"Kennzeichnend ist der Wertewandel. Wir haben es mit einer Generation zu tun, sie hat zwar die Zweierbeziehung, also die Ehe nicht in Frage gestellt, aber wir haben es hier mit der Abkehr von der Kinderzahl zu tun. Wir haben es mit der Hinwendung der Frauen zu qualifizierten Berufen zu tun, wir haben es mit einer Generation zu tun, die sich aus politischen Sicht anders versteht, als alle anderen älteren Generationen vorher."
Bald wird mehr als die Hälfte der Deutschen über 50 Jahre alt sein. Wie diese große Gruppe unsere Gesellschaft in Zukunft prägen wird, welches Lebensgefühl sie ausstrahlt, ist Untersuchungsgegenstand der repräsentativen 50-Plus-Studie, die Professor Dieter Otten, Soziologe an der Universität Osnabrück, gerade veröffentlichte.
Die Studie erforscht die Gruppe der 50- bis 70-Jährigen, die, wie Otten meint, sich scharf gegen die Kriegsgenerationen des Ersten und Zweiten Weltkrieges abgrenzt. Denn das "Generationenerlebnis" der 1938 bis 1958 Geborenen sei geprägt von den Aufbrüchen der 60er Jahre. Von jener Zeit also, wo statt Anpassung Individualismus, Kritik, ja Protest gegen Bestehendes angesagt waren.
"Wir haben diese Kriegsgeneration, die man zusammenfassen kann, die ein ganz prägendes, vereinheitlichendes Welterlebnis haben und darauf auch mit Prägungen und Haltungen reagiert haben, einschließlich der faschistischen Epoche. Und nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt mit dem Jahrgang 1938 diese völlig veränderte Einstellung der Wertewandelkoalition. Und das stößt Mitte der 50er Jahre zum ersten Mal aufeinander, wenn die 38er-Teenager werden, so mit 15, 16 - das ist die Rock 'n' Roll-Ära. Das macht den Schnitt aus. Von da an ist Rock 'n' Roll revolutionär, gegen das Establishment."
Natürlich ist nicht jeder über 50 ein alt gewordener Revolutionär. Und natürlich gibt es weiterhin jene, die sich in einer kleinbürgerlichen Welt oder in einer traditionellen Arbeiterkultur verwurzelt sehen. Sie entstammen häufig der unteren bis mittleren Mittelschicht, sind in Ostdeutschland unter den "Wendeverlierern" zu finden. Doch auch in den gehobeneren bürgerlichen Schichten findet man ein traditionell konservativ denkendes Milieu. Insgesamt gehören 24 Prozent der 50- bis 70-Jährigen zu diesen Gruppen. Doch - das sind weniger als jemals zuvor.
"Und dem steht gegenüber ein Trend, der in die andere Richtung geht. Und das hat sich eben gewandelt."
Zunehmend gibt es einen "progressiven Block" unter der sogenannten "Silver-Generation". Die konfessionelle Bindung dieser Altersgruppe nimmt stetig ab, ohne dass damit freilich ein Verfall von Moral und Sitte verbunden wäre. Der Wille, auch mit über 50 noch ein intensives, erlebnisreiches Leben zu führen, hat dagegen zugenommen.
Da gibt es die in die Jahre gekommene "Hedonisten", vorwiegend in den modernen Mittelschichten, die weiterhin viel "Spaß" - am liebsten bis zum Rand des Grabes - wünschen. Es gibt eine "große Minderheit" von 20 Prozent, die sich ihre Vitalität bewahren wollen, sportlich sind, ihre Freizeit mit Kino, Kultur und Erlebnisreisen füllen. Sie wollen auch im Alter noch etwas "tun", denken über das Ehrenamt nach und können sich durchaus ein Leben in einer Alters-WG vorstellen.
Das ist jene Gruppe, die heute politisch und gesellschaftlich eine große Meinungsmacht hat, und somit durchaus als "Leitmilieu" fungiert. Dieter Otten fasst die progressiven Milieus zusammen:
"Sie sind sehr stark reiseorientiert, sie sind sehr stark daran orientiert, Haus und Garten in Schuss zu halten, relativ fernsehintensiv, aber nicht übermäßig. Und es gibt mehrere interessante Trends, also zum Beispiel das Kino. Das Ins-Kino-Gehen ist die große Trendnummer. Das wird sich auch niederschlagen in der Produktion. Sie merken ja schon, dass sich die Themen der Filme ändern, das hängt an diesem ganz neuen Publikum. Und das zweite sind Partys, also man geht auf Partys, auf denen bis zum Umfallen geschwoft wird, das sind diese Ü-Partys, über 40 oder 50 oder 60. Hinzu kommt starkes politisches Engagement und auch sozialpolitisches Engagement. Also, wir haben sehr viele Leute in unserer Befragung, die sagen, wir würden gern viele sozialpolitische Sachen machen. Wir finden nur keine Anhaltspunkte."
