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Textilindustrie
Stofffaser aus Brennnessel

Baumwolle gilt als nicht besonders ökologisch - aufgrund des hohen Wasserbedarfs, aber wegen des erheblichen Einsatzes an Dünger und Pestiziden. Gerade Hersteller von Bio-Kleidung suchen deswegen nach Alternativen. Der schwäbische Textilhersteller Mattes und Ammann will deshalb im großen Stil Fasern aus Brennnesseln gewinnen.

Von Bernd Schlupeck | 10.04.2017
    Eine Brennnessel aufgenommen bei Augsburg (Schwaben)(Foto vom 26.06.2012).
    Brennnesseln dienen als Lieferant für ökologischere Stoffe. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Gut 90 Kilometer südlich von Stuttgart liegt Meßstetten-Tieringen, eigentlich ein kleines Dorf wie viele auf der schwäbisches Alb. Doch hier fertigt Mattes & Amman, einer der größten europäischen Textilhersteller. In einem Fachwerkhaus, ein paar Schritte vom Rathaus entfernt, empfängt Werner Moser.
    "Mein Name ist Werner Moser, ich bin Direktor Verkauf bei Mattes & Ammann, ein deutscher Meterwarenhersteller hier auf der schwäbischen Alb. Wir sind hier in unserem Raum 'Sustainability'. Hier haben wir das ganze Projekt aufgearbeitet, bildlich und auch in Form von Ware, und die einzelnen Prozessschritte dargestellt."
    Das Projekt heißt Marlene und bezeichnet einen knapp drei Meter hohen Stängel mit vertrockneten Blättern, der in der Ecke neben einer Wand aus kleinen Holzkästen mit Leinen-, Hanf- und Baumwollfasern lehnt. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich das Gewächs als Brennnessel – eher als hartnäckiges Unkraut oder Tee bekannt. Daraus will der schwäbische Textilhersteller ab diesem Jahr industriell Stoff produzieren.
    "Wenn man sich die Baumwollproduktion in globalem Maßstab anschaut, ist es so, dass jedes T-Shirt 15.000 Liter Regenwasser für sich beansprucht. Und so haben wir uns dann auf den Weg gemacht, nach Alternativstoffen zu schauen und sind zur Brennnessel gekommen. Wir mussten dann eben feststellen, dass es im globalen Maßstab kein Brennnesselgarn zu kaufen gibt. Und so kamen wir in der Folge auf die Idee, hier auf der schwäbischen Alb ein Brennnesselfeld zu installieren auf einem Hektar mit 40.000 Brennnesselpflanzen."
    Anspruchslose Pflanze
    Das ist nun sechs Jahre her. Inzwischen ist das Projekt fortgeschritten und eine spezielle Züchtung von Urtica dioica, so der wissenschaftliche Name der Brennnessel, wird auf einem zehn Hektar großen Feld in Ungarn angebaut. Die Pflanze ist anspruchslos, benötigt kaum Pestizide und im Gegensatz zur Baumwolle keine künstliche Bewässerung. Ein T-Shirt komplett aus Brennnesselgarn würde gerade mal 4.000 Liter Regenwasser beanspruchen. An die Fasern im Inneren zu kommen, ist allerdings weitaus komplizierter.
    "Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Faser als solche fest mit dem Holz- respektive Ligninanteil im Pflanzenstängel verbunden ist. Das ist wie ein Drahtbetonpfeiler konstruiert. Und diese Faser in einem Prozess zu separieren, zu eliminieren, ist aufwendig. Wenn Sie eine Baumwollfrucht oder das Baumwollgarn nehmen, das braucht man nur abpflücken."
    Der Textilhersteller musste daher erst ein neues Verfahren entwickeln. Zunächst wird der Holzkern der geernteten Pflanzenstängel in 20 Zentimeter große Stücke gebrochen und herausgeschüttelt. Mithilfe von Bakterien und Pilzen werden die Fasern dann von den restlichen Holzstücken gelöst. Anschließend erfolgen mehrere Veredelungsschritte. Das Ergebnis ist ein creme-weißes Gespinst, das mit Bambusviskose zu Garn versponnen wird. Wie daraus Stoff erzeugt wird, zeigt Werner Moser wenig später in der Produktionshalle. Dicht an dicht stehen hier Rundstrickmaschinen, die an übermannshohe Pilze mit breiten, hohlen Körpern erinnern.
    "Wir verarbeiten das Marlene-Garn einfach mit auf unserer modernsten Maschine, die wir haben. Sie sehen hier links das Gatter, wo die Garne aufgesteckt sind, der Transport des Fadens zum Fournisseur – oben als Kranz angeordnet. Und dann letzten Endes der Strickprozess, also wie das vermascht wird."
    Erste Ernte kommt im Sommer
    Aktuell fertigt Mattes & Amman Stoffe für Matratzen und Möbelbezüge aus der Brennnessel. Noch dienen Garne aus der asiatischen Nessel als Quelle. Im Sommer rechnet Werner Moser dann mit 300 bis 500 Kilogramm Garn von der eigenen Ernte aus Ungarn. Er hofft, dass ab 2019 Produkte aus der heimischen Brennnessel im Laden stehen. Outdoor-Bekleidungshersteller und ein Taschenproduzent hätten bereits ihr Interesse bekundet, auch, wenn die Stoffe etwa zwei bis dreimal teurer sind als solche aus Baumwolle. Künftig will der Textilhersteller den Anteil von derzeit 30 Prozent im Gestrick noch erhöhen.
    "Wie haben einfach Kunden, die wirklich Überzeugungstäter sind. Und die werden letztendlich von uns eine Ware fordern, die aus 100 Prozent Brennnessel besteht. Und das haben wir auch ganz klar im Blick in der Entwicklung."