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"The Wall and the Checkpoints"

Umringt von Wällen und Checkpoints leben die Palästinenser unter Besatzung. Viele von ihnen sind seit vielen Jahrzehnten in alle Himmelsrichtungen verstreut, doch der Traum von der Rückkehr bleibt. Sechs palästinensische Künstlerinnen und Künstler haben mit Hilfe von Photographien und Dokumentarfilme dargestellt, was es heißt, permanent im Ausnahmezustand zu leben.

Von Susanne El Khafif |
    Eine Stadt im normalen Ausnahmezustand: Männer, die eine Wasserpfeife rauchen, eine alte Frau, die vor sich hinstarrt, Kinder, die mit einem Gewehr spielen, plötzlich Schüsse. Und israelische Kampfhubschrauber ... Zwanzig Minuten Alltag, Alltag aus den besetzten Gebieten, ein Dokumentarfilm von Raschid Maschharawi.

    Dann Photos. Photos von Frauen und Kindern. Wie sie versuchen, im Schatten der Mauer, im Schatten des Grenzwalls zu überleben. Moment-Aufnahmen der erst 27-jährigen Dana Erekat.

    Und dann: Der Grenzwall selbst, im Morgengrauen mit der Kamera eingefangen und von Rula Halawani auf vier mal vier Meter Wand projeziert. Bedrohlich und furchteinflößend wirkt er, und zugleich ästhetisch. Licht und Schatten und die Farben des frühen Morgens machen ihn schön, unwirklich schön.

    Sechs palästinensische Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt stellen aus, in Jordaniens Hauptstadt Amman. Es sind Photographien und Dokumentarfilme, es ist Photo- und Videokunst. Die Techniken unterscheiden sich, doch das Thema, mit dem sie sich auseinandersetzen, ist dasselbe: Es geht um Palästina, es geht um die Menschen, die dort unter Besatzung leben, bedroht von Soldaten und Panzern, umringt von Wällen und Checkpoints. Und es geht um den Bezug, den die Künstlerinnen und Künstler selbst zu Palästina haben. Dem Land, aus dem ihre Eltern und Großeltern einst vertrieben wurden, um sich anderswo ein neues Leben aufzubauen.

    Ausstellungsmacherin Laura Khoury ...

    "Ich glaube, sich zugehörig fühlen zu wollen, kommt einem Instinkt gleich. Jeder braucht Wurzeln, und jeder möchte gerne stolz auf diese Wurzeln sein. All das zeigen die Künstler in ihren Arbeiten. Sie erheben ihre Stimme, und sie sprechen laut und deutlich aus, was sie sagen wollen: Zugehörigkeit ist wichtig, ist existenziell. Sie hilft uns beim Überleben. "

    Musik, CD Tarab, Rabih Abou-Khalil, Track 2

    "Geh nach Jaffa, finde das Haus meiner Eltern und bring mir ein Photo mit ..."

    Diesen Wunsch hat Ibrahim formuliert, geboren in Libyen, wohnhaft in New York, libanesische Flüchtlingspapiere, Vater und Mutter aus Jaffa, beide geflüchtet 1948.

    Emily Jacir hat insgesamt 32 Wünsche von Palästinensern in der ganzen Welt gesammelt. Und erfüllt. Sie ist – weil es ihren Landsleuten aus politischen Gründen verwehrt ist - in die besetzten Gebiete geflogen und hat die Orte besucht, aus denen sie stammen. Dabei herausgekommen ist eine beeindruckende Installation von Photographien und Textauszügen.

    ""Geh nach Jerusalem, lege Blumen auf das Grab meiner Mutter und bete für sie" – "

    Munir, geboren in Jerusalem, wohnhaft in Bethlehem, palästinensischer Paß, Vater und Mutter aus Jerusalem, ebenfalls 1948 geflüchtet.

    Und dann sind da noch die Bilder von Tarek al-Ghoussein: Photos von felsigen Gebirgszügen, Photos von Wällen und Mauern, geworfen auf Reispapier – für den Besucher auf eine Weise arrangiert, daß er die Begrenzungen durchqueren, durchschreiten, durchbrechen kann.
    "Ich glaube nicht, daß die Künstler und Künstlerinnen die Idee vermitteln wollten, ihr Heimatland sei verloren. Nein, sie wollten zeigen, daß die Nation, der sie angehören, ihrem Feind trotzt. Sie zeigen den Grenzwall, ja, sie zeigen die Furcht, die sie davor haben. Doch sie zeigen auch, daß sie den Wall herausfordern. Tarek al-Ghoussein lädt dazu ein, die Bildern zu passieren. Emily Jacir hat für andere die Checkpoints bewältigt, um Hoffnung zu schenken. Für die Künstler war eines besonders wichtig: Sie wollten zeigen, daß sich die Menschen in Palästina niemals beugen werden. "

    Die Ausstellung in Amman mit den Werken international renommierter Künstler und Künstlerinnen ist interessant. Und sehenswert. Sie zeigt die Wirklichkeit in den besetzten Gebieten, sie zeigt den Alltag hinter Mauern und Stacheldraht, sie zeigt Menschen in physischer wie psychischer Begrenztheit. Und sie zeigt die Auseinandersetzung der Künstler mit diesem Thema.

    Dabei vermeiden die Kunstschaffenden die schrillen, unangenehmen, aufdringlichen Töne, vermitteln sich vielmehr sehr emotional und persönlich. Sie lassen dem Betrachter dabei den Raum für eigene Betrachtung und Beurteilung, sind dabei nicht aufdringlich. Wohl aber eindringlich.