Zu einem aktiven Lebensstil gehört natürlich eine ausreichende finanzielle Sicherheit. Und die ist bei vielen der "jungen Alten" durchaus zu finden. Das Haushaltseinkommen für einen 2,14 Personenhaushalt liegt bei dieser Gruppe mit monatlich 3264 Euro 13 Prozent über dem Durchschnitt. Mehr als 50 Prozent der "Best agers" besitzen Wohneigentum und verfügen darüber hinaus über zusätzliche Vermögenswerte. 46 Prozent der 50- bis 70-Jährigen allerdings geben an, überhaupt kein Vermögen zu besitzen. Trotzdem: Altersarmut wird zum Thema eher für die nachrückenden Generationen.
Und übrigens: Fast 80 Prozent der 50-Plus-Generation sind verheiratet, oft sogar noch in erster Ehe, dazu kommen noch einmal zehn Prozent Lebenspartnerschaften. 80 Prozent dieser Paare halten ihre Partnerschaft für gut, wenn nicht für sehr gut. Eine Mehrheit verbringt ihre Freizeit am liebsten mit ihrem Partner. Und Sex - gibt es in den meisten Ehebetten durchaus regelmäßig, und durchaus lustvoll - für Männer allerdings ein bisschen lustvoller als für Frauen. Und mit 70 gibt es - wen wundert es? - Weniger Sex als mit 50.
"Sie haben sehr häufige sexuelle Aktivitäten und auch sehr variantenreich, sie haben uns da deutlich geantwortet. Und es gibt einen leichten Unterschied zwischen Männern und Frauen, die sexuelle Aktivität ist höher bei Männern, 80 zu 60. Und diese Diskrepanz können wir uns nicht so richtig erklären. Möglicherweise haben Männer häufiger Sex mit Frauen unterhalb unserer Altersgrenze. Das hört natürlich, je älter man wird, ein bisschen mehr auf. Wir haben das so formuliert: Mit dem Alter wird die Liebe ein bisschen vegetarisch."
Alt im herkömmlichen Sinne sind sie also nicht, die Oldies des 21. Jahrhunderts. Der "Alters-Limes", so Professor Otten, wandert nach oben. Schon jetzt umfasst diese Gruppe 22 Millionen Menschen und in absehbarer Zeit stellt sie die gesellschaftliche Mehrheit dar - und mit 45 Prozent die größte Wählergruppe. Doch anders als die älteren Generationen in früheren Zeiten, steht die heutige Generation 50 Plus nicht auf Seiten konservativer Parteien, sondern wählt eher linksliberal.
"Das Ergebnis ist so, dass von den politologischen Dogma, mit dem Alter wird die Wählerschaft konservativ, wir nichts mehr finden. Die konservativen Wähler sind nicht mehr die älteren Wähler, es sind die ganz alten. Da wächst eine andere Wählerschaft nach, die auch über 70 ihren politischen Stil nicht mehr ändern wird. Und das heißt, wir kriegen eine Republik, die ist links von der Mitte. Trotzdem kann ich es mir vorstellen, dass es auch für politische Konzepte, wie die CDU sie vertritt, eine Zukunft gibt, wenn es eben gelingt, Probleme zu lösen, die mit diesem Wandel verbunden sind."
Die 68er, so sieht es Dieter Otten, haben gesellschaftlich gesiegt. Der Wertewandel, der damals eingeleitet wurde, wird von der Generation 50 Plus weitergetragen. Sie dominiert demnächst die Gesellschaft - und dies nicht zuletzt deshalb, weil sie den aktuellen demografischen Wandel durch den Pillenknick ausgelöst hat. Die liberale Republik der Zukunft wird bevölkert sein von hochvitalen, kosmopolitisch, ökologisch, verfassungspatriotisch orientierten "Bestagern". Und ob im Kino, im Restaurant oder auf Reisen: Überall wird man auf händchenhaltende, eifrig miteinander kommunizierende ältere Pärchen treffen. Denn "the beat goes on and on and on".
Für die Jüngeren brechen harte Zeiten an.
