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"The Head and the Load" bei der Ruhrtriennale
Kolonialismus und Kaiserwalzer

Der südafrikanische Künstler William Kentridge hat die Ruhrtriennale in Duisburg mit einem Bühnenstück über die Kolonialmächte im Ersten Weltkrieg eröffnet und damit ein gelungenes Requiem über das Leiden der schwarzen Bevölkerung präsentiert.

Von Ulrike Gondorf | 10.08.2018
    Das Foto zeigt das Musiktheaterstück "The Head and the Load" unter der Regie von W. Kentridge bei der Ruhrtriennale.
    Das Foto zeigt das Musiktheaterstück "The Head and the Load" unter der Regie von W. Kentridge bei der Ruhrtriennale. (dpa-Bildfunk / Caroline Seidel)
    Die Rhythmen, die Stimmen, die Geräusche mischen sich in einem unendlichen Strom, ebenso wie die Bilder. Flach und extrem breit zieht sich die Bühne durch die Kraftzentrale eines ehemaligen Stahlwerks. Darauf lässt William Kentridge in einer endlosen Bewegung Menschen und Dinge an den Zuschauern vorüberziehen. Im Vordergrund die lebendigen Akteure, manche in historischen Uniformen, manche in buntbedruckten Stoffen mit fantasievollen Kopfbedeckungen – wie man sich typischen Afrikaner eben vorstellt.
    Auf die Rückwand hinter dieser Spielfläche projiziert der Künstler dazu riesengroß die Schattenbilder dieser Figuren, dahinter liegt eine weitere visuelle Ebene: Landkarten, Statistiken, Namenslisten, Ausschnitte aus historischem Filmmaterial und immer wieder Kohlezeichnungen im unverwechselbaren Stil von William Kentridge: Bäume, Landschaften, Tiere, die Afrika evozieren, plötzlich verschluckt von Explosionen schwarzer Farbe.
    Geschichte vom Siegen und Leiden
    "The Head and the Load" erzählt vom Ersten Weltkrieg in Afrika, von den Leiden und Opfern der Menschen, die die europäischen Kolonialherren in ihren Konflikt hineinzogen ohne Rücksicht auf Verluste. In menschenverachtendem Drill werden sie abgerichtet. Schiffe und Flugzeuge, in Tausende Einzelteile zerlegt, müssen sie über Berge und durch Wüsten tragen. Hunderttausende sterben an Seuchen und Entkräftung. Mitten im Krieg beginnen schwarze Aktivisten aber auch die Frage zu stellen, was denn nach dem Sieg ihr Anteil sein würde; etwa Freiheit und Gleichberechtigung?
    Diese Geschichte, die William Kentridge zu großen Teilen erst entdeckt und recherchiert hat, muss erzählt werden. Für die Opfer und für die Täter, keine Frage. Es ist an diesem überbordenden Abend nur nicht immer leicht, einen Zugang zu ihr zu finden. Was auf den vielen Ebenen dieser multimedialen Bühneninstallation geschieht, mit Musik, Tanz und Schauspiel und den vielschichtigen Projektionen kann man unmöglich erfassen. Fragen werden immer wieder verschüttet unter der Wucht der Bilder. Die kleinen Menschen und die großen Schatten exerzieren bis zur Erschöpfung, Drill und Geschrei mischen sich mit der europäischen Unterhaltungsmusik der Zeit: vom Kaiserwalzer bis zum französischen Chanson. Langsam taucht eine afrikanische Melodie auf, von einer einsamen Stimme gesungen, auf der Laute gezupft. Da wird schon eine Performerin auf einem Rollwagen über die Bühne gezogen und deklamiert lautstark die Ursonate von Kurt Schwitters.
    Was bleibt, sind Sterbelisten der Opfer
    Überforderung ist das Prinzip, Krieg ist Chaos und Gewalt und das Schöne geht zuerst unter – diese Botschaft bleibt. Was man vermisst, ist die Gestaltung dieser dichten Folge von Assoziationen zu einer zwingenden Form. Aber wenn man auch nicht immer weiß, was eine Szene erzählt – wie sie erzählt wird, ist immer faszinierend. An die 40 Mitwirkende sind auf der Bühne, Schauspieler, Sänger und Sängerinnen, Tänzer und Tänzerinnen. Kraftvoll, exzellent, präzise und hoch konzentriert agieren sie alle; ebenso wie die Musiker des New Yorker Kammerorchesters The Knights, die sich mit ihren Instrumenten und ohne Noten einreihen in die große Prozession der Bilder und Klänge.
    Die besten Momente des Abends sind die einfachen, stillen. Da schickt Kentridge zwei Performer über die endlos breite Bühne und lässt sie salutieren. Hunderte Mal, wie in einer Zeitschleife. Und einer der beiden sinkt die ganze Zeit erschöpft in sich zusammen, unmerklich zuerst, schließlich liegt er fast am Boden, sein Kamerad fängt ihn auf, stützt ihn und führt ihm wieder die Hand an die Stirn, wie einem Automaten, den man einschalten muss. Das ist der Wahnsinn des Krieges, dem ist nichts mehr hinzuzufügen außer den endlosen Sterbelisten der Opfer, die hier vielleicht zum ersten Mal Beachtung finden. "The Head and the Load" ist auch ein Requiem.