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Texanische Rockband King's X
Unter dem Kreuz des 13. Albums

Zwölf Alben hat die Band King's X seit 1988 aufgenommen, nach langer Pause ist nun das 13. in Arbeit. Doch trotz vieler prominenter Fans sind die Texaner immer Geheimtipp geblieben. Doch ihre knochentrockenen Riffs, Grooves und Hooks rocken auch nach drei Jahrzehnten kein bisschen weniger.

Von Kai Löffler | 20.10.2019
    Drei Männer stehen auf einer Bühne und spielen Musik
    King's X bleiben ein Geheimtipp (Jon Allegretto)
    Musik: "Prisoner"
    Jerry Gaskill: Ich hatte immer das Gefühl, das die Leute uns nicht einordnen können.
    Seit mehr als 30 Jahren sitzt Jerry Gaskill bei King's X hinter dem Schlagzeug. Und genau wie ein anderes Trio aus Texas spielen Doug Pinnick, Ty Tabor und Gaskill bis heute in der Originalbesetzung. Was genau sie spielen, ändert sich aber von Album zu Album; mal klingt es metallischer, mal souliger und mal proggig komplex. Der Vergleich "wenn die Beatles Metal gemacht hätten, wären sie King's X" trifft zwar nicht ganz ins Schwarze, aber Beatles-artige Gesangsharmonien sind tatsächlich ein Markenzeichen der Band.
    Jerry Gaskill: Und die die unsere Musik mögen, die mögen sie wirklich, und dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Aber die breite Masse kann einfach nichts mit uns anfangen, dafür sind wir zu anders. Wir erfinden uns immer wieder neu, wir tun das worauf wir gerade Lust haben und ist für viele verwirrend. Besonders für die Marketing-Leute.
    Musik: "Goldilox"
    Ende der 70er lebte Jerry Gaskill in Missouri, wo er den Bassisten und Sänger Doug Pinnick kennenlerne. Die beiden spielten zusammen in der Band des erfolgreichen christlichen Rockgitarristen Phil Keaggy, der auch außerhalb der Christian Rock-Szene für seine virtuose Fingerstyle-Technik berühmt ist. Hier lernten die beiden bei einem Konzert Gitarrist Ty Tabor kennen.
    Sprituelle Komponente
    Jerry Gaskill: Er war in einer unserer Vorbands, als Schlagzeuger, und hat mich gefragt, ob er auf meinem Schlagzeug spielen kann. Und ich hab gesagt, klar, warum nicht. Er war zwar Gitarrist, aber der eigentliche Drummer hat kurz vor dem Gig aufgehört und Ty ist spontan eingesprungen. Ich hab dann wenig später an einem Demo für jemanden gearbeitet, und darauf hat Ty Gitarre gespielt. Er saß in der Ecke und hat Licks gespielt und ich dachte, wow, der kann wirklich spielen. Meine Ex-Frau hat ihn dann im College Namensverzeichnis ausfindig gemacht, Doug hat ihn angerufen und dann haben wir überlegt, wollen wir Drei nicht eine Band werden?
    Musik: "Out of the Silent Planet"
    Die Texte von King's X haben oft eine sprituelle Komponente und auch der Bandname wird gerne mal - wenn auch angeblich zu Unrecht - als "Das Kreuz an dem Jesus hing" interpretiert.
    Jerry Gaskill: Also, King's X sollte nie nie nie eine christliche Band sein. Wirklich nie. Aber wir waren früher alle drei Christen. Damals war Christian Rock gerade riesig. Phil Keaggy war einer der Pioniere und ist bis heute in dieser Szene legendär. Und in dieser Zeit haben wir gemerkt, dass wir da einfach nicht hingehören. Deshalb wollten wir eine eigene Band gründen und das sagen, was wir wirklich sagen wollten. Im Laufe der Zeit ist uns aufgegangen, dass wir eigentlich gar keine Christen mehr waren. Keiner von uns. Daher ist dieses Label, das wir eine christliche Band sind oder waren, einfach falsch. Wir haben uns nie als eine ausgegeben und wollten das auch nie.
    Trotzdem wurde King's X lange als eine solche wahrgenommen. Selbst in den 90ern. als die Band schon mit Headlinern wie Anthrax und Iron Maiden auf Tour war, wurde das Trio in der Fachpresse als Christliche Band bezeichnet. Sowohl in Deutschland als auch in Amerika. King's X war in den christlichen Charts, wenn auch nie besonders hoch platziert. Ihre Musik wurde in christlichen Buchhandlungen und christlichen Plattenläden verkauft...
