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Teurer Segen aus dem Reich der Sterne

Raumfahrt. - In London trafen sich auf Einladung der Europäischen Union rund 200 Experten aus Politik, Wirtschaft und Forschung zu einem eintägigen Workshop mit dem Thema ''Weltraumanwendungen im Dienste der Bürger Europas''. Im Mittelpunkt des Treffens stehen für die Raumfahrt entwickelte Technologien, die nutzbringend und profitabel für irdische Verbraucher adaptiert werden könnten. Doch neben großen Erfolgen prägten auch internationale Spannungen sowie Differenzen von EU-Mitgliedern untereinander die Standortbestimmung in London.

    Wenn man nach nützlichen Produkten mit Ursprung in der Weltraumforschung fragt, dann fällt schnell der Begriff "Teflon". Allerdings stammt die praktische Pfannenbeschichtung mitnichten aus den Apollo-Labors der NASA – das Patent reicht einiges weiter zurück als die Raumfahrt. Dennoch finden immer wieder teure Speziallösungen aus dem Orbit ihren Weg zurück in nur allzu tägliche Anwendungen. So senkt beispielsweise ein raffinierter Dämpfungsmechanismus, der Satelliten beim Raketenstart schützt, jetzt den Lärmpegel profaner Betonmischmaschinen. Auch dürfen sich Couchpotatoes über eine Verpackungsmaschine aus der Weltraumforschung freuen, die Kartoffelchips bruchfrei eintütet. Sinnreicher erscheinen da schon Babystrampelanzüge, in denen Sensoren - nach dem Vorbild von Weltraumanzügen - über Puls und Atmung der Kleinen wachen und sie vor dem plötzlichen Kindstod schützen. Doch, so betonen Experten, seien es nicht solche Einzelexemplare des Technologietransfers aus der Raumfahrtforschung, die den Völkern Europas neuen Nutzen brächten. Vielmehr profitierten alle gleichermaßen vom Fortschritt auf den Sektoren der satellitengestützten Kommunikationstechnik und der Erdfernerkundung.

    Ein Fokus der Diskussionen in London konzentriert sich auf das so genannte "Grünbuch" der Europäischen Union. Darin werden Status sowie die weiteren Ziele europäischer Weltraumaktivitäten umrissen. So unterstreicht das Papier die weltweit führende Rolle Europas im Bereich etwa der Trägersysteme sowie in der Telekommunikation und in industriellen Anwendungen. Auf der Basis des Grünbuches sollen eng gefasste Konzepte entstehen und Ende des Jahres in einen konkreten Aktionsplan für zukünftige Entwicklungsrichtungen münden. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Verhältnis zum wichtigsten Konkurrenten, den Vereinigten Staaten. So konstatiert das Papier bereits im Vorwort, dass die USA ihre Raumfahrt mit sechsmal mehr öffentlichen Mittel unterstützen als die Nationen der EU. Nicht zuletzt angesichts der derzeit frostigen transatlantischen Beziehungen unterstreichen Experten das Problem der Wahrung eigener Unabhängigkeit.

    Noch immer hängt Europas Nabelschnur in die Umlaufbahn an den USA und Russland, wenn beispielsweise europäische Astronauten zur Internationalen Raunstation befördert werden müssen. Ein anderes Beispiel für die Tücken internationaler Zusammenarbeit ist das US-dominierte Globale Positionierungssystem. Hier soll das europäische Pendant "Galileo" für stabile Autarkie sorgen. In diesem Spannungsfeld nicht zuletzt geopolitischer Interessen nutzten Politiker und Wirtschaftsvertreter das Londoner Treffen, um bei den Bürgern Verständnis für die Bedeutung europäischer Weltraumaktivitäten und die damit entstehenden Kosten zu schaffen. Dem entgegen stehen allerdings Verteilungsstreitigkeiten der EU- sowie der ESA-Partnerstaaten in bestimmten Bereichen, darunter auch zu Galileo. Diese sollen aber, so die Hoffnungen, auf der Ministerratstagung kommende Woche in Paris beigelegt werden.

    [Quelle: Dirk Lorenzen]