1984 wollte Wilson das Kulturprogramm der Olympischen Spiele in Los Angeles mit seinem mehrteiligen Bürgerkriegs-Bilderbogen bereichern, die damalige Kölner Inszenierung wurde sogar zum Berliner Theatertreffen eingeladen, aber dann drehte das IOC dem Ober-Guru den Geldhahn zu. Der letzte der damals verwirklichten Parts, der aus Rom, kehrt nun als deutsche Erstaufführung zu uns zurück, und an ihm kann man studieren, wie furchtbar alt, um nicht zu sagen senil die Postmoderne bereits geworden ist. Was damals, im Orwell-Jahr 84, mit seiner penetranten Langsamkeit und Sinnverweigerung ein provokanter Gegenpol zum politisierten Theater war, wirkt heute betulich und amateurhaft. Auch die Minimal-Musik, die der pure Bilderdenker Wilson für den Rom-Teil bei dem Kollegen Philip Glass bestellt hatte, hat heute im Theater etwas Altbackenes, für Esoterik-Freaks wie für intellektuelle Serialisten und Wiederholungssüchtige ein gleichermaßen gemütlicher Klangteppich.
Warum muss man derlei mit einem Sinfonie-Orchester darbieten, warum tut’s nicht ein Computer? Weil man a. Musiker, vor allem Streicher, gern mit den Glass-schen Arpeggien quält, und weil b. so ein Orchesterklang natürlich immer was hermacht. Die Akustik in der Freiburger Stadthalle ist schauderhaft, rhythmisch kommen Chor und Orchester des Theaters Freiburg bisweilen durcheinander, aber Karen Kamensek dirigiert so engagiert, das diese mit stets nur leicht abgewandelten Patterns dahinströmende Musik tatsächlich im Fluss bleibt:
Über diesem rhythmischen, gleichförmigen Unterbau erheben sich dann wunderbar lyrische Passagen, Tenor-Partien für Lincoln und Garibaldi, ariose Sopran-Teile für die Erdenmutter Gaia und die Schnee-Eule, mythische Gestalten, die den reichlich verquasten Text als Geschichts- und Bildungszitate aufpeppen sollen.
Die Inszenierung stammt vom Freiburger "Aktionstheater PAN.OPTIKUM", also von vielen Köchen, die mit Video-Installationen, Artistik und Publikumsbeteiligung beeindrucken wollen: jeweils zwei Zuschauerreihen sitzen wie Boat-People auf Paletten, die immer wieder an andere Stellen der Halle gefahren werden. Das heißt, der Zuschauer wird bewegt, aber er wird auch verschoben. Erzählt wird nichts. Flüchtlinge, also der Chor, taumeln im Regenmantel wie seekrank neben uns her, mittelalterliche Ritter tauchen auf, es könnte aber auch die heiligen drei Könige sein. Die Sänger stehen in einem Gerüst wie auf einem Schiffsdeck, auf das die Aufnahmen historischer Personen projiziert werden, Bilder im Goldrahmen, die im Weltenraum entschwinden. Robert Lee, der im Sezessionskrieg unterlegene General der Südstaaten, zappelt wie ein Käfer am Seil zwischen Decke und Hallenboden. Mary Lincoln, des ermordeten Lincoln Gattin, erzählt allerlei moralischen Nonsense. Was das soll? Man frage nicht nach dem Sinn, schon die Frage ist verwerflich. Meine These: Philip Glass ist ein minimalistischer Operettenkönig, der Johann Strauß der Postmoderne. Und Bob Wilson ist ein Märchenerzähler im Comic-Format, ein Beliebigkeits-Formalist. Jetzt sind die beiden auch in Freiburg angekommen, mit leichter Verspätung. Da kann Intendantin Amélie Niermeyer sich wieder schwer progressiv fühlen.