte Automobilsicherheit ESV war eine Schleuder. In einem viertel PKW sitzt ein Messebesucher und wird hin und her, vor und zurück geschoben, beschleunigt, gebremst, gedreht. Er spürt dabei am eigenen Leib die Wirkung neuester Sicherheitstechnik.

    "Da wird der Oberkörper wirklich fixiert, der Sitz wird aufgeblasen, und die ganze Beckenfixierung findet statt."

    Und das nur, damit der Fahrer beim Zusammenstoß nicht im Fahrzeug herumfliegt, sondern mit dem Sitz eins wird. Was hier in Stuttgarts Messe nur in einem aufgesägten PKW milde am eigenen Körper spürbar wird, gibt es bereits bei Oberklasseautos in Serie. Dort passiert noch viel mehr beim drohenden Crash: Ein Radarsensor vorn im Wagen erkennt die Gefahr, warnt durch Piepen und Blinken vor, ermöglicht dem Fahrer noch bis zur letzten Sekunde auszuweichen oder scharf abzubremsen. Wenn er das nicht schafft, trifft die Elektronik innerhalb von Millisekunden vor dem Aufprall autonom gravierende Entscheidungen, unter anderem, die Bremse so massiv zu betätigen, wie ein Fahrer das selber nicht tun kann. Jürgen Häring, Ingenieur bei der Robert Bosch GmbH, hält diese Sensorik und die damit verbundene Informatik für zu teuer für den Massenmarkt. Seine Tests ergaben, dass preiswertere Radarsensoren und preiswert programmierte Algorithmen oft falsche Einschätzungen der Lage liefern. Häring:

    "Ist da überhaupt ein Objekt, oder hat mein Sensor einen Geist gemessen? Die Strategie, die wir für das Niedrigpreissegment verfolgen ist: Wir greifen sehr früh ein. Wir reden nicht von der letzten Sekunde, in der wir eingreifen, sondern deutlich früher. Die Idee ist: Der Fahrer hat dann selber ausreichend Zeit, die Situation zu beurteilen und bremsend oder ausweichend einzugreifen, wobei er dann unterstützt wird. Aber die Hauptlast der Interpretation liegt nicht mehr auf dem Sensor. Es ist nicht der Sensor, der die Bremse auslöst, sondern der Fahrer bekommt einen Hinweis: Achtung, es wird gefährlich! Und er muss selber bestätigen."

    Eine Entscheidung, die ihm bei teuren Autos mit extra Sicherheitspaketen abgenommen wird. Sicherheit kostet eben Geld. Auf der sehr theoretisch angelegten Konferenz ging es weniger um Geld als um Forschung. Die Themenpalette reichte von der jüngsten Dummygeneration für Crashtests über Beurteilungskriterien für Schleudertraumata bis zur Auswertung von Unfallstatistiken. Einen ganzen Vormittag lang beschäftigten sich die Ingenieure im Kongresszentrum mit der Zuverlässigkeit von Unfallstatistiken. Ekkehard Brühning von der Bundesanstalt für Straßenwesen BaSt:

    "Die Datenerhebung ist weltweit sehr heterogen. In allen Ländern hat man irgendwie angefangen und dann ein eigenes System entwickelt. Aber diese Verfahren sind international nur sehr beschränkt vergleichbar. Und da die Gesetzgebung, also die Regulierung für Fahrzeugsicherheitseinrichtungen weltweit erfolgt, ist dann das Problem, dass Daten aus unterschiedlichen Quellen zur selben Fragestellung zusammengebracht werden und man bei unterschiedlichen Ergebnissen dann nicht weiß: Woran liegt es? Liegt es daran, dass das Unfallgeschehen in dieser oder jeder Ecke der Welt ganz anders ist? Oder ist es ein Ergebnis der Methodik der Datenerhebung dort?"

    Ganz am Rande beschäftigte sich die ESV-Konferenz mit Sicherheitsproblemen bei Fahrzeugen mit grundsätzlich neuen Bauweisen. Zwei Referenten griffen das Crashverhalten von Autos auf, die statt Stahl und Aluminium vorwiegend neue Kunststoffe im Einsatz haben und damit viel leichter sind. Zur Sicherheitsproblematik Wasserstoff-getriebener Autos – Wasserstoff ist extrem brennbar – gibt es offenbar keine veröffentlichten Studien; die Hochspannungs-Problematik von Hybrid- und Elektroautos spielte in Stuttgart überhaupt keine Rolle. In den USA, so war am Rande zu hören, habe es Fälle gegeben, wo sich Rettungskräfte weigerten, Menschen in gecrashten Hybridautos zu bergen, weil sie Angst vor Stromschlägen hatten.