" Es ist nicht einfach, erwachsen zu werden in dieser Gesellschaft, in der die Erwachsenen so dominant sind und alles bestimmen, und über viele Jahre alles bestimmen werden. Und ich halte solche Phänomene wie dieses Alkoholverhalten oder die zunehmende Aggressivität für eine Reaktion darauf."
Bald wird mehr als die Hälfte der Deutschen über 50 Jahre alt sein. Wie diese große Gruppe unsere Gesellschaft in Zukunft prägen wird, welches Lebensgefühl sie ausstrahlt, ist Untersuchungsgegenstand der repräsentativen 50-Plus-Studie, die Professor Dieter Otten, Soziologe an der Universität Osnabrück, gerade veröffentlichte.
Die Studie erforscht die Gruppe der 50- bis 70-Jährigen, die, wie Otten meint, sich scharf gegen die Kriegsgenerationen des Ersten und Zweiten Weltkrieges abgrenzt. Denn das "Generationenerlebnis" der 1938 bis 1958 Geborenen sei geprägt von den Aufbrüchen der 60er Jahre. Von jener Zeit also, wo statt Anpassung Individualismus, Kritik, ja Protest gegen Bestehendes angesagt waren.
"Wir haben diese Kriegsgeneration, die man zusammenfassen kann, die ein ganz prägendes, vereinheitlichendes Welterlebnis haben und darauf auch mit Prägungen und Haltungen reagiert haben, einschließlich der faschistischen Epoche. Und nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt mit dem Jahrgang 1938 diese völlig veränderte Einstellung der Wertewandelkoalition. Und das stößt Mitte der 50er Jahre zum ersten Mal aufeinander, wenn die 38er-Teenager werden, so mit 15, 16 - das ist die Rock 'n' Roll-Ära. Das macht den Schnitt aus. Von da an ist Rock 'n' Roll revolutionär, gegen das Establishment."
Natürlich ist nicht jeder über 50 ein alt gewordener Revolutionär. Und natürlich gibt es weiterhin jene, die sich in einer kleinbürgerlichen Welt oder in einer traditionellen Arbeiterkultur verwurzelt sehen. Sie entstammen häufig der unteren bis mittleren Mittelschicht, sind in Ostdeutschland unter den "Wendeverlierern" zu finden. Doch auch in den gehobeneren bürgerlichen Schichten findet man ein traditionell konservativ denkendes Milieu. Insgesamt gehören 24 Prozent der 50- bis 70-Jährigen zu diesen Gruppen. Doch - das sind weniger als jemals zuvor.
"Und dem steht gegenüber ein Trend, der in die andere Richtung geht. Und das hat sich eben gewandelt."
Zunehmend gibt es einen "progressiven Block" unter der sogenannten "Silver-Generation". Die konfessionelle Bindung dieser Altersgruppe nimmt stetig ab, ohne dass damit freilich ein Verfall von Moral und Sitte verbunden wäre. Der Wille, auch mit über 50 noch ein intensives, erlebnisreiches Leben zu führen, hat dagegen zugenommen.
Da gibt es die in die Jahre gekommene "Hedonisten", vorwiegend in den modernen Mittelschichten, die weiterhin viel "Spaß" - am liebsten bis zum Rand des Grabes - wünschen. Es gibt eine "große Minderheit" von 20 Prozent, die sich ihre Vitalität bewahren wollen, sportlich sind, ihre Freizeit mit Kino, Kultur und Erlebnisreisen füllen. Sie wollen auch im Alter noch etwas "tun", denken über das Ehrenamt nach und können sich durchaus ein Leben in einer Alters-WG vorstellen.
Das ist jene Gruppe, die heute politisch und gesellschaftlich eine große Meinungsmacht hat, und somit durchaus als "Leitmilieu" fungiert. Dieter Otten fasst die progressiven Milieus zusammen:
"Sie sind sehr stark reiseorientiert, sie sind sehr stark daran orientiert, Haus und Garten in Schuss zu halten, relativ fernsehintensiv, aber nicht übermäßig. Und es gibt mehrere interessante Trends, also zum Beispiel das Kino. Das Ins-Kino-Gehen ist die große Trendnummer. Das wird sich auch niederschlagen in der Produktion. Sie merken ja schon, dass sich die Themen der Filme ändern, das hängt an diesem ganz neuen Publikum. Und das zweite sind Partys, also man geht auf Partys, auf denen bis zum Umfallen geschwoft wird, das sind diese Ü-Partys, über 40 oder 50 oder 60. Hinzu kommt starkes politisches Engagement und auch sozialpolitisches Engagement. Also, wir haben sehr viele Leute in unserer Befragung, die sagen, wir würden gern viele sozialpolitische Sachen machen. Wir finden nur keine Anhaltspunkte."
