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Theater
Alte Dame mal fünf

Die tragische Komödie von Friedrich Dürrenmatt "Der Besuch der alten Dame" handelt von der Milliardärin Claire, die in die Kleinstadt Güllen zurückkehrt, um an ihrem Ex-Geliebten Rache zu nehmen. Der Regisseur Bastian Kraft motzt das Stück am Deutschen Theater Berlin grotesk auf: Claire wird von mehreren Darstellern gespielt und singt Lady-Gaga-Songs.

Von Hartmut Krug | 18.04.2014
    Friedrich Dürrenmatt, aufgenommen am 18. Juni 1988 in Schwetzingen an einem vollen Schreibtisch.
    Das Werk "Besuch der alten Dame" vom Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt dient seit Langem nicht nur als Schulstoff, sondern erlebt auch Konjunktur auf deutschen Bühnen. (picture-alliance / dpa - Marcus Thelen)
    Bastian Krafts Inszenierung beginnt mit einem Albtraum Alfred Ills, des Jugendgeliebten der Milliardärin Claire, die sich zu einem Besuch in ihrer Geburtsstadt Güllen angesagt hat. Gleich in fünffacher Ausfertigung erscheint ihm Claire als grelle Bedrohung: Mit auftoupierten, pinkroten Perücken über grell geschminkten Gesichtern und schwarz-weißen, bodenlangen Kleidern reihen sie sich wie Rachegespenster an der Rampe auf. Dass Ill dann bei der tatsächlichen Ankunft seiner ehemaligen Geliebten, die er einst geschwängert und mit bestochenen Zeugen bei Gericht betrogen hatte, an alte Gefühle anknüpfen will, wird so von Anfang an als Illusion gezeigt. Wenn er, der als einer von uns aus dem Publikum auf die Bühne kommt, Claire an die Plätze ihrer einstigen Liebe begleitet, verdeutlicht sie ihm auch mit balladesken Liedern von Lady Gaga, was sie fühlt:
    "It´s been a long time, since I came around, but I´m back in town. This time I don´t leaving without you."
    Wenn Barbara Schnitzler ihren Song wunderbar zwischen Gefühlsreminiszenz und Drohung changieren lässt, dann weist sie schon auf die Forderung hin, die Margit Bendokat als eine weitere Claire mit kühler Aggressivität stellt. Sie will sich mit einer Milliarde für den Ort und seine Einwohner ihre Gerechtigkeit erkaufen. Und verlangt von den Güllenern den Tod Ills. Einen Sarg, in dem sie ihn mitnehmen will, hat sie gleich dabei:
    "Nun bin ich da, nun stelle ich die Bedingungen. (...) Die Menschlichkeit, meine Herren, ist für die Börse der Millionäre geschaffen. Mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell. (...) Anständig ist nur, wer zahlt. Ich zahle. Güllen für einen Mord. Konjunktur für eine Leiche."
    Schlicht und eindeutig ist Dürrenmatts böse Parabel. Deshalb dient sie nicht nur seit Langem als Schulstoff, sondern erlebt auch Konjunktur auf deutschen Bühnen. Das Stück wurde 1956 in Zürich noch als "Komödie der Hochkonjunktur" uraufgeführt, - mit Blick auf die Bankenstadt Zürich, aber auch auf einen Aufbau im Adenauer-Deutschland, bei dem wenig zurückgeschaut wurde auf den Faschismus. Am Deutschen Theater in Berlin hat Thomas Langhoff 1999 dann Dürrenmatts Parabel als "tragische Komödie", (wie der Autor sein Stück später bezeichnete), auf eine von Arbeitslosigkeit geprägte Welt bezogen. Bei der Koproduktion vom Dresdner Staatsschauspiel und dem Maxim Gorki Theater hat Armin Petras 2009 die neureiche Claire in ein verfallendes Ostdeutsches Städtchen kommen lassen, während Volker Lösch mit dem Stück 2007 Düsseldorfer Kommunalpolitik aufs Korn nahm. Im selben Jahr befragte Rimini Protokoll das Stück am Ort seiner Uraufführung mit Zeitzeugen. Deutlich wurde dabei aber nur, dass dieses Stück mit seiner Moral "Der Mensch ist käuflich" zwar vielseitig einsetzbar, doch auch arg bieder kopfnickerhaft ist.
    Bastian Kraft motzt es nun recht fantasievoll und grotesk auf. Simeon Meiers Bühne ist von schwarz-weißer, expressionistischer Zeichenhaftigkeit bestimmt. Dagmar Balds Kostüme sind wunderbar poppig, und Thies Mynther, der die Aufführung am Piano live begleitet, hat fünf Songs von Lady Gaga arrangiert. Das Ganze wirkt wie ein tönender Stummfilm. Dazu arrangiert der Regisseur die fünf Claire-Darsteller, unter ihnen auch ein Mann, so geschickt, dass die alte Dame unterschiedliche Profile bekommt. Wenn die Darsteller der Claire in andere Rollen schlüpfen, begeben sich sie in Pappfiguren-Umrisse. Und den Ill gibt Ullrich Matthes angenehm still, - anfangs hoffend, dann schnell resigniert und sein Urteil akzeptierend. Beim Mord umringen die Güllener Ill, und aus Küssen werden tödliche Bisse.
    Der klug auf nur anderthalb Stunden gekürzten Fassung gelingt es aber trotz ihrer poppigen Verpackung nicht, das Problem dieser doch sehr altbackenen Parabel zu lösen. Man hat schnell die Botschaft verstanden, wird aber weder erschüttert noch zum Denken angeregt. Modernes politisches Theater sieht anders aus.