    Jerry Gaskill: ... bis Doug sich eines Tages als schwul geoutet hat. Da haben uns die christlichen Buchhandlungen dann aus den Regalen genommen, was für mich eher eine Ehre war.
    Musik: "The Train"
    Alle Alben von King's X sind verschieden, aber um George Orwell falsch zu zitieren: Einige sind verschiedener als andere. Die ersten zwei sind eher proggig, die nächsten etwas straighter. Das fünfte Album "Dogman", das ein bisschen wie eine Mischung aus Jimmy Hendrix und den Ramones klingt, zählt zu den besten Alben der Band.
    Musik: "Dogman"
    Die wohl ungewöhnlichste Platte in der Diskographie von King's X ist "Ear Candy", der Nachfolger von "Dogman", erschienen 1996. Die Musik hält was das knallbunte Cover verspricht: Die knackigen Riffs und das Schlagzeug sind genau wie auf dem Vorgänger trocken abgemischt, aber gleichzeitig klingen viele Melodien poppiger als gewohnt. King's X waren nie eine Radio- Popband - aber ein Song wie "Mississippi Moon" geht gut ins Ohr.
    Musik: "Mississippi Moon"
    Das Album "Ear Candy" sollte 1996 für King's X das Ende einer Ära sein, das letzte Album auf dem Major-Label Atlantic. Damals fühlte es sich aber mehr an wie ein Neubeginn, sagt Jerry Gaskill.
    Drei Männer lehnen stehen vor einer Wand und blicken in die Kamera
    King's X spielen bis heute in Origunalbesetzung (Jon Allegretto)
    Jerry Gaskill: Das war für uns eine neue Zeit: Neuer Producer, neue Ära, neue Platte. Wir haben uns wieder neu erfunden und das kam dabei raus. Und das war auch die Platte bei der ich mitten während der Aufnahmen abreisen musste. Meine Ex-Frau hatte einen schlimmen Autounfall, sie wäre fast gestorben, und so musste ich nach Hause fliegen um bei den Kindern zu sein, während sie im Krankenhaus war. Ich hab also auf dem Album fast nichts gesungen. Ich glaub einen Song, und natürlich American Cheese, den wir später aufgenommen haben. Deshalb kann ich mich an die Aufnahmen auch kaum erinnern. Ich spiele zwar Schlagzeug und singe auf zwei Songs, aber ansonsten waren die anderen Beiden alleine im Studio. Deshalb ist meine Erinnerung daran etwas anders.
    Ear Candy mag kein kommerzieller Erfolg gewesen sein, aber künstlerisch ist es eins der interessantesten Alben von King's X - und der Song "American Cheese - Jerry's Pianto" ist wiederum ein Ausreißer. Er stammt aus der Feder von Jerry Gaskill, der darauf auch die Lead-Stimme singt. Und der Zweittitel "Jerry's Pianto" hat eine skurrile Geschichte.
    Jerry Gaskill: Vor vielen vielen Jahren, ich glaube bevor ich meine Heimatstadt verlassen habe, war ich mit meiner Ex-Frau in der Kirche. Sie war die Pianistin, und eines Tages betete die Frau des Pastors und sagte mit viel Pathos: "Lieber Herr, bitte segne auch Grace" - so hieß meine Ex - "die für uns Pianto spielt". Ich hab den beiden anderen die Geschichte erzählt und die wollten den Song vor allem deshalb "American Cheese- Jerry's Pianto" nennen - weil ich ihn auf dem Klavier geschrieben hab.
    Musik: "American Cheese - Jerry's Pianto"

    Jerry Gaskill war bei King's X immer eher der Mann im Hintergrund, als Schlagzeuger auf der Bühne sowieso, aber auch als Songwriter und Lead-Sänger. Er selbst bezeichnet sich als den Ringo zu Tabors und Pinnicks Lennon und McCartney. Auf dem neuen Album allerdings, an dem die Band gerade arbeitet, ist das nicht mehr so.
    "Die beste Platte unserer Karriere"
    Jerry Gaskill: Vielleicht war ich früher einfach nicht selbstbewusst genug, um meine eigene Musik zu spielen; ich hatte das Gefühl, dass ich nichts zu bieten habe. Aber das das Gefühl hab ich nicht mehr, ich glaube meine Songs sind nicht schlechter als die anderen, und die, die ich für die neue Platte geschrieben habe, mögen wir alle. Ich weiß jedenfalls, dass wir uns alle einig waren, als wir das neue Album angefangen haben: Wir wollten die beste Platte unserer Karriere machen und nicht einfach irgendein neues King's X Album. Wir wollten es richtig machen. Außerdem bin ich seit dem letzten Album zwei Mal gestorben...
