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Textilfabriken in Bangladesch
Höhere Gebäudesicherheit, unfaire Arbeitsbedingungen

ACCORD, ein Bündnis von 200 internationalen Firmen in der Textilbranche, soll die Standards von Fabrikgebäuden in Bangladesch sichern. Doch der Mindestlohn eines Textilarbeiters reicht kaum zum Leben, bei Protest drohen Job-Verlust oder Gefängnis. Unklar ist auch, wer die Subunternehmer prüft, die für ACCORD-Firmen produzieren.

Von Silke Dittrich | 22.04.2017
    Etikett mit Waschanleitung in einem in Bangladesch produzierten T-Shirt.
    Das Etikett „Made in Bangladesh“ sei kein Grund, das Kleidungsstück in den westlichen Läden nicht zu kaufen, so die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter. Doch die Kleidung sollte unter fairen Bedingungen worden produziert sein. (picture alliance / Lars Halbauer)
    Eine große Lücke klafft zwischen mehreren Gebäuden. Dort, wo das Gebäude Rana Plaza einmal stand, wuchert heute dichtes Gestrüpp, der Boden ist mit Müll übersät. Am Straßenrand erinnert eine kleine Gedenktafel an das Schicksal von Tausenden Textilarbeitern:
    "Opfer von Rana Plaza. Ruhet in Frieden. Unsere Erinnerungen sind mit Milliarden von Tränen behaftet. Wir werden es nie vergessen."
    "Solch ein Desaster kann hier nicht mehr passieren in den Textilfabriken"
    Die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter sagt, das tragische Unglück habe Druck auf alle Beteiligten der Textilindustrie ausgeübt:
    "Im Bereich Sicherheit hat sich viel geändert. Vor dem großen Unfall in Rana Plaza hatten wir um die 200 tote Arbeiter im Jahr, die durch Feuer oder Gebäudeeinstürze ums Leben gekommen sind. Heute sind es weniger als zehn oder sogar fünf Menschen, die durch Unfälle dort sterben. Das ist wirklich eine große Verbesserung. Ich würde so weit gehen und sagen, solch ein Desaster kann hier nicht mehr passieren in den Textilfabriken."
    ACCORD-Bündnis soll Sicherheitsstandards gewährleisten
    Zahlreiche Modelabels, die in Bangladesch ihre Kleidung herstellen lassen, haben nach dem Unglück von Rana Plaza Bündnisse gegründet, die die Sicherheit der Fabrikgebäude gewährleisten sollen. Eines davon heißt: ACCORD. Dazu gehören Unternehmen wie H&M, Adidas oder Benetton. Über 200 Markenhersteller aus Europa haben sich ACCORD angeschlossen, sie alleine lassen in 1.650 verschiedenen Fabriken in Bangladesch produzieren, rund die Hälfte aller Textilfabriken im Land. Auch wenn das Bündnis noch nicht alle seine Fabriken kontrolliert hat, könnten Verbraucher in den westlichen Ländern sich bei diesen Modelabels auf folgendes verlassen sagt Rob Wyass, der Geschäftsführer von ACCORD.
    "Wenn du ein T-Shirt von einer dieser Firmen kaufst, kannst du mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es in einer Fabrik gefertigt wurde, die dabei ist, die gesetzlichen Sicherheitsstandards einzuhalten."
    Aber es gibt natürlich immer selbst noch Schlupflöcher.
    Shabbir Mahmood zum Beispiel kann nicht mehr für die europäischen Käufer produzieren, die das Abkommen von ACCORD unterschrieben haben. Seine Textilfabriken entsprechen nicht den internationalen Sicherheitsstandards. Und doch hat er in den letzten vier Jahren für die Modelabels, die Mitglieder bei ACCORD sind, gearbeitet, wie er nach mehrmaligen Nachfragen zugibt.
