Dienstag, 14. Mai 2024

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Thea Dorn vs. Till Briegleb
Muss Kunst moralisch sein?

Die anstößigen Äußerungen des Literaturnobelpreisträgers Peter Handke zu den Balkan-Kriegen Anfang der Neunzigerjahre werfen Fragen auf: Dürfen Dichter alles? Darf die Kunst nur, was polizeilich erlaubt ist, oder hat sie die Lizenz zur Amoralität? Lassen sich Werk und Person trennen?

Moderation: Michael Köhler | 02.11.2019
Berlin: Museumsbesucher betrachten am 23.01.2001 das Gemälde"Judith enthauptet Holofernes" von Caravaggio in die Berliner Nationalgalerie. Das 1598/99 entstandene Meisterwerk ist eine Leihgabe aus dem Palazzo Barberini in Rom und wird erstmalig in Deutschland gezeigt.
Schwierige Persönlichkeit und nur einer von vielen: der Maler Caravaggio war ein Mörder - soll sein Werk in den Giftschrank? (picture alliance / dpa / Bernd Settnik)
Ohne den Literatur-Nobelpreis hätte kaum noch jemand Anstoß genommen an den Verfehlungen und Äußerungen des Schriftstellers Peter Handke über Serbien aus den 90er Jahren. Aber in Zeiten von Me Too, Diversität, gendergerechter Sprache, Postkolonialismus-Debatten, Identitätspolitik, israelkritischer Boykott-Bewegung BDS etc., geraten alle Äußerungen unter das Mikroskop einer kritischen Öffentlichkeit. Vieles geht nicht mehr ohne weiters durch. Statt Lorbeer gab es shitstorm. Wir fragen, gibt es in den Künsten einen Zwang zur weißen Weste? Wie anständig müssen Künstler sein?
Hermann Hesse, Max Frisch und Jean Paul Sartre schreiben von "Negern", Goethe lässt seinen "Wilhelm Meister" eine Kindsfrau von elf Jahren verführen. Der Maler Caravaggio und der Foto-Pionier Eadweard Muybridge waren Mörder. Gemälde von Balthus sollten in New York abgehängt werden. Die Dichter Céline, Benn und D´Annunzio bewegten sich in der Nähe der Faschisten. Ernst Moritz Arndt, Richard Wagner, Gerhart Hauptmann und andere Literaten waren antisemitisch. Also, alles in den Giftschrank? Abhängen wie Emil Nolde im Kanzleramt?
Thea Dorn ist Schriftstellerin und Publizistin. Zuletzt hat sie das Buch veröffentlicht "deutsch, nicht dumpf. Ein Leitfaden für aufgeklärte Patrioten"
"Nein, die Kunst muss nicht moralisch sein. Im Gegenteil, Kunst darf - und da kommen wir in die heikle Zone - Kunst darf mit der Wirklichkeit auf Kriegsfuß stehen aus meiner Sicht. Kunst darf Wirklichkeit ins Poetische oder ins Fantastische überhöhen. Sie darf sich in menschliche Abgründe vertiefen, die wir in der Wirklichkeit definitiv nicht ausgelebt haben wollen, wenn wir als Menschen friedlich und noch dazu gleichberechtigt miteinander leben wollen. Kunst darf Eskapismus sein, vom Bösen fasziniert sein, darf sich auch dem Rausch der Gewalttätigkeit hingeben.
Und die eigentliche Diskussion um die es geht, wenn wir das am Fall Handke aufziehen, ist tatsächlich: Was bedeutet es, wenn ein Künstler aus meiner Sicht wie Handke so ein radikal poetisches Programm hat, das Wirklichkeit nur in Anführungszeichen kennt. Was geschieht, wenn so ein Künstler gewissermaßen selber einen Kategorienfehler begeht, indem er plötzlich anfängt, sich in einen politisch-historischen oder einen Gerechtigkeitsdiskurs einzuschalten. " (…) "Ich bin dagegen, zu sagen, dass wir diese Art von Literatur, die letzten Endes aus der Tradition der Romantik kommt, sie ist gefährlich, aber mir erscheint eine Kunst kastriert, wenn man sagt, diese Art von gefährlicher Kunst, die sich böse verrennen kann, oder böse verrennen muss, wenn sie sich ins politische Feld wagt, die wollen wir – sagen wir erst mal – ächten, verbieten muss man ja nicht gleich, aber die wollen wir ächten."
Till Briegleb ist einer der Juroren des diesjährigen Berliner Theatertreffens
Journalist und Autor Till Briegleb (Imago / Wolf P. Prange)
Till Briegleb ist Feuilleton-Autor der Süddeutschen Zeitung und des Kunstmagazins art:
"Nein, die Kunst selbst muss nicht moralisch sein. Was moralisch sein muss, ist der Künstler selber, wenn er sich zu politischen und weltpolitischen Dingen äußert und dort seinen persönlichen Einfluss als Autor nimmt, da ist dann Moral tatsächlich eine Kategorie, die man an ihn anlegen kann." (…) "Die politischen Dinge, die Handke getan hat, dass er eine Rede, und zwar eine ziemlich fürchterliche Rede auf dem Begräbnis von Slobodan Milosevic gehalten hat und, dass er sich ansonsten mit allem der serbischen Seite angeschlossen hat, wenn man das gutheißt, dann stellt man sich natürlich mit auf die Seite der Täter." (…) "Ich finde von de Sade bis Wagner, alle diese problematischen Figuren, müssen das in ihren Kunstwerken ausdrücken dürfen, ansonsten untersagt man sich die Chance, eine Gesellschaft auch in ihren dunklen Tiefen und ihrer ganzen Vielfalt wahrzunehmen. Es muss in der Kunst alles möglich sein. In dem Moment, wo ich mich in eine politische Debatte begebe, da muss ich mich aber diesen politisch-moralischen Argumenten sehr wohl viel konkreter stellen."