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"The Grand Promenade"

Das Griechische Museum Zeitgenössischer Kunst ist ein Museum, das es genau genommen noch gar nicht gibt. Als Organisation besteht es zwar schon seit mehreren Jahren, und es hat bereits begonnen, eine Sammlung aufzubauen, doch in Athen, wo es angesiedelt ist, wird man es umsonst suchen. Die Fertigstellung des eigenen Hauses, einer umgebauten Brauerei, wird noch zwei Jahre dauern. Dennoch ist das EMST, wie es heißt, im Athener Kunstbetrieb sehr präsent – seine Ausstellungen richtet es in angemieteten Räumen aus. Diesmal hat es aus der Not eine Tugend gemacht und präsentiert die Ausstellung im öffentlichen Raum. Titel: Die große Promenade.

Von Alkyone Karamanolis | 18.07.2006
    Die Idee ist so nahe liegend, dass man sich wundert, warum sie nicht schon lange realisiert wurde: eine Ausstellung, die die Topographie des antiken Athen mit der zeitgenössischen Kunstproduktion zusammen bringt. Für das Griechische Museum Zeitgenössischer Kunst wiederum ist diese Ausstellung bezeichnend, denn die letzten Jahre mischt es den Athener Kunstbetrieb kräftig auf. Für die Malerin und Bildhauerin Vana Xenou, die an der Ausstellung teilnimmt, ein notwendiger Akt.

    "Diese Ausstellung hier zum Beispiel ist für uns sehr, sehr wichtig. Denn sie bringt die griechische mit der internationalen Kunstszene zusammen, und wir brauchen diesen Dialog dringend! Denn sicher, wir sind an der Peripherie der europäischen Kunstproduktion – und werden es auch noch lange bleiben."

    Die Ausstellung will erwandert werden. Der Titel, "Die Große Promenade", bezieht sich auf den wichtigsten stadtplanerischen Eingriff der letzten Jahrzehnte in Athen. Ein breiter, von Olivenbäumen, Pinien und Zedern gesäumter Fußweg, der die archäologischen Stätten von den Säulen des Olympischen Zeus bis zum antiken Friedhof Kerameikos miteinander vereint. Etwa die Hälfte der rund 80 Arbeiten ist für Athen entstanden, und es ist beeindruckend, wie sensibel sie auf den Ort reagieren.

    Christian Boltanski zum Beispiel überrascht mit einem lichten Werk in einem neoklassizistischen Bau am Rand der Promenade. Vor offenen Fenstern wehen weiße Vorhänge im Wind, darauf aufgedruckt ist das Portrait einer Frau in unterschiedlichen Altersstufen. Begleitet wird dieser physische Eindruck von der Zeitansage, die über Lautsprecher zu hören ist. Und obwohl die Zeit unaufhaltsam vorrückt, dem Tod entgegen, entsteht hier ein Raum der Zeitlosigkeit, ein Raum der Leichtigkeit.

    "Mein erster Eindruck an diesem Ort war, es wäre unverzeihlich, einen so schönen und lichtdurchfluteten Raum zu verschließen und zu verdunkeln. Also habe ich mich entschieden, mit dem Licht zu arbeiten, der Sonne, dem Wind. Und auch mit dem Umfeld. Wir sind hier genau neben dem Friedhof Kerameikos, und andererseits: wenn der Wind die Vorhänge hebt, kommt die Akropolis zum Vorschein."

    In der Ausstellung wird aber auch der städtische Raum selbst Verhandlungsmasse, in Diskussionen und Performances. Nicht unbrisant, wo doch im Großraum Athen täglich die Interessen von gut 4 Millionen Einwohnern kollidieren. Der kritische Dialog, den die Ausstellung dabei eröffnet, ist erfrischend, denn der öffentliche Diskurs in Griechenland tendiert dazu, Probleme eher zu verschleiern als zu benennen.

    Die Direktorin des EMST, Anna Kafetsi, hat die Ausstellung mit der ihr eigenen Sensibilität kuratiert. Einen Schicksalsgenossen hat sie in Khalil Rabah gefunden. Auch er ist - wie sie - ein Nomade, unterwegs mit seinem Museum, dem Naturhistorischen Museum von Palästina, wie er es nennt. Ein subversiver Gestus, ist es doch das Museum für einen Staat ohne Staatsgebiet. Diesmal allerdings errichtet Rabah seiner so genannten "ständigen Sammlung" zum ersten Mal ein Gebäude. Von dessen Fenster aus ist der Parthenon zu erkennen.

    "Meine Arbeit wird immer als politisch interpretiert, weil ich Palästinenser bin. Aber das wirklich politische bei dieser Ausstellung ist für mich der Kontext der Antike. Die Herausforderung ist für mich, einen Dialog mit unserer Geschichte herzustellen, und zwar mithilfe der zeitgenössischen Kunst. Denn nur dieser Dialog kann Antworten auf schwierige Fragen der Gegenwart liefern – da, wo die Politik immer versagt!"

    Wie Geschichte zur Falle werden kann, zur ewigen Wiederkehr desselben, wenn wir sie eben nicht neu und kritisch lesen, wird am Werk von Fouad Elkoury deutlich. Der libanesische Fotokünstler hat für die Ausstellung in Athen zwei Bilderserien ausgewählt, die die Invasion Israels in den Libanon 1982 zum Thema haben. Elkoury hätte bei der Eröffnung der Ausstellung anwesend sein sollen. Wegen der jüngsten Luftangriffe Israels auf den Libanon musste er seine Reise absagen.