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Theater als politischer Aufruf

Was Erwin Piscator zu seiner Theaterarbeit zu sagen hatte, veröffentlichte er bereits 1929 unter dem Titel "Das politische Theater." Der Regisseur Piscator schrieb Theatergeschichte mit seinem engagierten politischen Zeittheater, das die Utopie von einer neuen Gesellschaft mit oft dokumentarischem und großem technischen Aufwand auf der Bühne vortrug.

Von Hartmut Krug | 14.10.2005
    Bertolt Brecht hat einmal gesagt, "Ich habe die Literatur, Piscator des Theaters dieses Jahrhunderts revolutioniert." Der Regisseur, der in den sechziger Jahren als Intendant der Freien Volksbühne in Berlin die politischen Dokumentarstücke von Heinar Kipphardt, Peter Weiss und Hans Helmut Kirst uraufführte, begann seine Theaterarbeit 1919 in Berlin mit politisch und sozial engagiertem Theater für die Arbeiterklasse.

    Es war die erste Agitprop-Aufführung in der Weimarer Republik, mit der sich Erwin Piscators "Proletarisches Theater" am 14.Oktober 1920 in Kliems Festsälen, einem Versammlungssaal der Arbeiter in der Berliner Hasenheide, vorstellte. Gleich drei Stücke wurden in der Szenenfolge "Gegen den weißen Schrecken - Für Sowjetrußland" zusammengefügt: in Karl August Wittfogels "Der Krüppel" wurde das Schicksal eines vom Krieg versehrten arbeitslosen Genossen in Deutschland gezeigt und in Andor Gabors "Vor dem Tor" das eines ins Arbeitslager gesperrten Arbeiters im Ungarn Horthys. Zum abschließenden Agitationsstück "Rußlands Tag" hieß es im Programm-Flugblatt, für dessen Titelseite George Grosz die Zeichnung geliefert hatte:

    ""Rußlands Tag" - der Tag der Entscheidung ist da. Entweder aktive Solidarität mit Sowjetrußland im Laufe der kommenden Monate - oder es gelingt dem internationalen Weltkapital, den Garanten der Weltrevolution zu vernichten. Entweder Sozialismus oder Untergang in der Barbarei."

    Der 1893 geborene Kaufmannssohn Erwin Piscator wandte sich nach anfänglichem Kunst- und Philosophiestudium der Bühne zu und volontierte am Münchner Hoftheater. Das eigene Erlebnis der Stellungskämpfe in Westflandern führte zur Radikalisierung seiner pazifistischen und sozialistischen Neigungen. Er bekannte sich nach Ausbruch der Revolution offen zum Kommunismus und trat in den Spartakusbund ein. In einer historischen Aufnahme aus dem Jahr 1926 liest Piscator aus Karl Liebkechts Schrift "Trotz alledem" zur Niederschlagung des Spartakusaufstandes vom Januar 1919:

    "Spartakus niedergerungen - oh gemach. Wir sind nicht geflohen, wir sind nicht geschlagen. Und wenn sie uns in Bande werfen: wir sind da und wir bleiben da, und der Sieg wird unser sein."

    Zuvor kam Piscator im Kreis der Dadaisten u.a. mit Wieland Herzfelde und John Heartfield, mit George Grosz und Richard Huelsenbeck zusammen. Der dadaistische Aufruf "Los von der Kunst" wurde von ihm politisch radikalisiert. Nachdem er im Winter 1919 als Schauspieler und Regisseur mit dem "Tribunal", seinem ersten eigenen Theater, in Königsberg schnell gescheitert war, gründete er sein Proletarisches Theater in Berlin. Zu dessen erstem Programm schrieb Piscator später:

    "Hier handelte es sich nicht um ein Theater, das Proletariern Kunst vermitteln wollte, sondern um bewußte Propaganda.... Wir verbannten das Wort "Kunst" radikal aus unserem Programm, unsere "Stücke" waren Aufrufe, mit denen wir in das aktuelle Geschehen eingreifen und "Politik" treiben wollten. "

    Diese Haltung fand den Widerspruch der KPD, die sich nicht wie Piscator auf den russischen Proletkult, sondern auf Lenins Kulturpolitik berief. In ihrem Organ "Rote Fahne" wetterte sie am 17.Oktober:

    "Kunst ist eine zu heilige Sache, als daß sie ihren Namen für Propagandamachwerk hergeben dürfte! ... Was der Arbeiter heute braucht, ist eine starke Kunst.....solche Kunst kann auch bürgerlichen Ursprungs sein, nur sei es Kunst...."

    Piscator berichtet von der Aufführung des Stücks "Der Krüppel", bei der John Heartfield mit seinem Bühnenprospekt unterm Arm erst im Theater erschien, als die Vorstellung bereits mitten im ersten Akt angekommen war. Ein heftiger Disput zwischen Heartfield, der seinen Prospekt aufhängen, und Piscator, der in der Rolle des Krüppels weiter spielen wollte, begann:

    "Da er keine Ruhe gab, wandte ich mich ans Publikum ...: ob wir weiter spielen oder erst den Prospekt aufhängen sollen. Die überwältigende Mehrheit entschied sich für das Aufhängen. Darauf ließen wir den Vorhang fallen, hängten den Prospekt auf und begannen zur allgemeinen Zufriedenheit das Stück von neuem. (Heute bezeichne ich John Heartfield als den Begründer des "Epischen Theaters")."

    Erwin Piscator mußte nach nur sechs Stücken aufgeben. Weil es keine Konzession erhielt, wurde Piscators "Proletarisches Theater" auf Anordnung des Berliner Polizeipräsidenten am 21. April 1921 geschlossen.