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''The Talking Cure''

"The Talking Cure” - "Die Gesprächstherapie” - beginnt in Zürich 1904 und endet dort neun Jahre später, 1913. Zu Beginn interessiert sich Carl Gustav Jung, damals am Anfang seiner Laufbahn, für Freuds Therapie, die dem Stück den Titel gibt. Die Handlung setzt ein, als Jung, knapp dreißig, schon in der Leitung der Burghölzli-Klinik, sich entscheidet, eine neue Patientin mit der Freudschen Methode zu behandeln. Sabina Spielrein ist noch nicht einmal zwanzig, sie benimmt sich, um es milde auszudrücken, auffällig, und ist dankbar, in Jung einen Arzt zu finden, der sie nicht gleich als Irre stigmatisiert, sondern sie ernst nimmt, ihr einen wichtigen Part in der Rolle ihrer Genesung zuweist.

Aus London Ulrich Fischer. |
    Die Gesprächstherapie glückt, Sabina kann nach wenigen Wochen als geheilt entlassen werden - sie entschließt sich, Medizin zu studieren und wird später selbst Psychologin.

    Jung teilt Freud seinen Erfolg mit - und der ist höchst zufrieden, empfängt den jungen Kollegen und findet in ihm einen anregenden Gesprächspartner. Christopher Hampton deutet schon früh Friktionen im Verhältnis der beiden an: wenn Freud Jung anbietet, er solle sein geistiger Nachfolger werden, so liegt darin auch eine Versuchung: Freud will Jung auf seine Linie verpflichten. Doch der Jüngere ist kein kritikloser Adept, er sucht nach eigenen Wegen. Der Schluss zeigt einen typischen Vater-Sohn-Konflikt, Freud wendet alle Tricks an, Jung zu halten, doch es gelingt nicht.

    Diese Szenen sind die subtilsten von Hamptons Zweiakter. Er zeigt zwei scharfsinnige Männer, aber trotz aller Einfühlungsmöglichkeit, trotz aller analytischen Kraft können sie den Konflikt, den sie durchleben, nicht aufheben. "The Talking Cure”, die bei Sabina zur Heilung führte, versagt bei ihrem Erfinder und bei ihren Anwendern: die Konkurrenz ist stärker, sie setzt sich durch.

    Hier knüpft Hampton an, wenn er die Linien weiterzieht zu den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, der zur Feindschaft gesteigerte Konkurrenz, den Weltkriegen. Die These wirkt auf der Bühne wenig plausibel.

    Überzeugender ist die Abwägung von Stärken und Schwächen der Psychoanalyse. Jung beginnt mit Sabina Spielrein eine Affäre - eine Todsünde gegen die Gesetze, die das Verhältnis von Arzt und Patientin regeln. Jung hat Schwierigkeiten sich seine Verfehlungen einzugestehen, zumal sie Freuds Theorie von der überragenden Bedeutung der Sexualität, die Jung angreift, unterstützen.

    Diesen und andere innere Widersprüche arbeitet Howard Davies in seiner Uraufführungsinszenierung im Cottesloe, der Studiobühne des Royal National Theatres, sorgfältig heraus. Die Pressnight, die Vorstellung für die Kritiker, musste von Donnerstag auf Freitag verschoben werden, weil der Darsteller von Sigmund Freud, James Hazeldine, erkrankt war; seine Rolle wurde in der Voraufführung, die ich sah, gelesen - dennoch war die Inszenierungsabsicht deutlich erkennbar: der Regisseur unterstützt den Ernst, mit dem der Dramatiker dem Streit Freuds und Jungs nachspürt. Das ist auch anders denkbar. Hans Meyer Hörstgen hat in seinem Stück "Der König von Wien” den gleichen Konflikt als Farce gestaltet. Meyer Hörstgen betont den grotesken Widersinn des Streits, Christopher Hampton will auch den Errungenschaften der Psychoanalyse gerecht werden. Hier liegt die Stärke seines Zweiakters - überragend ist ihm die Rolle Sabinas gelungen. Die Szenen, in denen sie versucht, sich an die verdrängten Erlebnisse um die Demütigungen, die sie in der Familie erlitten hat, zu erinnern, sind Herausforderungen für junge Schauspielerinnen. Die Rolle verlangt eine ebenso einfühlsame wie virtuose Gratwanderung zwischen Exaltation und Dezenz.

    Eine kluge, einfühlsame Analyse, eine übersichtliche Fabelkonstruktion, tolle Rollen. Hoffentlich wird "The Talking Cure” auch bald auf deutsch gespielt.

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