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The Flying Circus
Zu Besuch im Zirkus

1968 gilt als Jahr der Veränderung, des Aufbruchs, der Revolutionen und Umstürze. Die nordrhein-westfälische Prog-Hardrock-Band Flying Circus hat darüber ein Konzeptalbum geschrieben: Die Songs sind nach Städten benannt, in denen prägende Ereignisse stattfanden.

Von Fabian Elsäßer |
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    Die Band Flying Circus: Rüdiger Blömer, Ande Roderigeo, Michael Dorp, Roger Weitz und Michael Rick (v.l.) (Rainer Leigraf)
    Musik: "Berlin"
    Derry, Prag, Paris, Memphis, My Lai. Jeder Song auf dem Flying Circus-Album "1968" trägt den Namen einer Stadt. Was das mit 1968 zu tun hat?
    Michael Dorp: "Es ist so, dass egal ob jetzt Texte vorhanden sind oder auch Instrumentals, was bei zwei Songs der Fall ist, die Geschehnisse in den Städten 1968 das Thema des jeweiligen Stücks sind. Memphis zum Beispiel war der Ort, wo Martin Luther King erschossen wurde, und dieses Ereignis haben wir versucht, in Songform zu gießen. Das gleiche mit dem Attentat auf Andy Warhol in New York. Paris ist ein eher allgemeines Stück über die Studentenunruhen im Jahr 1968 in dieser Stadt."
    Erklärt Sänger und Texter Michael Dorp. Er ist der jüngste Musiker bei Flying Circus, Bassist Roger Weitz der älteste. Sie beide haben ihren ganz eigenen Zugang zu diesem Jahr, das in der Rückschau als eines der prägenden Revolutionsjahre des 20. Jahrhunderts gesehen wird. Bei Roger Weitz ist er tatsächlich autobiographisch, denn damals war er Teenager.
    Roger Weitz: "Ich war zu der Zeit damit beschäftigt, mich von zuhause zu lösen, aus dem Dorf irgendwie rauszukommen. Wo einem die Leute hinterherriefen. Die langen Haare müssen abgeschnitten werden, Jesus! Erst später ist die politische Dimension dazugekommen, auch bei uns. Wir haben mit Freunden dann später in WGs gewohnt, die natürlich alle aus dieser 68er Bewegung sich irgendwie gespeist haben. Und da wurds dann auch sehr politisch, zum Teil auch ein bisschen blöd. Also, die Polizei war dann auch schon mal da und hat nachgeguckt, ob auch alles in Ordnung ist, keine Waffen versteckt waren und so was."
    Dorp: "1968 ist mein Geburtsjahr. Und dementsprechend hat mich eigentlich immer interessiert, als ich relativ früh dann schon mitbekam, dass das Jahr immer wieder medial aufbereitet wurde und ein Thema ist, was genau da in dem Jahr alles so passiert ist."
    Musik: "Memphis"
    Konzeptalben waren in der Geschichte der Rockmusik schon immer ein Wagnis. Und in einer Zeit, in der das Album-Konzept durch den digitalen Verkauf einzelner Songs und die Playlisten der Streamingdienste an sich in Frage gestellt wird, wirkt ein Konzeptalbum noch gewagter.
    Weitz: "Du hast ne Geschichte und kannst die einfach musikalisch ausbauen, Ideen dazu entwickeln konkreter Art halt. Das macht tierisch Spaß!"
    Zumal "Flying Circus" mit 1968 ja kein fiktives Einzelschicksal schildern wie Pink Floyd es in "The Wall" taten oder Literatur adaptieren wie Rick Wakeman mit "Journey to the centre of the earth", sondern handfeste historische Fakten vertonen.
    Musik: "Mi Lay"
    Sänger und Texter Michael Dorp gelingt es, diese Ereignisse in teilnehmender Beobachtung zu erzählen. Das Massaker von My Lai an Zivilisten im Vietnamkrieg schildert er aus der Perspektive des Hubschrauberpiloten, der die Kriegsverbrechen anschließend meldete. Manchmal überlässt er die Erzählung auch einfach seinen Mitmusikern wie im Instrumental Derry, das an die Unruhen in Nordirland erinnert.
    Musik: "Derry"
    Die Mitglieder von Flying Circus sind allesamt Profis mit jahrzehntelanger Erfahrung. Sänger Michael Dorp und Schlagzeuger Ande Roderigo arbeiten beispielsweise erfolgreich in Cover- und Tribute-Projekten, Keyboarder und Elektro-Geiger Rüdiger Blom ist ausgebildeter Komponist und im Bereich der Neuen Musik tätig. Während Dorp ganz klar ein Faible für die Hardrock-Shouter der 70er Jahre hat, was man seinem bei Bedarf messerscharfen Gesang auch deutlich anhört, schätzen gleich drei seiner Kollegen Kunstrock der kompliziertesten Sorte.
    "Bei mir sinds Gentle Giant und Mahavishnu Orchestra. - Jaaaa, Gentle Giant bin ich dabei. - King Crimson. Die frühen Genesis und Yes!"
    Bei diesem Hintergrund darf man neben klanglicher Kraft auf Ausgefeiltheit und Vertracktheit hoffen. Und wird nicht enttäuscht.
    Musik: "Prag"
    Da überrascht es beim ersten Hördurchgang, dass der Eröffnungssong "Paris" mit einem simplen, fast schon stampfenden Vier-Viertel-Takt beginnt, dessen Schlichtheit durch die zischende, halbgeöffnete Hi-Hat noch verstärkt wird. Doch auch das ist ein dramaturgischer Kniff, wie Schlagzeuger Ande Roderigo erklärt:
    Roderigo: "Das hängt natürlich einfach auch mit dem Bild der marschierenden Studenten zusammen. Das spiegelt son bisschen wider diese latente aggressive Stimmung, die sich dann irgendwann breitgemacht hat, als die Polizei da sehr massiv vorgegangen ist. Es gibt dann ja einen sehr offenen Teil in dem Stück….."
    Musik: "Paris"
    Ande: "Wo man sich womöglich auch Prügelszenen vorstellen kann und wie versucht wird, so ne Demo aufzulösen. Und dann wird weitermarschiert. Das braucht einfach eine gewisse Monotonie und Aggressivität."
    Rüdiger Blom: "Wobei ich das Bild auch abstrahieren möchte. Es geht um die Energie, die in der Zeit offenbar da war, und der besagte nennen wir es freie Teil diese Desorientierung für mich auch widerspiegelt, die in der Welt war."
    Flying Circus wurden Anfang der 90er Jahre in Grevenbroich gegründet und haben seitdem sieben Alben aufgenommen. 1968 bezeichnen die fünf Musiker selbst als ihr radikalstes.
    Blom: "Es ist für uns radikal, weil wir in diesem Album doch die Songstruktur recht aufgelöst haben. Wenn, dann sie bewusst zitieren, um sie dann wieder zu verlassen. Mit gewagten harmonischen Wendungen und rhythmischen Strukturen. Das ist uns bei dem Album besonders gelungen, finde ich."
    Flying Circus zeigen mit "1968", was Musiker erreichen können, wenn sie mit Hingabe und Handwerk eine klar formulierte Idee verfolgen. Auch wenn man damit 51 Jahre nach der Revolution leider kein Massenpublikum mehr erreicht. Es ist eine Brillanz, die im Verborgenen blüht.
    Musik: "We’re marching, we‘re marching"