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"The Scottsboro Boys"

1931 kam es in den USA zu einem Justizskandal, als neun junge Schwarze irrtümlich der Vergewaltigung zweier weißer Frauen beschuldigt wurden. "The Scottsboro Boys" von John Kander und Fred Ebb bringt die Geschichte in Form eines Musicals in New York auf die Bühne.

Von Andreas Robertz |
    Der Komponist John Kander und der Librettist Fred Ebb haben zusammen einige der berühmtesten und erfolgreichsten Musicals geschrieben, die je am Broadway gelaufen sind, unter ihnen "Cabaret" und "Chicago". Sie machten Soloshows für Liza Minelli und Chita Rivera und erschufen jenen "New York"-Song, der Frank Sinatra so berühmt machen sollte. Ihre Musicalerfolge rührten oft daher, dass sie populäre musikalische Stile wie den des amerikanischen Vaudeville oder den des Berliner Revuetheaters der 20er-Jahre mit ernsten Themen wie Faschismus, Korruption und Ungerechtigkeit verbanden. Dabei nutzten sie in Brecht/Weillscher Manier das Stück-im-Stück-Prinzip, um ihre Geschichten zu erzählen. Die bösen und ironischen Texte Fred Ebbs trieben die Produktionen oft in Richtung der politischen Satire.

    Fred Ebb starb 2004. Bis zuletzt arbeiteten die beiden Künstler zusammen, unter anderem am Musical "The Scottsboro Boys" nach dem Buch von David Thompson, das jetzt, sechs Jahre später, am Vineyard Theatre am Union Square uraufgeführt wurde. Und wieder ist es die gewohnte Mischung aus populärer Musik und tragischer Geschichte, die das Stück so interessant macht, Publikum wie Presse aber durchaus zwiegespalten zurücklässt.

    "The Scottsboro Boys" greift ein dunkles Kapitel amerikanischer Rassengeschichte auf: die wahre Geschichte von neun jungen schwarzen Männern, die im Alabama der frühen 30er-Jahre fälschlicherweise der Vergewaltigung von zwei weißen Frauen beschuldigt wurden und trotz erwiesener Unschuld jahrelang im Zuchthaus verbringen mussten. Auf fast leerer Bühne mit nur zehn Stühlen erzählt das Ensemble aus neun Afroamerikanern, einer mysteriösen farbigen Frau und einem einzigen weißen Charakter diese Geschichte in der Form einer Minstrel Show. Diese im 19. Jahrhundert äußerst beliebten Shows wurden ursprünglich von weißen Unterhaltungsmusikern aufgeführt, die ihre Gesichter schwarz färbten, um auf rassistische Weise das vermeintliche Leben der Afroamerikaner zu karikieren. Später ließen sich zunehmend schwarze Musiker engagieren, die im so genannten "Blackface" auftraten. Das Blackface gilt heute noch für Viele in den Staaten als Symbol der Diskriminierung. In "The Scottsboro Boys" karikieren nun schwarze Männer diverse weiße Figuren, wie Polizisten, Gefängniswärter und jüdische Anwälte. Sie tanzen makabre Stepdancenummern um einen elektrischen Stuhl herum oder singen eine Südstaatenballade a capella über das schöne Alabama mit Bäumen voll erhängter Schwarzer.

    Zum Schluss verweigern sie dem weißen Zeremonienmeister den Dienst und schminken sich ihr Blackface, das sie zur letzten großen Nummer aufgetragen haben, auf offener Bühne ab. Doch trotz allem Entertainment steht die Ungerechtigkeit der Geschichte und das Schicksal der schwarzen Jungs im Vordergrund, vor allem des Helden Haywood Patterson, der sich bis zum Schluss nicht schuldig bekennen will, auch wenn er dann vom Gouverneur begnadigt werden könnte. Er stirbt nach 22 Jahren Haft im Gefängnis. Er schreibt ein Buch darüber und gibt es der Frau, die stumm das ganze Geschehen begleitet hat. Die Szenerie verwandelt sich in einen Autobus und aus der Frau wird Rosa Parks, die auf die Aufforderung des Busfahrers hin, ihren Platz für Weiße freizumachen, mit dem berühmten Satz antwortete "I will stay here and rest my feed" – ich bleibe hier und ruhe meine Füße aus -, und damit das Civil Rights Movement in Amerika auslöste.

    Die Aufnahme des Stückes ist sehr unterschiedlich: Der New York Times scheint die Geschichte viel zu nah und schmerzhaft, als dass man daraus ein Musical machen könnte. Zudem trage die Inszenierung zu sehr die "grimmige Maske der Anschuldigung" Die übrige New Yorker Presse jubelt über die gelungene Mischung und das längst fällige Thema. Dass ein Musical wie "The Scottsboro Boys" ausverkauft ist, ist sicher auch dem berühmten Komponisten und seinem Librettisten zu verdanken. Dass es von kommerziellen Produzenten für die nächste Saison an den Broadway geholt wird, liegt vor allem an der neuen gesellschaftlichen Offenheit dem Thema Rassismus gegenüber.