    Teile der Produktion werden an Subunternehmer ausgelagert
    Aber unter der Hand, als inoffizieller Subunternehmer:
    "Subunternehmen heißt, wenn eine große Fabrik einen Auftrag angenommen hat und ihn nicht ganz erfüllen kann, dann lässt sie zum Beispiel 20 Prozent woanders produzieren. Diese kleinen Firmen werden nicht von ACCORD kontrolliert, weil sie ja offiziell gar nicht für den großen Auftraggeber arbeiten. Manchmal wissen die Auftraggeber nicht einmal, dass ein Teil ihrer Produktion ausgelagert wurde."
    Offiziell verdient Shabbir Mahmood das meiste Geld mit seinen Kunden aus Brasilien, die nur auf die Qualität der Kleidungsstücke schauen würden und sich nicht weiter darum scheren würden, wie die Fabrikgebäude ausgestattet sind. Dennoch plant auch Shabbir Mahmood eine neue Fabrik, die den internationalen Standards entspricht in puncto Sicherheit. Der europäische Markt sei einfach zu lukrativ, um sich diese Aufträge offiziell entgehen zu lassen.
    Kampf um mehr Lohn hat negative Konsequenzen für Arbeiter
    Aber auch wenn viele Textilarbeiter mittlerweile in sichereren Gebäuden arbeiten: Sie verdienen mit am wenigsten auf der ganzen Welt.
    Immer mal wieder trauen sich die Arbeiter auf die Straße, um für höhere Löhne zu demonstrieren. Aber dann müssten sie leider oft mit harten Konsequenzen rechnen, sagt die Arbeitsrechtlerin:
    "Wenn wir unsere Stimme erheben, bekommen wir Probleme. Vergangenes Jahr sind nach Demonstrationen rund 2.000 Arbeiter entlassen worden, 160 stehen auf schwarzen Listen, sie bekommen keine Jobs mehr, 35 sind im Gefängnis gelandet."
    Erst Ende Februar sind die verhafteten Gewerkschafter und Arbeiter frei gekommen. Der Arbeiter Masud Rana saß fast drei Monat im Gefängnis:
    "Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte auf den Straßen Autos zerstört an einem Tag, an dem ich aber in der Fabrik gearbeitet habe. Und sie haben gesagt, ich hätte Kleidungsstücke aus der Fabrik geklaut. Meine Firma hatte zu der Zeit nicht so viele Aufträge, also ich denke, sie wollten auf diese Weise einfach ein paar Arbeiter loswerden, damit sie sie nicht bezahlen müssen. Das machen viele so in der Branche. Aber wenn es viel zu tun gibt, dann arbeiten wir bis Mitternacht."
    Viele Parlamentarier sind selbst Fabrikbesitzer
    Der monatliche Mindestlohn liegt bei rund 60 Euro in Bangladesch. Die lokale Textilindustrie und die bangladeschische Regierung wollen bis 2019 nichts ändern. Kein Wunder, sagt die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter, oft seien die Gesetzgeber ja selbst Fabrikbesitzer:
    "Ich vergleiche unser Parlament mit einem Geschäftsklub, weil die Mehrheit der Mitglieder selber Fabriken besitzen oder mit der Textilindustrie verbandelt sind. Der Außenminister zum Beispiel, er besitzt eine Gruppe von Textilfabriken."
    Wenn die europäischen Modefirmen sich nicht für die Rechte der Arbeiter einsetzen, könnte auch noch die Europäische Union Druck ausüben, sagt Kalpona Akter. Denn sie haben ein wichtiges Abkommen mit Bangladesch: der sogenannte EBA Vertrag. Der gewährleistet, dass Bangladesch alles außer Waffen zollfrei in die EU exportieren darf. Aber er daran geknüpft, dass die Menschenrechte im Land eingehalten werden. Das Etikett "Made in Bangladesh" sei kein Grund, das Kleidungsstück in den westlichen Läden nicht zu kaufen, sagt Akter:
    "Kauf es bitte, aber sei ein verantwortlicher Käufer. Frag, ob die Arbeitsbedingungen ok sind, werden die Arbeiter anständig bezahlt. Ihr könnt auf jeden Fall Sachen aus Bangladesch kaufen, aber kauft es mit Verantwortung."