Zu einem aktiven Lebensstil gehört natürlich eine ausreichende finanzielle Sicherheit. Und die ist bei vielen der "jungen Alten" durchaus zu finden. Das Haushaltseinkommen für einen 2,14 Personenhaushalt liegt bei dieser Gruppe mit monatlich 3264 Euro 13 Prozent über dem Durchschnitt. Mehr als 50 Prozent der "Best agers" besitzen Wohneigentum und verfügen darüber hinaus über zusätzliche Vermögenswerte. 46 Prozent der 50- bis 70-Jährigen allerdings geben an, überhaupt kein Vermögen zu besitzen. Trotzdem: Altersarmut wird zum Thema eher für die nachrückenden Generationen.
Und übrigens: Fast 80 Prozent der 50-Plus-Generation sind verheiratet, oft sogar noch in erster Ehe, dazu kommen noch einmal zehn Prozent Lebenspartnerschaften. 80 Prozent dieser Paare halten ihre Partnerschaft für gut, wenn nicht für sehr gut. Eine Mehrheit verbringt ihre Freizeit am liebsten mit ihrem Partner. Und Sex - gibt es in den meisten Ehebetten durchaus regelmäßig, und durchaus lustvoll - für Männer allerdings ein bisschen lustvoller als für Frauen. Und mit 70 gibt es - wen wundert es? - Weniger Sex als mit 50.
"Sie haben sehr häufige sexuelle Aktivitäten und auch sehr variantenreich, sie haben uns da deutlich geantwortet. Und es gibt einen leichten Unterschied zwischen Männern und Frauen, die sexuelle Aktivität ist höher bei Männern, 80 zu 60. Und diese Diskrepanz können wir uns nicht so richtig erklären. Möglicherweise haben Männer häufiger Sex mit Frauen unterhalb unserer Altersgrenze. Das hört natürlich, je älter man wird, ein bisschen mehr auf. Wir haben das so formuliert: Mit dem Alter wird die Liebe ein bisschen vegetarisch."
Alt im herkömmlichen Sinne sind sie also nicht, die Oldies des 21. Jahrhunderts. Der "Alters-Limes", so Professor Otten, wandert nach oben. Schon jetzt umfasst diese Gruppe 22 Millionen Menschen und in absehbarer Zeit stellt sie die gesellschaftliche Mehrheit dar - und mit 45 Prozent die größte Wählergruppe. Doch anders als die älteren Generationen in früheren Zeiten, steht die heutige Generation 50 Plus nicht auf Seiten konservativer Parteien, sondern wählt eher linksliberal.
"Das Ergebnis ist so, dass von den politologischen Dogma, mit dem Alter wird die Wählerschaft konservativ, wir nichts mehr finden. Die konservativen Wähler sind nicht mehr die älteren Wähler, es sind die ganz alten. Da wächst eine andere Wählerschaft nach, die auch über 70 ihren politischen Stil nicht mehr ändern wird. Und das heißt, wir kriegen eine Republik, die ist links von der Mitte. Trotzdem kann ich es mir vorstellen, dass es auch für politische Konzepte, wie die CDU sie vertritt, eine Zukunft gibt, wenn es eben gelingt, Probleme zu lösen, die mit diesem Wandel verbunden sind."
Die 68er, so sieht es Dieter Otten, haben gesellschaftlich gesiegt. Der Wertewandel, der damals eingeleitet wurde, wird von der Generation 50 Plus weitergetragen. Sie dominiert demnächst die Gesellschaft - und dies nicht zuletzt deshalb, weil sie den aktuellen demografischen Wandel durch den Pillenknick ausgelöst hat. Die liberale Republik der Zukunft wird bevölkert sein von hochvitalen, kosmopolitisch, ökologisch, verfassungspatriotisch orientierten "Bestagern". Und ob im Kino, im Restaurant oder auf Reisen: Überall wird man auf händchenhaltende, eifrig miteinander kommunizierende ältere Pärchen treffen. Denn "the beat goes on and on and on".
Für die Jüngeren brechen harte Zeiten an.
" Es ist nicht einfach, erwachsen zu werden in dieser Gesellschaft, in der die Erwachsenen so dominant sind und alles bestimmen, und über viele Jahre alles bestimmen werden. Und ich halte solche Phänomene wie dieses Alkoholverhalten oder die zunehmende Aggressivität für eine Reaktion darauf."