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"The Counselor"
Eine antike Tragödie in Texas

In seinem neuen Film "The Counselor" fährt Altmeister Ridley Scott Starbesetzung auf. In den Hauptrollen spielen Michael Fassbender, Javier Bardem, Penelopé Cruz, Brad Pitt und Cameron Diaz. Das Genre: ein düsterer Drogen-Thriller, zumindest auf den ersten Blick.

Von Hartwig Tegeler | 27.11.2013
    "Was glaubst du, wohin das führt, mi capitan?" - "Es führt dahin, wohin es führt."
    Fatalismus. Ja, mindestens! Und bitte, erwarten Sie bitte nicht, dass ich jetzt die Handlung von "The Counselor" Schritt für Schritt wie üblich nacherzähle. Um das zu schaffen, bräuchten wir bis heute Abend. Aber zumindest versichere ich, dass Ridley Scotts Film aufregender ist als jeder Drogen-Thriller à la "Savages" von Oliver Stone. Am Anfang von Cormac McCarthys Originaldrehbuch und Ridley Scotts grandioser Adaption jagt ein Gepard einen Hasen. Vollendete Ästhetik, Eleganz, die Gnadenlosigkeit der Jagd. Und dazu dieser Satz:
    "Die Wahrheit hat keine Temperatur …"
    ausgesprochen von dieser Frau, die das dunkle, böse Zentrum des Films sein wird.
    "Die Wahrheit hat keine Temperatur."
    Temperatur hin, Temperatur her: Im literarischen Kosmos von Cormac McCarthy und jetzt im Film "The Counselor" gibt es nur das Unabwendbare. Dagegen ist die McCarthy-Verfilmung "No Country for Old Men" von den Gebrüdern Coen geradezu leicht konsumierbarer Mainstream.
    "Gier bringt einem dem Abgrund sehr nahe, oder?"
    Einladende Ingredienzien für eine Höllenfahrt
    "The Counselor" - das ist ein Anwalt ohne Namen aus Texas. Wo sich die Gewalt der Gegenwart mit der historischen verbindet, die im Boden abgelagert scheint. Texas, das ist natürlich auch die Nähe zu Mexiko. Drogen, Kartelle - einladende Ingredienzien für eine Höllenfahrt und für eine Geschichte mit einer infernalischen Fallhöhe.
    "Die Gier bringt einem dem Abgrund nicht nahe, der Abgrund ist die Gier."
    Der "Counselor" also - Michael Fassbender - ist finanziell etwas klamm, auch wenn er das Gegenteil behauptet:
    "Ich habe ein bisschen Geld." - "Das glaube ich nicht. Wenn Sie ein bisschen Geld hätten, würden Sie hier nicht drinstecken."
    Doch der Anwalt ist vor allem gierig. "The Counselor" handelt vom gefährlichen Dämon der Gier in einer gewalttätigen Welt …
    "Sie stecken in Schwierigkeiten."
    … in der die Folgen eigener Handlungen nicht mehr zu kontrollieren ist. Schicksal - so nannten die alten Griechen das in ihren Tragödien.
    "Was wollen Sie jetzt machen?" - "Keine Ahnung." - "Und Sie?" - "Keine Ahnung."
    Koks und 20 Millionen
    Nun, ja, die Handlung im Film, wie gesagt, das ist so eine Sache. "The Counselor" - Drogenthriller - Drogendeal - 20 Millionen - ein paar Hundert Kilo Koks im Lastwagen - dem mexikanischen Kartell geklaut. Wie? Uninteressant! Doch die Finger drin haben dabei: der Nachtklubbesitzer - Javier Bardem spielt ihn -, seine zwielichtige Geliebte - Cameron Diaz -, die sich mit dem Satz:
    "Die Wahrheit hat keine Temperatur …"
    ... eingeführt hatte. Dann ein merkwürdiger Geschäftsfreund mit Cowboy-Hut - Brad Pitt -, und eben der Counselor, der beunruhigend ahnungslos hinzukommt zu diesem Deal.
    "Ich kann Ihnen nichts raten, Counselor." - "Das war mir schon Rat genug." - "Sie müssen selbst wissen, ob Sie mitmachen. Denn ich weiß es nicht."
    Autor Cormac McCarthy und Regisseur Ridley Scott bedienen in "The Counselor" Konventionen eines Drogenthrillers. Also etwa das, was wir in zigfacher Wiederholung, in Klischees und Stereotypen aus dem Kino kennen, hier aber partout eben dann doch nicht kriegen, auch, wenn es am Anfang so zu sein scheint. Wirklich spannend wird der Film, aber auch irritierend, wenn die Puzzlesteine der Handlung anfangen, gegeneinander zu driften, und wir plötzlich in einen ganz anderen Film geworfen sind.
    "Keine Chance, jetzt ist es zu später. Zu spät!" - "Was soll ich jetzt tun?" - "Keine Ahnung."
    Existenzielle Gnadenlosigkeit
    Noch mal neu also. "The Counselor", die Geschichte eines Mannes, den seine Gier zu etwas getrieben hat, über das er keinen Hauch von Kontrolle hat. Das Schicksal des Anwalts - und seiner Kumpane - vollzieht sich nun …
    "Die Wahrheit hat keine Temperatur."
    … unabwendbar. Den Film "The Counselor" umweht eine Aura von existenzieller Gnadenlosigkeit, und so wird der Film zu einer Tragödie, die an die alten Griechen - Sophokles, Aischylos - oder die Dramen Shakespeares erinnert. Ziemlich weit weg von Hollywood. Hier geht es um Schuld und Sühne, Charakter und Schicksal, es geht um den Menschen und unhinterfragbare Mächte, denen der Mensch, hier der Anwalt, nichts mehr entgegenzusetzen hat. Die Grundthemen der antiken Tragödie.
    "Was wollen Sie jetzt machen?" - "Keine Ahnung."
    "The Counselor" ist ein Film, in dem am Ende der Mantel des Genres Drogen-Thriller förmlich weggebrannt ist. Am Ende ist ein Mensch zu sehen, der gierig war, Schuld auf sich lud, ohne - wie Ödipus - zu ahnen, dass er etwas auf sich lud. Nun aber ist er seinem Schicksal überlassen, das für ihn - das ist das Perfide - für ihn gerade nicht den Tod bedeutet, aber für andere. Ein Mensch also rein, verzweifelt, entblößt, zurückgelassen in seiner puren Existenz. Der Hölle. Michael Fassbender jedenfalls, der den Anwalt in "The Counselor" spielt, kann einem angst und bange machen, dass und wie er so etwas so darstellt. - Kennen Sie das Gefühl, dass man sich für abgebrüht hält und dann, sich dann tagelang von einem Film erholen muss. Voilá. Das ist so einer.