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Theater
"Humankapital" - ein Stück mit Bürgern

"Humankapital" war das Unwort des Jahres 2004. Ein kleines Privattheater in Flensburg, die "Pilkentafel", bringt gemeinsam mit Flensburger Bürgern ein gleichnamiges Stück auf die Bühne. Es geht um den Wert der Dinge, den Wert des Menschen.

Von Elin Rosteck |
    Ein roter Theatervorhang
    Die Inszenierungen der "Pilenkentafel" sind eine Instanz in Flensburg. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Es hallt in der alten Bahnpost von 1927; lange Jahre lag sie unbewohnt, ungenutzt, unbeachtet hinter dem Flensburger Bahnhof. Ein guter Ort für das Projekt; es geht um den Wert der Dinge, den Wert des Menschen.
    Elisabeth Bohde: "Ich hatte das Gefühl, es infiltriert immer mehr die Beziehungen untereinander, es wird immer mehr ein Kriterium "Was krieg ich denn dafür, wenn ich das mach" – und ich das Gefühl hatte, ey, das ist irgendwie widerlich, ich will das in mir nicht haben; so. Und dann war es die Lust, zu gucken, wie nehmen verschiedene Menschen ihr Leben im Bezug auf das Thema wahr?"
    Elisabeth Bohde, die Gründerin der "Pilkentafel". Das kleine Privattheater ist benannt nach der kleinen Gasse, in der sie und ihr Ehemann Thorsten Schütte vor 30 Jahren anfingen, Theater zu spielen; in ihrer Küche. Mittlerweile sind die beiden und ihre Inszenierungen eine Instanz in Flensburg. Das "Humankapital" ist wieder mal ein Projekt mit Bürgern; das macht die "Pilkentafel" regelmäßig. Hier spielen die rund 40 Flensburger nicht unbedingt Theater, sie haben Raum für ihre eigenen Gedanken bekommen. Zum Beispiel, kurz hinter dem Eingang, in einer langgezogenen Kammer mit vergitterten Fenstern: Marlene.
    Sie könnte lauter und kräftiger singen, aber zart und leise passt besser zu ihrer Situation.
    Marlene Benken: "Ich bin ja 70. Was wird sein? Ich hab zwar einen Sohn, der ist 40, der steht ja zu mir, ich werde glückliche Oma, noch im Mai; aber trotzdem, man weiß ja nicht, was kommt. Ich wollte eben diese Facette rein bringen."
    Zuschauer in der Pflicht
    Was ist ihre Mutter wert? Was gelten Behinderte, Strafgefangene oder Obdachlose? Auch solch scheinbare Randgruppen lässt die "Pilkentafel" zu Wort kommen, persönlich oder aber in gefilmten Interviews. Außerdem nehmen Bohde und Schütte – getarnt als Behördenfiguren - ihre Zuschauer in die Pflicht. Sie müssen genau Protokoll führen und bewerten, was sie gesehen haben; denn längst nicht jeder wird alle Räume und Performances sehen können, freut sich Thorsten Schütte jetzt schon auf lange Gesichter in diesem Projekt:
    "Es gibt total verschiedene Anfangszeiten, es ist nichts koordiniert und man kann irgendwie versuchen, irgendwo mit reinzukommen, man weiß, in fünf Minuten geht's los, man stellt sich an, hat aber noch drei vor sich, es passen aber nur drei rein, dann ist man auch nicht dran, auch die Zuschauer werden vor den Wert der Sachen gestellt."
    Am Ende bekommen die Zuschauer eine Rendite ausgezahlt, eine Bewertung ihrer Leistung - echtes Geld auf das, was sie geschafft haben an dem Abend. Keiner soll unberührt bleiben; ein Leitsatz der Pilkentafel.
    Elisabeth Bohde: "Für uns - und ich hoffe auch, dass es für die Zuschauer auch so´ne - Nachhaltigkeit gibt, dass ne Aufführung eben nichts ist, wo man abends hingeht um sich einen netten Abend zu machen, auch gut, wenn der Abend schön ist, aber dass es was ist, was sich eingräbt und stattfindet."
    "Que sera, sera..."
    Die Weichen dafür hat die "Pilkentafel" gestellt: Das Flensburger "Humankapital" ist ab sofort freitags und samstags ab 20 Uhr in der Alten Bahnpost in Flensburg zu sehen, noch bis zum 07. Juni.