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The Street Lawyer

John Grisham:

Denis Scheck | 01.01.1980
    Der Partner Aus dem Amerikanischen von Christel Wiemken Hoffmann & Campe, 511 Seiten Preis: 48 Mark

    The Street Lawyer Doubleday, 348 Seiten Preis: $ 27.95 Probekapitel unter: http://www.jgrisham.com

    Schuhverkäufer, Postzusteller, Rechtsanwälte - auf der nach unten offenen Sozialprestige-Skala der USA bilden Juristen das Schlußlicht. Ihre Habgier, ihr Opportunismus sind Gegenstand zahlloser Witze. Kein Deal, kein Schwindel, keine Infamie, den man den Absolventen der "law schools" nicht zutraute.

    In der Welt amerikanischer Juristen spielen alle Romane John Grishams. Sie tragen Titel wie "Die Firma", "Das Urteil" oder auch die "Die Akte". Daß die unfreiwilligen Unbeholfenenheiten der deutschen Übersetzungen Grishams Romanen ein humoristisches Element verleihen, machen zwei andere Titel deutlich: "Die Jury", ein Roman, der ja eigentlich "Die Geschworenen" heißen müßte, oder "Der Klient" - hinter dem sich "Der Mandant" verbirgt. Doch keine Angst, selbst die schludrigste Übersetzung vermag nicht, Grishams Bestsellern aus der Retorte an die Substanz zu gehen. Und dies aus dem einfachen Grund, daß diese Substanz nicht innerhalb, sondern außerhalb der Bücher liegt - will sagen; nicht in Grishams Fiktion, sondern in der amerikanischen Realität.

    "Der Partner" erzählt die gleiche Geschichte, die Grisham schon in sieben anderen Büchern abgespult hat. Diesmal geht es um einen Karriereanwalt namens Patrick Lanigan, der in seiner Kanzlei neunzig Millionen Dollar veruntreut, seinen eigenen Tod inszeniert und spurlos verschwindet. Nach vier Jahren wird Lanigan schließlich in Brasilien aufgespürt und zurück nach Mississippi expediert, wo ihm der Prozeß gemacht werden soll. Am Ende erweist sich der vermeintliche Verbrecher als Ehrenmann, seine ehemaligen Partner als korrupte Kriminelle.

    Grishams Plot ist spannend und vor allem schnell, sehr schnell. Verzeihlich, daß die Scharniere der Handlung mitunter gewaltig knirschen und seine Figuren so eindimensional wie das Personal aus James-Bond-Filmen bleiben. Es schadet dem Roman nicht. Als Entertainer kann Grisham ohnehin nicht mit seinen Kollegen Michael Crichton oder Stephen King konkurrieren. Daß seine Romane mit Auflagen von über drei Millionen dennoch zu den meistverkauften in den USA gehören, liegt einzig und allein an ihrem Stoff: der amerikanischen Justiz.

    Grishams Erfolg speist sich gleichermaßen aus dem Ressentiment und der Faszination, mit der die USA den Gerichtssaal als Spiegel ihrer Gesellschaft entdecken - einer Gesellschaft, in der Gemeinsinn immer mehr schlichtem Eigennutz weicht.

    Während das europäische Klischee den Juristen als willfährigen Büttel der Obrigkeit in die Nähe der Staatsmacht rückt, ist das amerikanische Zerrbild vom Anwalt der "ambulance chaser". Ursprünglich verstand man darunter Rechtsanwälte, die Krankenwagen bis in die Notaufnahme folgten, um sich dort von den Unfallopfern eine Vertretungsvollmacht ausstellen zu lassen. Mit absurd hoch veranschlagten Schadensersatzforderungen köderten diese Söldner mit Staatsexamen noch in der Klinik ihre Mandanten.

    Wenn auf jedem in den USA verkauften Streichholzbriefchen der Hinweis prangt, daß Feuer nicht in Kinderhände gehört, wenn Gebrauchsanweisungen von Mikrowellengeräten die Warnung enthalten, diese eigneten sich nicht zum Trocknen frisch gebadeter Haustiere, so liegt dies an Multi-Millionen-Dollar-Prozessen, die "ambulance chaser" geführt und gewonnen haben.

    Doch nicht immer bleiben die Konsequenzen ihres Tuns so harmlos. Dazu gehören auch: in astronomische Höhen gestiegene Versicherungsprämien, überlastete Gerichte, vor allem aber die allmähliche Erosion einer Gesellschaft, in der man das von der Verfassung garantierte "Streben nach Glück" nur noch im Kampf Jeder-gegen-jeden des Gerichtssaals einlösen zu können glaubt.

    John Grisham hat selbst als Anwalt gearbeitet, ehe er sich nach dem Erfolg von "Die Firma" Anfang der 90er Jahre aufs Schreiben verlegte. Er ist ein Renegat - oder verkauft sich zumindest als vom Saulus zum Paulus gewandelter Jurist, der seinen ehemaligen Kollegen die Leviten liest.

    So auch in "The Street Lawyer", dem neunten Roman Grishams, soeben in den USA mit einer Startauflage von 2.8 Millionen Exemplaren erschienen. Grisham-Leser wird die Geschichte von "The Street Lawyer" bekannt vorkommen: wieder geht es um einen jungen Anwalt, wieder um betrügerische Machenschaften in einer renommierten Kanzlei, wieder um Juristen am Scheideweg zwischen Karrieredenken und sozialer Verantwortung.

    Auch wenn John Grisham immer die gleiche Geschichte abspult: so lange man sich in den USA noch Anwaltswitze erzählt, wird er sich um den Absatz seiner Romane keine Sorgen machen müssen.