    Musik: "Cigarettes"
    Im Moment fühlt sich Jerry Gaskill wie neu geboren. Und nicht nur im übertragenen Sinne: Vor ein paar Jahren hatte er einen extrem schweren zweiten Herzinfarkt; zahlreiche Fans haben Geld gespendet, um ihm mit den astronomischen Arztrechnungen zu helfen. Noch dramatischer allerdings war sein erster Infarkt.
    Jerry Gaskill: Beim ersten Mal, beim ersten Herzanfall... bin ich im wahrsten Sinne des Wortes gestorben. Ich hab damals mit einer befreundeten Band in einer Bar gejammt, ein paar Straßen von meinem Haus entfernt, und danach hab ich mich hingesetzt und zu meiner Frau gesagt, ich glaub ich hab mir einen Muskel im Arm gezerrt. Und sie sagte, lass uns ins Krankenhaus fahren, aber ich meinte nur, ach quatsch, mit geht's gut. Ich bin damals viel gejoggt und war ziemlich fit. Aber als ich dann zuhause ins Badezimmer ging, kam meine Frau hinterher, weil sie sich Sorgen machte. Und tatsächlich bin ich einfach umgekippt und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen. Meine Augen haben sich verdreht und ich war tot. Ich musste vom Notarzt wiederbelebt werden und hab erst mal einen Monat im künstlichen Koma verbracht. Danach hab ich mir gesagt, ich werde jetzt besser denn je... aber dann hatte ich einen zweiten Anfall und dachte, vielleicht werd ich ja doch nicht besser denn je. (lacht) Vielleicht sollte ich einfach aufgeben. Aber ich hab nicht aufgegeben und im Moment geht es mir tatsächlich so gut wie noch nie.
    Musik: "Cigarettes"
    Elf Jahre ist es her, dass Kings X zuletzt im Studio waren und neue Songs aufgenommen haben, damals für das Album "XV". Eine Zeitlang hatte die Band kein Label: Nachdem "Ear Candy" gefloppt war, ließ Atlantic King's X fallen. Aber obwohl keine große Promotion-Maschine mehr hinter der Band stand, hatte die Situation auch Vorteile, sagt Jerry Gaskill.
    40 Jahre King's X
    Jerry Gaskill: Das war in vieler Hinsicht super; wir konnten die Platte wirklich so machen, wie wir wollten, und das war aufregend. Wir haben im Studio die Musik geschrieben, ganz ohne Zeitdruck, anstatt wie sonst die Songs mitzubringen. Die nächsten zwei Platten haben wir so aufgenommen, "Mr Bulbous" und "Manic Moonlight", wir haben keine Ideen mitgebracht, sondern einfach zusammen Musik geschrieben. Bei "Tapehead" auch. Und was die große Marketing-Maschine angeht, naja, so viel hat die auch nicht gebracht, oder?
    Musik: "Stay"
    King's X ist kein Headliner vor ausverkauften Stadien und an den Wänden der Band hängen keine Platinalben. Trotzdem ist das Trio legenär und hat massenweise berühmte Fans. Dream Theater und Anthrax zum Beispiel, Soundgarden und Alice In Chains. Jeff Ament von Pearl Jam hat einmal gesagt, King's X haben den Grunge erfunden. Vielleicht lag es daran, dass die Musik in keine Schublade passt oder dass ein schwuler Afroamerikaner mit Irokeseschnitt nicht dem typischen Bild eines Rocksängers entspricht. Auf jeden Fall haben Jerry Gaskill, Doug Pinnick und Ty Tabor über mehrere Jahrzehnte Musik mit ganz eigenem Sound abgeliefert und sich längst damit abgefunden, dass der ganz große Durchbruch wohl nicht mehr kommen wird.
    Jerry Gaskill: Klar ist das frustrierend, oder es war frustrierend, aber dafür gibts uns schon fast 40 Jahre, dieselben drei Leute. Und so machen wir auch weiter, ich hab das Gefühl dass wir in mancher Hinsicht noch nie so gut waren wie im Moment und dafür bin ich sehr dankbar. Klar, Geld und alles was damit zusammenhängt, wäre natürlich schön gewesen. Aber - und das kann ich nur vermuten, weil es halt nie so gekommen ist - wenn wir wirklich erfolgreich gewesen wären, und weltberühmt, wenn uns der Mainstream geliebt hätte, dann wären wir wahrscheinlich nicht mehr zusammen. Ich wäre wahrscheinlich einfach abgehauen und hätte gesagt: Okay, das war für mich. Tschüss, Jungs!
    Musik: "Summerland"